Gesellschaftlich sind wir gerade dabei, die Erfahrungen der Coronakrise aufzuarbeiten: Privat stellen sich viele die Frage, inwieweit sie die Ruhe der Lockdowns in ihren Alltag hinüberretten wollen. Politisch stellt sich die Frage, ob alle getroffenen Maßnahmen notwendig waren. Und international beschäftigen sich Gruppierungen rund um die WHO damit, wie einheitliche Regeln für die Pandemiebekämpfung geschaffen werden können. Auch die Kirche sollte sich mit der Frage beschäftigen, welche Rolle gesundheitliche Fragen im Kontext einer Gesellschaft spielen, meint Tilman Gerstner.

 

Religion und Gesundheit gehören von alters her zusammen. Für das Christentum gilt dies in besonderer Weise: Die große Bewegung um Jesus wäre sicherlich nicht denkbar gewesen, wenn er nicht auch als Wunderheiler angesehen worden wäre. Demgegenüber hat sich die Kirche in gesundheitlichen Fragen während der Coronakrise eher zurückgehalten. Es gibt eine offizielle Stellungnahme der EKD1, in der das Mitgefühl ausgedrückt wird für Menschen, die Angehörige verloren haben oder unter den Lockdownbedingungen vereinsamen. Der damalige Ratsvorsitzende und bayerische Landesbischof Bedford-Strohm hat immer wieder öffentlichkeitswirksam Position bezogen, etwa wenn er auf die psychischen Schäden bei Kindern hinwies2. Am stärksten diskutiert wurde freilich die Äußerung des damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble: „Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz des Lebens zurückzutreten, dann muss ich sagen, das ist in dieser Absolutheit nicht richtig“. Margot Käßmann hat in einem Interview diese Position wenig später prinzipiell bestätigt und das dahinterliegende ethische Dilemma aufgezeigt3.

 

Kirche, Glaube und Gesundheit

Sicherlich gibt es gute Gründe, warum die Kirche seit dem ausgehenden Mittelalter das Thema „Gesundheit“ zunehmend in die Hände derer legte, die dafür speziell ausgebildet wurden. Aber das schützt sie von ihrem ursprünglichen Auftrag her nicht davor, immer die Entwicklungen im Gesundheitswesen im Blick zu behalten. Und Kirche hat das getan. Sie hat immer wieder eigene Position bezogen. Besonders interessant finde ich hier ihr Engagement im Bereich der Palliativmedizin: Die Hospizbewegung wird und wurde wesentlich auch von kirchlichen Trägern gefördert und getragen. Kirche bringt darin zum Ausdruck, dass der Erhalt von Leben nicht an oberster Stelle steht. Vielmehr geht es darum, das Leben als Geschenk zu würdigen und es in Würde beschließen zu dürfen.

Diese Einstellung geht grundsätzlich auf Jesus zurück. Am provokantesten kommt diese Haltung in der Geschichte von dem Gelähmten zum Ausdruck, der von Vieren getragen zu Jesus gebracht wurde (Mk. 2,1-12). Anstatt das Offensichtliche zu tun, nämlich den Gelähmten von seinen körperlichen Gebrechen zu heilen, heilt ihn Jesus von seinen Sünden. Etwas moderner ausgedrückt könnte man sagen: Er hilft ihm, im Frieden mit sich, seinem Körper, der Welt, seinem Schicksal und letztlich Gott zu leben. Auch wenn er ihn schlussendlich doch auch körperlich heilt, tut er das nicht, weil sich ihm „seine Eingeweide zusammenziehen“ (esplanchnistä). Vielmehr will er deutlich machen, dass körperliche Heilung leichter als seelischer Frieden zu erreichen ist.

Letztlich kann man die Spuren dieser Position bis ins AT zurückverfolgen. Wenn man die sieben Tage des ersten Schöpfungsberichts als aufsteigende Linie interpretieren will, dann scheint zunächst der Mensch als Ebenbild Gottes wie die Krone der Schöpfung dazustehen (Gen. 1,1-2,1). Doch wird dabei gerne übersehen, dass die Geschichte weitergeht: Der Mensch ordnet sich am siebenten Schöpfungstag mit Körper, Geist und Seele etwas Heiligem unter, das ihm und der Welt Ruhe und Frieden verschafft. Er muss damit bekennen, dass er mit seinem Leben, seiner Gesundheit und seinem Streben nach Glück eben doch nicht das oberste Prinzip auf Erden ist.

In der Coronakrise wurde immer wieder die Triage als Schreckgespenst an den Horizont gemalt. Aus christlicher Perspektive ist das Thema aber m.E. differenzierter zu betrachten. Natürlich war und ist die Lage nicht gut. Sicherlich haben gesundheitspolitische Entscheidungen der letzten Jahre und Jahrzehnte diese schwierige Situation begünstigt. Definitiv darf es nicht sein, dass Ärztinnen und Pfleger individuell über das Überleben von Patienten zu entscheiden haben. Sie würden in große Gewissensnöte kommen, die sie schnell in den Burnout führen. Auch unmenschlich wird es, wenn die Behandlung von mathematischen Formeln und Computerprogrammen abhängig gemacht wird. Doch wäre es eine Chance, als Gesellschaft darüber zu diskutieren, wie wir mit dem Fakt umgehen, dass wir früher oder später alle einmal werden sterben müssen. Ich habe in der Coronakrise viele Ältere erlebt, die sinngemäß sagten: „Ich habe mein Leben gelebt. Sterben ist niemals schön. Darum habe ich auch vor Corona keine Angst.“

 

Jesus zum Thema „Leben und Gesundheit“

Auf der anderen Seite ist die Bibel auch nicht körperfeindlich – so als solle man sagen: „Stecke das Schwert an seinen Ort“ (Mt. 25,52), um dann sein Kreuz auf sich zu nehmen. Vielmehr ist ja die Schöpfungsgeschichte ein großes Loblied auf das Leben und die Lebendigkeit. Sich die Erde unteran zu machen heißt eben auch, Viren und andere zerstörerischen Kräfte zu besiegen und sich mitten im Tohuwabohu einen Lebensraum zu schaffen (Gen. 1,2.28).

Und so ist auch Jesus dem Leben zugewandt. Er hat eben auch Mitleid mit der leidenden Kreatur (esplanchnistä Lk. 7,13). Er ist bereit, sogar Hand anzulegen (Mk. 7,33) und mit seinem Speichel zu heilen (Joh. 9,6). Er nimmt Bezug auf den damaligen Stand der medizinischen Wissenschaft, indem er etwa eben diesen Blinden sich anschließend im Teich Siloah reinigen lässt (Joh. 9,7). Ebenso rät er an, dass sich die Aussätzigen ihre Heilung von der damaligen Gesundheitsbehörde, nämlich den Priestern, bestätigen lassen (Lk. 17,14).

Jesus baut also einerseits auf das damalige Gesundheitsverständnis auf, andererseits grenzt er sich von diesem ab – beispielsweise auch, indem er die Aussätzigen zu sich kommen lässt und damit menschlicher Nähe einen höheren Wert einräumt als dem damaligen Verständnis von Infektionsschutzgesetzen.

Insgesamt können wir feststellen, dass sich bei Jesus kein einheitliches Gesundheitskonzept finden lässt. Das ist nicht verwunderlich, denn schließlich verstand er sich nicht als Gesundheitslehrer. Vielmehr lebte er aus Gottes Kraft und Liebe. Möglicherweise half ihm diese zu erspüren, was einem Menschen tatsächlich fehlt. Und genau darin könnte seine Heilkraft liegen, dass er den Einzelnen sieht.

 

Der gesellschaftliche Beitrag: Vielheit

Es mag auch heute noch Einzelpersönlichkeiten geben, die im Sinne Jesu über eine besondere Gabe zur Heilung verfügen. Kirche in ihrer Gesamtheit wird aber keine „bessere Medizin“ machen können. Sie hat nicht die Wahrheit gepachtet, sondern sie bekennt sich zu dem, der die Wahrheit ist (Joh. 14,6).

Kirche kann aber von ihrem christlichen Menschenbild her vor Einheitslösungen warnen. Das entspricht einem Grundzug ihrer gesamten Lehre, wie sie in der modernen Theologie herausgearbeitet wurde: Die Bibel ist ein Buch der Vielfalt. Bereits auf ihren ersten Seiten wird die Leserin mit zwei widersprüchlichen Schöpfungsberichten konfrontiert, die nur schwerlich in ein einheitliches Konzept zu pressen sind. Auch die Trinitätslehre ist ein Paradebeispiel dafür, dass wir Christen die Einheit gerade im Widerspruch suchen: Dass der Sohn sich am Kreuz vom Vater verlassen fühlt (Mk. 15,34), lässt sich nur schwer mit der Aussage verbinden, Sohn und Vater seien eins (Joh. 10,30).

Nun mag man dagegen einwenden, dass unsere heutige Zeit ja gerade unter Vielheit und Beliebigkeit leide. Tatsächlich hängt die Aufarbeitung der Coronakrise entscheidend davon ab, welchen Stellenwert wir der Einheit und welchen wir der Vielfalt zumessen. M.E. wurden aber mit der Coronakrise Tendenzen zur Vereinheitlichung eingeleitet, die letztlich auch die Grundlagen des christlichen Glaubens in Frage stellen könnten.

 

Tendenzen zur Vereinheitlichung

Doch woher kommt die Tendenz zur Vereinheitlichung angesichts einer weltumspannenden Bedrohung durch ein Virus? Drei Aspekte fallen mir dazu ein:

Grundmotiv Angst

Zunächst einmal ist es die Angst. Wie wir aus der modernen Hirnforschung wissen, verengt Angst unser Gehirn in einen Tunnelblick hinein. Unser Körper wird auf „fight, flight or freeze“ umgeschaltet. Die Fähigkeit zu kreativem und komplexem Denken wird reduziert. Wenn die Bibel davon spricht, dass unsere Füße auf weiten Raum gestellt werden (Ps. 31,9), dann muss das von der modernen Hirnforschung her auch etwas mit einem veränderten Umgang mit unserer Angst zu tun haben. Tatsächlich geht Jesus davon aus, dass Menschen in dieser Welt Angst haben. Aber er hält die Welt und damit auch die Angst für überwindbar (Joh. 16,33). Weil der Mensch nun mal von Natur aus ein ängstliches Wesen ist, braucht es immer wieder die Ermutigung zum Urvertrauen. Entsprechend zieht sich das „Fürchte dich nicht“ wie ein roter Faden durch die Bibel.

Für Menschen heute ist es ein eher ungewohnter Gedanke, mit Emotionen bewusst umzugehen. Vielmehr sehen es viele als Fortschritt an, unmittelbar aus den eigenen Impulsen heraus zu leben und zu handeln. Damit aber wird auch die Angst als Grundemotion des Menschen wieder zu einem lebensbestimmenden Thema. Und die Abneigung gegen Vielschichtigkeit nimmt zu.

Verwissenschaftlichung

Zweitens: Wer das Urvertrauen in das Leben verliert, sucht nach anderen Haltepunkten im Leben. Dies scheint heute am ehesten die Wissenschaft zu bieten. Naturwissenschaft strebt danach, im Idealfall die Welt in mathematischen Formeln zu fassen. Ist dies gelungen – was freilich selten der Fall ist –, gibt es schlussendlich eigentlich nur noch eine oder zumindest eine begrenzte Anzahl von „richtigen“ Lösungen.

Die Mathematisierung der Medizin haben wir alle unter Corona miterlebt: Anstatt einer ärztlichen Diagnose, die traditionell die Gesamtsituation eines Menschen in den Blick nimmt, wurde über Testverfahren zwischen „positiv“ und „negativ“ unterschieden, was an die Bits eines Computers erinnern mag. Täglich wurden wir mit Zahlen und Inzidenzen geflutet. Und der Erfolg von Maßnahmen wurde danach bewertet, ob der Reproduktionsfaktor „R“ größer oder kleiner als 1 ist. Dies erinnert im Kern daran, was ich weiter oben als Mathematisierung der Triage erwähnte: Verwissenschaftlichung ist eine Hilfe, weil sie den Einzelnen aus der persönlichen Verantwortung nimmt. Aber sie kann auch zur Entmenschlichung führen.

Leider sieht es so aus, dass die Medizin sich weiter in diese Richtung entwickeln könnte. Mit der avisierten digitalen Krankenakte verbindet sich die Hoffnung, dass in Zukunft durch künstliche Intelligenz Krankheiten entdeckt werden können, noch ehe ein Arzt auch nur ansatzweise eine entsprechende Diagnose erahnt. Auch damit wird die Angst des Menschen angesprochen und seine Hoffnung, möglichst lange körperlich gesund zu bleiben.

Wellness- und Fitness-Kultur

Drittens folgt die Orientierung an Gesundheitsfragen einem Trend, der schon seit vielen Jahren zu beobachten ist: Es gibt kaum ein Hotel, das nicht zumindest einen Wellnessbereich anzubieten hat. Im Alltag werden Fitnessstudio und Yogakurse besucht. Wer es sich leisten kann, gönnt sich Massage, Maniküre, Pediküre oder sogar eine Schönheits-OP. Und wer etwas auf sich hält, ernährt sich gesund und treibt Sport.

Viktor E. Frankl wies bereits vor rund hundert Jahren darauf hin, dass Gesundheitsthemen zu einer Ersatzbefriedigung werden, weil viele Menschen heute für sich keinen anderen Sinn im Leben sehen. Tatsächlich ist nach Frankl die Sinnfrage nichts, was einfach zu beantworten wäre. Vielmehr bleibt es eine lebenslange Aufgabe, nach Sinn zu suchen. Sinnerfahrungen blitzen zuweilen nur punktuell auf und es ist die besondere Schwierigkeit der menschlichen Existenz, zwischen diesen Inseln des Sinnerlebens Brücken zu schlagen. Gesundheit an sich ist dabei nach Frankl zunächst kein Ort des Sinnerlebens – vermutlich deshalb, weil es ganz auf sich selbst bezogen bleibt. Doch ist jedem klar, dass ohne Gesundheit es schwer ist, in Beziehung zu treten zur Welt und zu den Menschen. Gesundheit hat deshalb nur vorbereitende Funktion. Da aber viele Menschen den eigentlichen Sinn ihres Lebens nicht finden, bleiben sie lieber in der Vorbereitung stecken – und rücken damit die Sorge um ihre Gesundheit ins Zentrum.

 

Gesundheit als neue Religion?

Heute ist dieses Sinnkonzept derart verbreitet, dass daraus geradezu ein Gemeinschaftsgefühl entsteht. Damit aber erfüllt die Suche nach Gesundheit viele Funktionen, die früher der Religion zugeschrieben wurden: Sie wirkt sinnstiftend. Sie ist handlungsleitend. Sie spricht meine Verantwortlichkeit an, dass ich andere weder anstecke noch ihnen zur Last falle. Sie vermittelt das Gefühl, in eine Gemeinschaft mit anderen eingebunden zu sein, die auf dem gleichen Weg sind. Und sie macht bewusst, dass eben letztlich nicht alles in unserer Verfügungsgewalt liegt. So kann sie im Idealfall sogar zur Grundlage von Dankbarkeit werden.

Nun mag man einwenden: Worin soll das Problem liegen, wenn für Menschen Gesundheit zu einer Art neuer Religion wird? Hat sich das Christentum nicht schon immer damit auseinandersetzen müssen, dass es neben ihm religiöse Bewegungen gibt? Wurde das Christentum dadurch nicht vielleicht sogar in seiner eigenen Position bestärkt?

Wäre das alles, so könnte man diese Form neuer Religiosität tatsächlich in den christlichen Gedanken der Vielheit einordnen. Das Problem ist aber ein anderes: Die Idee allumfassender Gesundheit lässt sich gar nicht individuell leben. Wenn ich in jedem Mitmenschen eine potenzielle Gefahr erkenne, weil er für mich zur Virenschleuder werden könnte, dann muss ich ihn für meine Idee „missionieren“. Das heißt letztlich, dass meine Vorstellung von Gesundheit zu einer weltumspannenden Bewegung werden müsste.

 

Gesundheit, Politik und Kirche

Nun aber geht es nicht einfach nur um Mission. Aktuell laufen Versuche, sich auf künftige Pandemien durch internationale Gesetze besser vorzubereiten. Die Idee ist dabei denkbar einfach: Wenn wie beim Turmbau zu Babel (Gen. 11) alle Völker der Erde an einem Strang ziehen, dann müssten Viren und andere Bedrohungen doch besser zu begrenzen sein, als dies in der Coronakrise möglich war. Arbeitsgruppen rund um die WHO arbeiten dazu aktuell nicht nur an einem neuen Pandemievertrag4.

Viel problematischer sind die internationalen Gesundheitsregeln (IHR)5, die wie die Ausführungsbestimmungen des Pandemievertrages zu lesen sind. Dort werden die Entscheidungsbefugnisse der Staaten zu Gesundheitsfragen in einem medizinischen Notfall globaler Tragweite an die WHO übertragen. Sollte dies beschlossen werden, dürften selbst Gerichte nicht mehr dagegen klagen.

Natürlich erscheint dies auf den ersten Blick sinnvoll, um die Staatengemeinschaft zu einem gemeinsamen Vorgehen zu bringen. Leider ist gar nicht genau definiert, ab wann von einem medizinischen Notfall globaler Tragweite gesprochen werden kann. Hier wird auch dem Missbrauch Tor und Tür geöffnet. Doch vor allem ist aus dem Gesamtduktus des Textes ersichtlich, dass es hier um eine Vereinheitlichung von Medizin geht. Und dies wird nur durchführbar sein, wenn es mit einer Mathematisierung von Medizin gleichzusetzen ist. Sollte dann Kirche eines Tages die „Würde des Sterbens“ einfordern, könnte ihr das sogar gerichtlich verboten werden. Im schlimmsten Fall würde sie unter das Verdikt der Desinformation fallen.

Aktuell werden die Verträge ausgehandelt, im Mai 2024 sollen sie beschlossen und dann von den Staaten ratifiziert werden. Noch hätte die Kirche die Chance, ihre Ideen auf politischem Wege einzubringen und beispielsweise das Recht auf würdevolles Sterben verbriefen zu lassen. Möglicherweise würde es auch genügen, ein Sonderrecht für Kommunitäten zu erwirken, die in klösterlicher Abgeschiedenheit leben. Sie waren über die Jahrhunderte hinweg Rückzugsorte für Menschen, die bei aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen nicht mitmachen wollten. Natürlich könnte Kirche im Sinne ihres pluralistischen Ansatzes auch generell in Frage stellen, ob es überhaupt einer globalen Vereinheitlichung in Gesundheitsfragen bedarf.

Die gesellschaftliche Akzeptanz solcher Bemühungen wird allerdings möglicherweise gering sein. Viel zu tief sitzt in den Menschen die Angst vor gesundheitlichen Bedrohungen. Viel zu groß ist die Hoffnung, dass die Wissenschaft und damit mathematische Statistiken und letztlich die künstliche Intelligenz vor solchen Bedrohungen schützen können.

Letztlich kommt damit dem Christentum eine viel wichtigere Aufgabe zu: Es geht darum, den Menschen deutlich zu machen, dass körperliche Gesundheit und ein hohes Alter nicht das oberste Ziel des Lebens sein können. Es geht nicht einmal nur darum, möglichst viele Glücksmomente im Leben zu sammeln. Sondern echte Gesundheit besteht darin, mit den Erfahrungen von Leiden und Tod, Krankheit und Versagen, Unglück und Schwäche in guter Weise umzugehen. Und dazu braucht es auch Dimensionen, von denen ich mich bestärken lassen und in die hinein ich Lasten ablegen kann. Gesundheit ist damit eben nichts, das in diagnostischen Manualen gefasst, sondern nur in Beziehung gelebt werden kann. Solch ein Gesundheitsverständnis ist sicherlich im Sinne Jesu. Möglicherweise brauchen die Menschen heute gar keine Wunderheilungen. Vielleicht genügt ein neues Verständnis von Gesundheit, das den Menschen hilft, nach den Erfahrungen der Coronakrise wieder befreit zu leben.

 

Anmerkungen

1 https://www.ekd.de/gemeinsames-wort-der-kirchen-zur-corona-krise-54220.htm, abgerufen 29.3.23.

2 Vgl. https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Corona-Pandemie-Landesbischof-Bedford-Strohm-sorgt-sich-um-das-seelische-Wohl-der-Kinder-id59360836.html, abgerufen 29.3.23.

3 Vgl. https://www.deutschlandfunk.de/wuerde-des-menschen-in-corona-zeiten-vor-dem-tod-kann-der-100.html, abgerufen 29.3.23.

4 Vgl. https://apps.who.int/gb/wgpr/pdf_files/wgpr9/A_WGPR9_3-en.pdf, abgerufen 31.3.23.

5 Vgl. https://apps.who.int/gb/wgihr/pdf_files/wgihr1/WGIHR_Compilation-en.pdf, abgerufen 31.3.23.

 

Über die Autorin / den Autor:

Pfarrer Tilman Gerstner, Pfarrer in Stuttgart, Online-Supervisor, Mediator, Heilpraktiker.

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 5/2023

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