Mein Artikel über den Zusammenhang von christlicher Nachfolge und linker Politik ist auf Irritation und Widerstand gestoßen. Etwa „idea-Spektrum“ hat den Artikel stark kritisiert. Anderseits habe ich viel Unterstützung und positive Resonanz erfahren. Auch auf Pfarrkonventen bin ich aufgrund des Artikels eingeladen worden. Im Text von Christian Meißner (DPfBl 4/2023, 240ff) bin ich jedoch auf Verkürzungen und schräge Darstellungen gestoßen.

Meißner schreibt, dass ich unter „linker Politik“ eine „konkrete Parteipolitik der Linkspartei“ verstehen würde. Das schlussfolgert er, weil ich bei micha.links als Redakteur arbeite. Es ist ein etwas übereilter Rückschluss, dass ich deswegen unter „Links-Sein“ ein Parteiprogramm verstehen würde. Ich würde mich freuen, anstatt wilder Konklusionen die Argumentation meines geschriebenen Textes wahr- und ernstzunehmen. Dort steht: „Der Motivationshintergrund linksgesellschaftlichen Engagements lässt sich mit dem Politik- und Sozialwissenschaftler Raul Zelik wie folgt zusammenfassen: ‚Alle Menschen haben das Recht, sich aus Knechtschaft und Unterdrückung zu befreien.‘“

 

Linke Politik ist nicht gleich die Politik der LINKEN

Linke Politik steht also für eine bestimmte Ausrichtung. Darüber kann man sich streiten. Nirgendwo habe ich aber geschrieben, dass sie in der Partei DIE LINKE aufgehen würde. Selbstverständlich sage ich, dass diese Partei sich bemüht in diese Richtung zu agieren – sie hat aber ebenso viele Fehler, Irrungen, und das Reich Gottes ist natürlich größer. Daher verstehe ich schlichtweg die Schlussfolgerung von Christian Meißner nicht.

Mit Begriffen wie „Neoliberalismus“ und „globalen Ausbeutungsstrukturen“ kann Meißner nicht viel anfangen bzw. stellt diese unter einen parteipolitischen Ideologieverdacht. Allerdings sind es Begriffe, die etwa „Brot für die Welt“, der Lutherische Weltbund, der damalige Reformierte Weltbund, der Ökumenische Rat der Kirche selbst verwenden. Ich sehe in der Argumentation von Meißner daher viel eher die Gefahr, Evangelium und Reich Gottes unpolitisch zu denken – ein Versuch, der aber die frohe Botschaft zähmt, wird ihr m.E. nicht gerecht und ist auch für den Relevanzverlust im Hier und Jetzt mit verantwortlich.

Und weiter: Christian Meißner setzt den Begriff „Sozialismus“ mit den real-existierenden sozialistischen Staaten gleich. Auch hier habe ich im Text eine ganz andere Definition nahegelegt, nämlich die Demokratisierung ökonomischer Entscheidungen, wie es der Jenaer Professor Klaus Dörre vorschlägt.

Weiter möchte ich an dieser Stelle aus meiner Kolumne „Tipping Point“ aus dem Onlinemagazin „Die Eule“ einen längeren Abschnitt zitieren, was vieles zusammenfasst: „Selbstverständlich ist der Sozialismusbegriff angreifbar und höchst problematisch. Die real existierenden sozialistischen Staaten sind weitestgehend gescheitert und haben Menschenrechte ausgehöhlt. Ich würde sagen: Anstatt Gesellschaften aufzubauen, in denen sich das biblische Motiv von Egalität und Autonomie für alle Menschen durchsetzt (Ton Veerkamp), sind totalitäre Systeme entstanden. Es bedarf verschiedener Werkzeuge, um solchen Entwicklungen entgegenzutreten (etwa die Beibehaltung des Prinzips von checks and balances).

Weil es für die Transformation unserer Gesellschaft starke Bündnisse braucht, schlage ich im kirchlichen Umgang mit linken (sozialistischen) Netzwerken vor, zwischen dem Zentrum praktischen Handelns und zahlreichen historischen Missbräuchen zu unterscheiden. Um es zu verdeutlichen: Innerkirchlich wird etwa argumentiert, dass historische Entwicklungen wie Kreuzzüge, Hexenverbrennungen, Konfessionskriege, missionarischer Kolonialismus und die Deutschen Christen im Nazi-Regime zwar anzuprangern und zu kritisieren, jedoch von der ‚Sache‘ zu unterscheiden sind. Gottes Befreiungsbewegung als Umwälzung im menschlichen Leben und in der Welt gehe nicht in ihren Missbräuchen auf.

Vielleicht könnte eine solche Argumentationsfigur auch auf linkspolitische Netzwerke Anwendung finden? Der Vorteil wäre, dass Begegnung und Solidarisierungsverflechtungen zwischen zwei Partnern entstehen können, die sich oft kritisch kontaktlos gegenüberstehen.“

 

Die „Sache“ des Christentums und geschichtliche Missbräuche

Ich selbst gehe also den Weg, zwischen der „Sache“, die ich im Christentum entdecke, und den geschichtlichen Missbräuchen zu unterscheiden. Warum sollte ich diese Unterscheidung auf das Christentum beschränken? M.E. kann man für den Sozialismus-Terminus auch andere Begriffe verwenden wie etwa Gemeinwohlökonomie, Postwachstumsökonomie oder solidarische Ökonomie. Der Sozialismusbegriff hat den Vorteil, dass man ihn sofort konkretisieren muss (aufgrund der geschichtlichen Vorbelastung), dass er den Zusammenhang zwischen Demokratisierung und Eigentum zur Sprache bringt, die Demokratisierung wirtschaftlicher Beschlüsse anzeigt und eine Umwälzung neoliberal orientierten Denkens in Anschlag bringt. Dass er ebenso mit großen Widerständen einhergeht, habe ich bereits geschildert – das ist gewiss der Nachteil.

Inwiefern Christian Meißner des Weiteren mich als Ausleger des „tötenden Gesetzes“ interpretiert, will ich ihm überlassen. Das Evangelium ist nicht nur Zuspruch, sondern auch Anspruch, und es ist richtig, dass der gesamte konziliare Prozess von der Trias „Schöpfungsbewahrung, Gerechtigkeit und Friede“ lebt und dafür streitet. Hier überall ein tötendes Gesetz entdecken zu wollen, halte ich für fragwürdig. Ähnliches könnte man Martin Luther King, Nelson Mandela, Ernesto Cardinal usw. unterstellen. Wäre letztlich in einer solchen Perspektivierung der Papst, der die Meinung in Evangelii Gaudium vertritt „Diese Wirtschaft tötet!“, auch ein Vertreter des Gesetzes? Ihm geht es ebenso um das konkrete Engagement für das Reich Gottes. Das Evangelium macht frei, es will eine Umwälzung aller Lebensbereiche, und dafür gilt es zu streiten und sich aufzumachen. Und ja – Gott wird selbst eines Tages alles vollenden – aber bis dahin haben wir alles zu tun, gegen Tod, Leid, Krisen und Unterdrückung prophetisch vorzugehen. Mit den Worten von Bonhoeffer: Gott ist ein „ohnmächtiger Gott“, der den Menschen braucht, denn er wirkt mit und im Menschen.

 

Absolute und relative Utopie

Weiterhin schreibt Meißner, dass die Ausrichtung meiner theologischen Bemühungen Zweideutigkeit und Vorläufigkeit nicht zulassen würde. In seinem Text nennt er das von mir eingeführte Zitat von Gollwitzer, geht aber nicht wirklich darauf ein. Hier nochmal das Zitat: „Darum folgt aus der absoluten Utopie der neuen Gesellschaft im Reiche Gottes eine irdische, relative Utopie als Leitbild für die Umgestaltung der bestehenden Verhältnisse mit dem Maßstab größtmöglichen Abbaus aller Ungerechtigkeit, Unfreiheit und Vergewaltigung.“

Gollwitzer unterscheidet selbst zwischen absoluter und relativer Utopie. Das Reich Gottes ist größer und vollkommener als alle Menschheitskonstrukte. Und dennoch gibt es – wie Barth es sagt – Richtung und Linien. Kein Christ würde auf die Idee kommen, Sklavenhaltung oder das Abschlachten von Menschen als Zeichen des Reiches Gottes zu sehen – im Gegenteil.

Biblisch-theologisch ließe sich viel in Anschlag bringen, warum – bei aller Pluralität der Schrift – in der Bibel Gesellschaftsformationen auftauchen, die ebenso eine starke Tendenz haben. Rainer Kessler entdeckt in diesem Sinne in seiner Ethik des Alten Testaments eine Grundstruktur, „die den Rahmen für jede Auslegung […] abgibt. Ihre entscheidenden Stichworte sind der Segen Gottes für die Menschen und ihre Berufung aus jeglicher Unterdrückung mit dem Ziel eines guten Lebens in Gerechtigkeit und Frieden.“1

Als Abschlusskonklusion warnt Meißner in seinem Artikel vor einer Vereinnahmung des Evangeliums durch Parteipolitik mit einem ständigen Verweis auf meinen Text. Dass es sich hierbei um eine Unterstellung und Verkürzung handelt, habe ich dargestellt. Viel eher würde ich vorschlagen: Lasst uns darüber debattieren, was Reich Gottes als alles umfassende Befreiungsbewegung bedeutet und was unser Auftrag hierbei ist – gerade in Zeiten von Vielfachkrisen, Krieg, Flüchtlingsbewegungen und weltweiten Hitzewellen.

Tobias Foß

 

Anmerkung

1 Rainer Kessler, Der Weg zum Leben. Ethik des Alten Testaments, Gütersloh, 590 [Hervorhebung im Original].

 

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 5/2023

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