Bei CONTOC2 handelt es sich um eine evangelische Nachfolgestudie des zwei Jahre zuvor durchgeführten internationalen ökumenischen Forschungsprojekts „Churches Online in Times of Corona“ (vgl. contoc.org). Die aktuell gewonnene Stichprobe resultiert aus den Antworten von insgesamt rund 1500 kirchlichen Hauptamtlichen aus Deutschland und der Schweiz. Erstmals wurden in dieser Bandbreite neben Pfarrer*innen auch Kirchen­musiker*innen, Gemeinde- und Sozialdiakon*innen sowie Religionspädagog*innen zum gegenwärtigen Stand digitaler Kommunikationspraktiken in der Kirche befragt. Im Fokus standen Fragen zur Einschätzung der Chancen und Risiken von Online-Kommunikation, nach dem individuellen Arbeitsaufwand in den unterschiedlichen Berufsfeldern, der digitalen Angebotspraxis in Gottesdienst, Seelsorge und Bildung, nach den vorhandenen Unterstützungssystemen und dem damit verbundenen aktuellen Handlungsbedarf. Die Autor*innen der Studie berichten.

 

1. Zum Hintergrund der CONTOC2-Studie

Im Rahmen der ersten internationalen und ökumenischen CONTOC-Studie wurden im Frühsommer des Jahres 2020 evangelische und katholische Pfarrpersonen in 19 Ländern zu ihrer Arbeit unter den Bedingungen des Lockdowns nach Ausbruch der Corona-Pandemie befragt. Mithilfe von rund 6500 vollständig beantworteten Online-Fragebögen konnte ein umfangreicher Datensatz gewonnen werden.1 In dem quantitativ und qualitativ ausgerichteten Fragebogen ging es vor allem um den Einsatz digitaler Medien in der kirchlichen Arbeit und die Durchführung digitaler Formate in dieser spezifischen Situation des ersten Lockdowns. Für diesen Zeitraum zeigte sich in den Auswertungen eine erstaunliche Breite und Flexibilität in der kreativen Entwicklung neuer Online- und Offline-Formate. Die Pandemie war – so eine damalige wesentliche Erkenntnis – für die kirchlichen Hauptamtlichen Anlass, in kreativer und innovativer Weise Formate digitaler religiöser Kommunikation zu entwickeln.

Die im Frühsommer 2022 durchgeführte CONTOC2-Studie, die sich aus verschiedenen, nicht zuletzt arbeitsökonomischen Gründen auf den deutschen und schweizerischen evangelischen Bereich konzentrierte, hatte zum Ziel, die durch die Pandemie seinerzeit angestoßenen Entwicklungen in Bezug auf den Einsatz digitaler Medien in ihrer gegenwärtigen Gestalt und möglicherweise verstetigten Form eines „New Normal“ zu erfassen.2

 

2. Der erweiterte Fokus von CONTOC2

Mit der CONTOC2-Studie wurde durch die Erweiterung auf unterschiedliche kirchliche Berufsgruppen die in der ersten Studie aus methodischen Gründen vorgenommene Beschränkung auf Pfarrpersonen weiter aufgefächert. In den insgesamt fast 1500 Antworten ist nun die berufliche Bandbreite von Hauptamtlichen aus der EKD und der EKS stärker abgebildet: Befragt wurden Diakon*innen, Gemeindepädagog*innen, Katechet*innen, Kirchenmusiker*innen und Pfarrer*innen zum Einsatz digitaler Medien. Neu hinzugekommen ist auch die Frage nach der Bedeutung von digitalen Formaten für die Erfüllung kommunikativer Bedürfnisse wie persönlicher Begegnung, Unterstützung und Ermutigung, Gemeinschaftsbildung sowie Vernetzung in den kirchlichen Handlungsfeldern Gottesdienst, Seelsorge und ­Bildung.

Fokussiert wurde wie bei der ersten Studie auf die Selbsteinschätzungen der befragten Personen zu ihrer Versiertheit im Umgang mit digitalen Medien, das derzeitige Angebot digitaler Formate in unterschiedlichen kirchlichen Handlungsfeldern, die mit dem Einsatz derselben verbundenen Chancen, die vorhandenen Unterstützungssysteme sowie auf bestehende Unterstützungs- und Handlungsbedarfe. Für die Konzeptionierung der CONTOC2-Studie wurden die Ergebnisse der ersten CONTOC-Studie berücksichtigt, um so den Entwicklungen und möglichen Mustern der Nutzung digitaler Medien sowie der Etablierung digitaler Kommunikationspraktiken im kirchlichen Kontext nachzugehen.3

 

3. Erste Ergebnisse der CONTOC2-Studie

3.1 Berufsgruppen

Ein großer Teil der Fragebögen (863) wurde von Pfarrpersonen ausgefüllt. Die am zweit- und drittstärksten vertretenen Berufsgruppen sind Diakon*innen bzw. Sozialdiakonische Mitarbeiter*innen (125) und Kirchenmusiker*innen (122), die weiteren Rückläufe erfolgten durch Katechet*innen, Gemeinde-, Religions- und Sozialpädagog*innen sowie „Andere“4.

Dieser Umstand lässt sich dadurch erklären, dass die verschiedenen Berufsgruppen – insbesondere in Deutschland – nicht über zentral anzusteuernde eMail-Listen adressiert werden konnten und die Erreichbarkeit je nach Landes- bzw. Kantonalkirche sehr unterschiedlich ausfiel. Auch für Pfarrpersonen liegen nur teilweise zentrale Mail-Verteiler vor, andere Berufsgruppen werden häufig über Pfarrbüros erreicht, von denen Mitteilungen zu den Zielgruppen weitergeleitet werden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Aufgabe interner kirchlich-digitaler Kommunikationswege in besonders dringlicher Weise.

3.2 Persönliche Versiertheit

Knapp die Hälfte der Teilnehmenden schätzt sich im Umgang mit digitalen Medien als „eher“ oder „sehr versiert“ ein: in Deutschland 47,2% und in der Schweiz 46,8%.5 In der ersten CONTOC-Studie hatten sich in Deutschland 41%, in der Schweiz 41,7% der Befragten dementsprechend geäußert. Als „eher“ oder „sehr ungeübt“ schätzen sich in Deutschland lediglich 14,9%, in der Schweiz nur 16,4% der Befragten ein. Während der ersten Befragung waren es auf deutscher Seite 22,4%, auf Schweizer Seite 21,3%, die sich für ungeübt hielten. Die Einschätzung der persönlichen Versiertheit im Umgang mit digitalen Medien fällt insgesamt somit deutlich positiv aus.

Zwar ist, methodisch gesprochen, ein statistischer Vergleich zwischen beiden Studien im engeren Sinne nicht möglich, da sich die beiden Stichproben unterscheiden und nicht auf dieselbe Grundgesamtheit bezogen werden können. In der Selbsteinschätzung der Befragten liegen die Werte für die Zustimmung zur eigenen Versiertheit in der aktuellen Studie insgesamt höher. So steht zu vermuten, dass es seit Beginn der Pandemie eine gesteigerte Notwendigkeit digitaler Kommunikation gab, die sich anschließend zu einem gewissen Teil verstetigt bzw. normalisiert hat.

Trotz dieser Ergebnisse halten sich die beruflichen und gemeindlichen Aktivitäten in Sozialen Netzwerken und auf Sozialen Plattformen in einem überschaubaren Rahmen. Knapp die Hälfte der Teilnehmenden aus den deutschen Kirchen geben an, dass ihre Gemeinde in den Sozialen Medien präsent ist, in der Schweiz sind es noch weniger.6 Die berufliche Nutzung ist in Deutschland am höchsten unter Pädagog*innen (67,7%) und Pfarrer*innen (48,4%), in der Schweiz unter Sozialdiakonischen Mitarbeiter*innen (50,8%), dicht gefolgt von Pfarrer*innen (48,8%). Gründe hierfür könnten in den jeweiligen Milieus und Altersgruppen derjenigen Einzelpersonen und Gruppen liegen, mit denen die genannten Hauptberuflichen vorwiegend zusammenarbeiten. Die Ergebnisse könnten aber auch darauf hinweisen, dass Vernetzung z.B. aufgrund von berufsgruppeninternen Gewohn- oder Besonderheiten sowie von, durchaus berechtigten, Vorbehalten gegenüber Sozialen Medien über andere Kanäle aufgebaut und aufrechterhalten wird. Nähere Berufsgruppenvergleiche werden in weiteren Auswertungsschritten ein differenzierteres Bild auf die Großwetterlage digitaler Versiertheit in den beiden evangelischen Ländern ermöglichen.

3.3 Chancenreichtum

Ein Großteil der Befragten sieht in Online-basierter Kommunikation „eher“ oder „viele Chancen“.7 Lediglich 8,5% der deutschen und 10,3% der Schweizer Teilnehmenden sehen in Online-Kommunikation „eher“ oder „viele Risiken“. Festzuhalten ist deshalb, dass trotz der nicht mehrheitlich vertretenen Versiertheit im Umgang mit digitalen Medien und des relativ geringen beruflichen Gebrauchs Sozialer Medien, kirchliche Online-Kommunikation von allen befragten Berufsgruppen in beiden Ländern deutlicher als Chance denn als Risiko eingeschätzt wird.

3.4 Arbeitsaufwand

Nach Auskunft der Befragten ist der Arbeitsaufwand durch die Nutzung digitaler Medien während der letzten zwei Jahre deutlich gestiegen. In Deutschland stellen 69%, in der Schweiz 61% einen „etwas“ oder „deutlich größeren“ Arbeitsaufwand fest. Ein kleiner Anteil schätzt ihn „etwas“ oder „deutlich geringer“ ein: in Deutschland 6,9% und in der Schweiz 11,2%. Digitale Formate werden von kirchlichen Hauptamtlichen offensichtlich als zusätzliches Arbeitsfeld zu analogen Formaten, als „Add-on“, nicht als notwendigerweise ohnehin immer mitzudenkendes und mitzupraktizierendes Querschnittsthema durch sämtliche kirchliche Handlungsfelder hindurch angesehen. Von einer Selbstverständlichkeit der Verwendung digitaler Medien, was eine gelungene Aufgabenteilung mit dem Ziel gegenseitiger Entlastung voraussetzt, sind die evangelischen Kirchen in der Schweiz und in Deutschland auf Gemeindeebene demnach noch deutlich entfernt.

3.5 Digitale Angebotsformen – Gottesdienst, Seelsorge, Bildung

In Deutschland führen rund 39% und in der Schweiz rund 42% der Befragten „wöchentlich“ oder zumindest „sporadisch“ digitale Gottesdienstformen durch. Dies weist darauf hin, dass kleinere digitale Formen in der institutionellen Realität kirchlicher und gemeindlicher Organisations- und Ausdrucksformen Einzug halten. Die am häufigsten genannten Gründe für das Nicht-Angebot digitaler Gottesdienste sind Zeitmangel und ein konstatierter fehlender Bedarf. Diese letztgenannte Einschätzung könnte aber auch auf die Bevorzugung analoger Gottesdienstformen hinweisen oder aber auf eine Ausdifferenzierung der Angebote und/oder auf Kooperationen mit übergemeindlichen Angeboten, worauf weitere Ergebnisse der Studie hinweisen.

In Bezug auf Seelsorge wird der Einsatz digitaler Medien vor allem als Chance für „individuelle Gebetsanliegen“ und „Seelsorgebegegnungen ‚bei Gelegenheit‘“ bewertet. Als weniger hilfreich werden digitale Seelsorgeformate für die Begleitung Sterbender und für die Begegnung in Einrichtungen, wie z.B. Altersheimen und Kliniken, angesehen. In Anbetracht des Bedarfs an Seelsorge gerade in Phasen der besonderen Vulnerabilität durch Erkrankung, in Zeiten der Einsamkeit und im Sterben wäre hier die Frage, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssten zugunsten eines Ausbaus digitaler Seelsorge, damit kirchliche Hauptamtliche ihrem Auftrag zur Begleitung von Menschen in existenziellen Notsituationen nachkommen können.

Deutlich mehr als die Hälfte der Befragten aus Deutschland und der Schweiz bietet digitale Bildungsformate an. Potenzial wird hierbei vor allem in der Konfirmand*innenarbeit und Arbeit mit Jugendlichen sowie in der Arbeit mit Erwachsenen und Ehrenamtlichen gesehen. Für die Arbeit mit Senior*innen und Kindern wird der Einsatz digitaler Medien nicht als Chance bewertet.8 Dabei könnten durch die Entwicklung digitaler Formate gerade Risikogruppen, wie z.B. Senior*innen, profitieren, da ihnen trotz (Selbst-)Isolation die Teilnahme an kirchlichen Bildungsveranstaltungen ermöglicht würde. Dieses Ergebnis verwundert jedenfalls hinsichtlich der vielfältigen Bildungsformate, die vor allem in schulischen Zusammenhängen in der Zeit von Lockdowns und Schulschließungen entstanden sind, seitdem ausgebaut wurden und bis heute Verwendung finden, und dies in Ergänzung zur jetzt wieder möglichen Präsenz von Kindern und Jugendlichen in den jeweiligen Bildungseinrichtungen. Hybride Formate werden in den drei benannten kirchlichen Handlungsfeldern bisher weder in Deutschland noch in der Schweiz in breiterem Maße angeboten.9

Die Möglichkeit, kommunikative Bedürfnisse digital aufzugreifen, wird von den Befragten in beiden Ländern und in allen drei Handlungsfeldern für relevant gehalten: Durch digitale kirchliche Kommunikation kann den kommunikativen Bedürfnissen nach persönlicher Begegnung, Unterstützung und Ermutigung, Gemeinschaftsbildung und Vernetzung entsprochen werden. Diese Einschätzung zeigt sich interessanterweise auch bei denjenigen Befragten, die selbst keine digitalen Formate in den Bereichen Gottesdienst, Seelsorge oder Bildung anbieten.

Interessant ist hinsichtlich der digitalen und hybriden Formate auch, dass sich in den evangelischen Kirchen in beiden Ländern ein inkohärentes Bild zeigt: Vor allem in den Bereichen Seelsorge und Bildung ist keine ausgeprägte Bezugnahme auf hybride Formate erkennbar. Dies kann zugleich als Hinweis darauf gelten, dass von einer umfassenden digitalen Transformation der Kirchen (noch) nicht gesprochen werden kann. Insofern lässt sich dies über die genannten Einzelaspekte hinaus als grundsätzliche Anfrage an das Mischungsverhältnis von analogen und digitalen Kommunikationsformen in der Kirche insgesamt formulieren.

3.6 Unterstützung

Es ist ebenfalls sehr klar: Die befragten Hauptamtlichen in Deutschland und der Schweiz wünschen sich mehr Unterstützung. In Deutschland wird diese vor allem „durch kirchliche Fachstellen“ (Pädagog*innen: 54%; Pfarrer*innen: 49,5%) und „durch IT meiner Kirche“ (Pfarrer*innen: 50,8%; Pädagog*innen: 46%) angefragt. Der Unterstützungsbedarf wird zudem in Deutschland insgesamt höher eingeschätzt als dies in der Schweiz der Fall ist.10 In der Schweiz wünschen sich knapp die Hälfte der befragten Pfarrer*innen (47,6%) und ein Drittel der teilnehmenden Katechet*innen (34,9%) sowie Sozialdiakonischen Mitarbeiter*innen (33,3%) Unterstützung vor allem „durch kirchliche Fachstellen“, Sozialdiakonische Mitarbeiter*innen (38,2%) und Pfarrer*innen (33,7%) zudem „durch IT meiner Kirche“.

Deutlich wird, dass hauptamtlich in der Kirche Tätige trotz bereits erfolgter Entwicklung von Digitalisierungsstrategien in der EKS und der Einrichtung von Stabsstellen für Digitalisierung in der EKD mehr Unterstützung im Umgang mit digitalen Medien benötigen. Hauptamtliche in Deutschland und der Schweiz stimmen überwiegend den Aussagen zu, dass Handlungsbedarf v.a. in Bezug auf den nachhaltigen Ausbau struktureller Rahmenbedingungen und kirchlicher Unterstützungssysteme, angesichts theologischer Reflexion und Kriterienbildung, hinsichtlich der Begleitung und Förderung von Ehrenamtlichen sowie im Hinblick auf das Angebot von Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten bestehe. Zudem würden die Teilnehmenden eine vermehrte Kooperation untereinander und die Förderung der Arbeit Ehrenamtlicher und Freiwilliger in der Produktion und Durchführung digitaler Formate begrüßen. Dies lässt vorsichtig gesagt vermuten, dass der Einsatz digitaler Medien eine Zusammenarbeit der unterschiedlichen Berufsgruppen sowie von Haupt- und Ehrenamtlichen stärker fördert und auch fordert, als es in traditionellen analogen Formaten bislang gesehen worden ist. Die Ergebnisse lassen den weitergehenden Schluss zu, dass kirchliche Hauptamtliche, wenn sie entsprechende Unterstützung erhielten, durchaus engagiert bereit wären, ihre digitalen kirchlichen Kommunikationspraktiken auszubauen.

Der Einsatz digitaler Medien in der kirchlichen Kommunikation hat somit bezüglich klassischer gemeindlicher Zuständigkeiten und Aufgabenbereiche ein hohes Innovationspotenzial, stellt aber auch die bisherigen Formen und Strukturen der Arbeitsteilung zwischen den unterschiedlichen Berufsgruppen bzw. mit Ehrenamtlichen vor erhebliche Herausforderungen. Wie sich digitale Kommunikationspraktiken dauerhaft auf die Rolle von Hauptamtlichen sowie die Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen in der Gemeinde auswirken, wird durch weitergehende Auswertungen des Forschungsteams untersucht werden.

 

4. Ein vorläufiges Fazit

Das nachhaltige Interesse an der Entwicklung digitaler kirchlicher Kommunikationsformate lässt den Schluss zu, dass Kirche sich zwei Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie in der Tat in einem „New Normal“ befindet. Mit der hohen Aktivität bezüglich digitaler und der beginnenden Etablierung hybrider Formate geht aber erkennbar ein erhöhter Arbeitsaufwand einher. Auch weisen das hohe Bedürfnis nach Unterstützung und der von den Befragten artikulierte Handlungsbedarf auf strategische, strukturelle und ressourcenbezogene Defizite in den Landeskirchen hin. Durch die Ergebnisse der CONTOC2-Studie lässt sich ein Bild zeichnen, bei dem ein Teil der Hauptamtlichen, sozusagen als Gruppe kreativer Aktiver, bezüglich der Entwicklung digitaler kirchlicher Formate stark engagiert ist, und ein anderer Teil der Hauptamtlichen vor der verstärkten Etablierung digitaler Kommunikationspraktiken in der Kirche eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für nötig hält und einfordert.

Die Bedeutung digitaler kirchlicher Angebotsformate für die Erfüllung kommunikativer Bedürfnisse wie z.B. dem Wunsch nach persönlichem Kontakt und Vernetzung wird eindrücklich deutlich. Nicht nur digital Aktive sehen eher Chancen als Risiken in Online-basierter Kommunikation: Dies eröffnet einen Verstehenshorizont für die Frage, warum in der Entwicklung digitaler Formate über die Gottesdienstformate hinaus in den Bereichen Seelsorge und Bildung erhebliches Potenzial liegt.

All diese Einsichten verweisen auf die Notwendigkeit weiterer systematischer ekklesiologischer Klärungen. Denn der Einsatz digitaler Medien wird voraussichtlich dazu führen, dass Kompetenzen und Aufgabenbereiche im gemeindlichen Kontext nicht mehr durch traditionelle Grenzen zwischen professionellem Personal und Ehrenamtlichen von vorneherein festgelegt, sondern in kommunikativ-kooperativen Prozessen neu auszuhandeln sind. Um das zu erreichen, bedürfen die bereits aufweisbaren Aktivitäten und Potenziale einer innerkirchlichen und öffentlich erkennbaren Verstetigung, die nicht ohne die entsprechende theologische Reflexion und Kriterienbildung vonstattengehen kann.

Zudem sind jeweils vor Ort grundsätzlich Überlegungen zu hybriden Angebotsportfolios notwendig. Dabei sollte der „digitale Raum“ nicht als zusätzlicher Ort kirchlicher Praxis gesehen werden, der sozusagen neben dem Kirchengebäude, dem Kindergarten und dem Senior*innenheim von allen kirchlichen Hauptamtlichen zusätzlich bespielt werden muss. Denn Digitalität betrifft als Querschnittsaufgabe sämtliche kirchlichen Handlungsbereiche, wodurch klassische Zuständigkeiten produktiv hinterfragt werden sollten. Möglicherweise lassen sich auch Effekte gegen die derzeit erlebte erhöhte Arbeitslast nutzen, denn mit dieser Frage sind Digitalisierungsprozesse ebenfalls eng verbunden: Schaffen sie einen Mehrwert für kirchliches Handeln und helfen sie, kirchliche Arbeit effizienter zu gestalten?

Insofern münden Überlegungen zum Einsatz digitaler Medien und digitaler Kommunikationspraktiken in der Kirche in die Frage: Woran wird sich Kirche in Zukunft orientieren? An einer Vorstellung analoger Praxis, wie sie bisher prägend war? Oder an der Vorstellung von einer Kirche, die ihre Kommunikation auf die „Kultur der Digitalität“11 einstellt und sich als Teil von dieser versteht, durchaus kritisch konstruktiv, aber eben aktiv an der Gestaltung von dieser beteiligt? Die Erhebung, Auswertung und Analyse der Ergebnisse der CONTOC2-­Studie unter Hauptamtlichen in evangelischen Gemeinden Deutschlands und der Schweiz legt aus unserer Sicht eine Grundlage dafür, diese Frage in Auseinandersetzung mit derzeitigen kirchlichen Herausforderungen und gesellschaftlichen Entwicklungen forciert anzu­gehen.

 

Weitere Literatur

CONTOC-Studie: 2020. https://contoc.org/de/contoc/ (letzter Zugriff: 23.10.2022)

CONTOC2-Studie – allgemein: 2022. https://contoc.org/de/contoc-2/ (letzter Zugriff: 24.10.2022)

CONTOC2-Studie – erste Ergebnisse: 2022. https://contoc.org/de/contoc2-digitalisierung-in-der-kirche-aktivitaeten-potenziale-chancen-und-was-jetzt-fehlt/ (letzter Zugriff: 25.10.2022)

Georg Lämmlin/Hilke Rebenstorf/Gunther Schendel: Kirchengemeindliche Kommunikation in der Pandemie – empirische Einsichten aus CONTOC, Gemeindestudie und Erprobungsräumen, in: epd-Dokumentation 32 (2021), 11-15

Ilona Nord/Oliver Adam: #14 Churches Online in Times of Corona (CONTOC): First Results, in: Heidi Campbell, Revisiting the Distanced Church, 2021, 77-96

Thomas Schlag: Kirche in Zeiten der Pandemie. Einblicke in die Studie „Churches Online in Times of Corona“ (CONTOC). Folgewirkungen und praktisch-theologische Folgerungen, in: Prospektiv 14 (2021), 7-8

Thomas Schlag/Ilona Nord: Einblicke in die internationale und ökumenische CONTOC-Studie. Kirche in Zeiten der Pandemie: Erfahrungen – Einsichten – Folgerungen, in: DPfBl 121 (12/2021), 737-742 (2021a)

Thomas Schlag/Ilona Nord: Zurück ins Zentrum? Gottesdienstliche Praxis in Krisen-Zeiten digitaler Kommunikation. Beobachtungen und Reflexion im Zusammenhang der CONTOC-Studie 2020, in: epd-Dokumentation 4 (2021), 16-21 (2021b)

Thomas Schlag/Ilona Nord/Wolfgang Beck/Arnd Bünker/Georg Lämmlin/Sabrina Müller/Johannes Pock/Martin Rothgangel (Hrsg.): Kirchen Online in Zeiten der Pandemie – Empirische Einsichten, Interpretationen und Folgerungen der CONTOC-Studie, Wiesbaden 2023

Felix Stalder: Kultur der Digitalität, Berlin2 2017

 

Anmerkungen

1 Zu den Ergebnissen der ersten CONTOC-Studie vgl. vgl. https://contoc.org/de/contoc/, Lämmlin e.a. 2021; Nord/Adam 2021; Schlag 2021; Schlag/Nord 2021a; Schlag/Nord 2021b. Der Sammelband zur Studie wird Anfang 2023 unter dem Titel „Kirchen Online in Zeiten der Pandemie – Empirische Einsichten, Interpretationen und Folgerungen der CONTOC-Studie“ erscheinen.

2 Zur CONTOC2-Studie allgemein, vgl. https://contoc.org/de/contoc-2/. Die wiederum quantitativ und qualitativ ausgerichtete Fragestellungen umfassende, nun allerdings auf die evangelischen Kirchen in Deutschland und der Schweiz (im Folgenden: EKD und EKS) konzentrierte, Online-Umfrage wurde von Ilona Nord, Jürgen Deniffel und Oliver Adam an der Universität Würzburg, von Thomas Schlag, Stefanie Neuenschwander, Katharina Zurgilgen und Katharina Yadav an der Universität Zürich sowie dem dortigen Zentrum für Kirchenentwicklung (ZKE) und Georg Lämmlin vom dem Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD (SI) verantwortet und durchgeführt. Erste Ergebnisse dazu wurden am 28. September 2022 in einem Online-Workshop einem breiten Publikum aus kirchlicher Praxis und theologisch-ekklesiologischer Forschung vorgestellt, vgl. dazu https://contoc.org/de/contoc2-digitalisierung-in-der-kirche-aktivitaeten-potenziale-chancen-und-was-jetzt-fehlt/.

3 Die aktuell gewonnene Stichprobe von CONTOC2 bildet klare Tendenzen ab. Gemessen an den Grundgesamtheiten der EKD und der EKS ist ferner festzustellen, dass die Teilnahme an dieser zweiten Studie aus einigen Landeskirchen und Kantonalkirchen überproportional hoch ausfiel. Dabei handelt es sich um die Evang.-luth. Kirche in Bayern, die Evang.-luth. Landeskirche Hannovers, die Evang. Kirche in Hessen und Nassau, die Evang. Kirche von Kurhessen-Waldeck und die Evang. Kirche im Rheinland; in der Schweiz um die Kantonalkirchen Aargau, Bern, St. Gallen und Zürich.

4 Die etwas rätselhafte Gruppe der „Anderen“ umfasst 167 Rückantworten aus Deutschland und der Schweiz. Hier werden weitere Auswertungen vonnöten sein, um einen differenzierteren Einblick in diese große und vermutlich recht heterogene Gruppe von kirchlichen Hauptamtlichen zu erhalten.

5 Als „durchschnittlich versiert“ schätzen sich 37,8% auf deutscher, 36,6% auf schweizerischer Seite ein.

6 Während in Deutschland 52,9% der befragten Pädagog*innen, 45,7% der befragten Pfarrer*innen und 44,6% der befragten Kirchenmusiker*innen eine Präsenz ihrer Gemeinde in Sozialen Medien angeben, sind es in der Schweiz nur 22,6% der befragten Sozialdiakonischen Mitarbeiter*innen, 48,9% der befragten Pfarrer*innen und 12% der befragten Kirchenmusiker*innen.

7 In Deutschland sind es 72,6%, in der Schweiz 64,1% der Befragten.

8 Auf deutscher Seite sehen nur 23,54% der Befragten hier eine Chance, auf Schweizer Seite sogar nur 16,67%.

9 Die höchste Zustimmung findet sich mit 26% der Befragten in Deutschland und der Schweiz auf die Frage, ob hybride Gottesdienste angeboten werden.

10 In der Schweiz erhalten 51,1% der teilnehmenden Kirchenmusiker*innen, 31,8% der befragten Katechet*innen und Sozialdiakonischen Mit­arbeiter*­innen und 17,5% der Pfarrer*innen genügend Unterstützung. In Deutschland sind es nur 26,5% der teilnehmenden Kirchenmusiker*innen, 15,3% der befragten Pädagog*innen und 13% der Pfarrer*innen, die keine weitere Unterstützung benötigen.

11 Vgl. Stalder 2017.

 

Über die Autorin / den Autor:

Prof. Dr. Thomas Schlag, Professor für Prakt. Theologie mit den Schwerpunkten Religionspädagogik, Kirchentheorie und Pastoraltheologie an der Theol. Fakultät der Universität Zürich, dort auch Leiter des Zentrums für Kirchenentwicklung (ZKE) und Direktor der Universitären Forschungsschwerpunktes "Digital Religion(s)".

 

Prof. Dr. Ilona Nord, Professorin für Evang. Theologie mit dem Schwerpunkt Religionspädagogik und Didaktik des Religions­unterrichts am Institut für Evang. Theologie und Religions­pädagogik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

 

Dr. theol. Georg Lämmlin, Direktor des Sozialwiss. Instituts der EKD, Hannover; apl. Professor für Prakt. Theologie an der Universität Heidelberg; Hrsg. (2022): Zukunfts­aussichten für die Kirchen. 50 Jahre Pastoralsoziologie in Hannover (SI-Diskurse, Bd. 4).

 

Katharina Yadav, wiss. Assistentin am Lehrstuhl Prakt. Theologie der Theol. ­Fakultät Zürich.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 4/2023

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