In Deutschland wird, wie schon zuvor in anderen Staaten, die Zahl der durch assistierten Suizid herbeigeführten Todesfälle zunehmen. Früher oder später kann jede Pfarrperson in ihrer Praxis damit konfrontiert sein. Was tun, wenn im Zusammenhang der Planung oder nach Vollendung eines assistierten Suizids vom Pfarramt Begleitung gewünscht wird und Bestattung? Aus Mitgefühl zur Verfügung stehen? Oder um der theologischen Klarheit willen ablehnen? Oder gibt es noch einen Weg dazwischen? – fragt Gunther Seibold.

 

Die EKD und alle deutschen evangelischen Landeskirchen positionieren sich in ihren ethisch-theologischen Äußerungen mit Distanz zum assistierten Suizid.1 Äußerungen einzelner Christinnen und Christen divergieren zwar, aber die Institution Kirche steht einschließlich ihrer Diakonie im ablehnenden Gegenüber zu Sterbehilfeinitiativen. Wie aber mit den Menschen und ihren Anliegen umgehen, die an einzelne Pfarrpersonen herangetragen werden? Dazu gibt es bisher keine Hilfestellungen oder klare Positionierungen in deutschen evangelischen Landeskirchen.

Dieser Beitrag blickt in Nachbarländer mit protestantischen Volkskirchen, in denen der aktiv herbeigeführte Tod schon länger vorkommt. Bei der Tötung auf Verlangen (Niederlande) kommt es zu deutlich höheren Zahlen als beim assistiertem Suizid (Schweiz), weil der Patient Verantwortung abgeben kann.2 Zugleich besteht für die pfarramtliche Begleitung zwischen beidem kein grundsätzlicher Unterschied, da in der Regel hier wie dort ein gemeinsam mit der sterbewilligen Person geplanter Tod stattfindet.3 Obwohl Pfarrpersonen in den Niederlanden häufig und in der Schweiz nicht selten mit dem aktiv herbeigeführten Tod konfrontiert werden, gibt es auch dort keine klaren Hilfen für den pastoralen Dienst.4 Deutliche Regelungen gibt es jedoch in der katholischen Kirche, wie ein Blick auf verschiedene Länder zeigt. Abschließend skizziere ich aus meiner Sicht Perspektiven für die Praxis bei uns.

 

Pastoraler Dienst in den Niederlanden

In den Niederlanden gibt es am meisten Erfahrungen zur Fragestellung in einem protestantischen Land. Auf Nachfrage bei der Protestantischen Kirche in den Niederlanden (PKN) erhielt ich die Auskunft, dass dennoch Regelungen oder Hilfen der Kirchen für die Pfarrpersonen fehlen. Es wird den einzelnen überlassen und diese gehen sehr unterschiedlich mit den vorkommenden Fällen um. In letzter Zeit versucht man, darüber ein besseres Bild zu bekommen (Umfrage unter Pastoren 2019/20205 und unter Kirchenmitgliedern 20226).

In den Niederlanden haben praktisch alle Pfarrpersonen direkten oder indirekten Kontakt mit der Thematik. Die Diskussion über Tötung auf Verlangen seit den 1970ern macht „nicht mehr an Kirchenmauern Halt“: „Jeder kennt jemanden aus seinem Umfeld, der durch Tötung auf Verlangen gestorben ist. Seelsorger kommen in ihrer Seelsorge immer öfter mit Sterbehilfe in Berührung.“7

Die Umfrage ergab, dass im pastoralen Alltag des Jahres 2016 bei 11% der Todesfälle Sterbehilfe ein Thema war (bei als „orthodox“ eingeordneten Pastoren 5%, bei „liberalen“ 13%). Nur ein Fünftel hatte in den letzten fünf Jahren keine Erfahrungen mit Sterbehilfe gemacht.8

Die Sterbehilfethematik wird in der Seelsorge häufig angesprochen, sowohl von den Gemeindegliedern als auch von den Pastoren. „Liberale“ Pastoren richten sich nach vorhandenen Wünschen, „orthodoxe“ haben stärker das Anliegen, darauf hinzuwirken, dass ein Sterbehilfewunsch überdacht wird.

Erstaunlich wenig spielt das Thema eine Rolle in Kirchenvorständen (13% Befassungen in letzten zwei Jahren), obwohl der Wunsch nach breiterer Befassung in den Gemeinden seitens der Pastoren groß ist (64% würden sich das Thema z.B. bei einem Gemeindeabend wünschen).9 Nur 9% der Gemeindeglieder bejahen die Frage, ob ihr Kirchengemeinderat eine Position bezogen hat.10

Die einzelnen Kirchenmitglieder erwarten kirchliche Begleitung in der letzten Lebensphase. Insbesondere die Möglichkeit der kirchlichen Bestattung wird erwartet. Sie rechnen damit, Fragen zum Tod auf Verlangen mit ihrem Pastor besprechen zu können, auch wenn sie seine Einstellung nicht kennen. Wie bei Pfarrpersonen korrespondiert die Einstellung zur Tötung auf Verlangen stark mit dem theologischen Profil von orthodox bis liberal.11

Im Blick auf die Kirchenleitung geben vier Fünftel der Pfarrpersonen an,12 dass sie für ihre Seelsorge Unterstützungsbedarf sehen. Dazu gehört der Wunsch nach einer öffentlichen Positionierung der Kirche – wenn auch vor den unterschiedlichen Hintergründen mit unterschiedlichen Erwartungen. Die Studie stellt fest, dass es relativ oft zu schwierigen seelsorglichen Situationen kommt, wenn unterschiedliche Positionen zur Sterbehilfe zwischen Pastor und Familie bestehen. Noch schwieriger ist die Erfahrung, wenn der Pastor hineingezogen wird in unterschiedliche Positionen in der Familie. Pastoren sind unsicher, wo sie mitgehen sollen und wo nicht. Immer wieder kommt es vor, dass die ­Pastoren dabei eigene Grenzen überschreiten und unglücklich sind.13

Nach dem ersten Gesetz über die Prüfung der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Beihilfe zur Selbsttötung 2002 gab es zunächst stabile Sterbehilfezahlen (um 2000 jährlich). Ab 2006 begann ein Anstieg auf inzwischen ca. 7700 (knapp 5% aller Sterbefälle, Tendenz weiter steigend).14 Die evangelische Theologie in den Niederlanden war anfangs in Gestalt führender liberaler Theologen für die Einführung der Sterbehilfe, auch wenn es warnende Äußerungen von Kirchenleitungen gab. Das Kirchenvolk äußerte sich stets ähnlich plural wie die Gesamtbevölkerung, abgesehen vom kirchlich aktiven Kern, bei dem Vorbehalte deutlicher sind. Aktuell neigen von den Pastoren 59% zu der Ansicht, dass Sterbehilfe mit dem christlichen Verständnis vereinbar sei, während 39% hier einen Konflikt sehen.15

Seitdem die Zahlen zuletzt weiter steigen, wird die Haltung in der PKN öffentlich kritischer. Theo Boer gehörte neun Jahre lang den Prüfstellen für Sterbehilfe an und schied 2014 dort aus, weil die Grenzen immer weiter verschoben wurden.16 Als führender Theologe seiner Kirche zum Thema hielt er 2021 bei einer Themensynode den Leitvortrag mit durchgehend kritischem Ton.17 Er möchte zwar nicht der Umkehrung der Tötung auf Verlangen das Wort reden, sondern die demokratische Entscheidung respektieren und die Tötung auf Verlangen als Notlösung christlich akzeptieren. Andererseits begründet er mit zahlreichen theologischen Vorbehalten die Bevorzugung anderer Wege, um in Würde zu sterben. Boer erkennt einen Wandel vom Mitgefühlsmotiv zum Autonomiemotiv. Er sieht daneben Tendenzen zur Sterbehilfe bei Kindern oder auch zur Entscheidung durch Dritte über nicht entscheidungsfähige Menschen. Jeder neunte Niederländer hat die Sorge, ungebeten Tötung auf Verlangen zu erfahren. In seiner vorsichtigen Art passt Boer am Ende die Frage­richtung an und priorisiert nicht die Frage, „ob Tötung auf Verlangen erlaubt ist oder nicht, sondern ob sie zu uns als Christen passt“.18

 

Pfarrpersonen in der Schweiz

In der Schweiz ist Hilfe zur Selbsttötung im Allgemeinen nicht strafbar. Schon in den 1980er Jahren wurden Vereine für selbstbestimmtes Sterben gegründet. Seit 2011 gibt es eine verstärkte Wahrnehmung. Teilweise wurden gesetzliche Regelungen geschaffen, die Zugang für Sterbehilfeorganisationen regeln. Seit 2010 hat sich die Zahl der assistierten Suizide bis 2018 auf 1176 Fälle mehr als verdreifacht (2% der Todesfälle).19 Nicht mitgezählt sind Fälle ausländischer Staatsbürger, die zum assistierten Suizid in die Schweiz kommen (ca. 250).20

Das Buch „Assistierter Suizid und kirchliches Handeln“ von Christoph Morgenthaler et al. stellt Fallbeispiele aus praktisch-theologischer Sicht dar und wertet sie aus.21 Die Berichte machen deutlich, dass Pfarrpersonen von den ersten Überlegungen zu einem assistierten Suizid bis zur Bestattung und Trauerarbeit in allen Stadien gefragt sind.

Eine Handreichung zum Umgang mit assistiertem Suizid im Seelsorgedienst besteht nicht. Eine 2007 vom Rat des Schweizerischen Kirchenbundes genehmigte Publikation hält lediglich fest: „Die Seelsorgerin und der Seelsorger sind Nächste oder Nächster. Eine Person zu begleiten bedeutet aber nicht, sich ihr Handeln zueigen zu machen, sie in ihrem Handeln moralisch zu unterstützen oder ihre Entscheidungen zu rechtfertigen.“22 Ein Positionspapier der Kirche im Kanton Waadtland kommt zu dem Schluss: „Endgültige ethische Leitlinien können hier nicht gegeben werden, da die Positionen der jeweils anderen Seite je nach Herangehensweise an Fragen der Achtung des Lebens, der Würde und der individuellen Freiheit variieren.“23

Wo keine endgültigen Leitlinien möglich sind, werden aber auch keine vorläufigen gegeben: Jeder „ist aufgerufen, seine eigenen Überzeugungen zu schmieden. Es gibt keine richtige oder falsche Art zu denken.“ Konkreter auf den Verlauf der Dinge bezogen: „Wie weit soll der Prozess begleitet werden? Vor und nach dem Tod, sicherlich. Während des Aktes selbst? Die Frage kann offenbleiben.“24 Auch Morgenthaler et al. schließen sich dem an, dass sich kirchliche Positionen nicht in eindeutige Handlungsoptionen überführen ließen.25 Zugleich wird gesehen, dass ein „vielstimmiger Dauerdiskurs“ manchem „die Orientierung eher erschwert als erleichtert“ und ein Orientierungsbedarf besteht.26

Die Berichte bei Morgenthaler et al. zeigen, dass sich angefragte Pfarrpersonen in der Regel auf die Begleitung einlassen und für die Beteiligten eine hilfreiche Funktion übernehmen können. Zugleich forderte die ungeklärte Lage zu ständigem Abwägen heraus. Wo die persönliche Beziehung funktioniert, führt das wohl auch zum Respektieren gegenseitiger Grenzen. Keine der dokumentierten Pfarrpersonen sah sich zu einer Handlung gezwungen. Während des Sterbevorgangs war keine von ihnen anwesend. Intensiv gerungen werden musste öfter über die Frage, ob die Todesart bei der Bestattungsfeier verschwiegen werden sollte oder nicht, wobei es zu unterschiedlichen Lösungen kam. Neben Befriedigung über den seelsorglichen und liturgischen Dienst bei den Pfarrpersonen kommt es auch zu Zweifeln: „Eigentlich erst im Nachhinein frage ich mich, ob ich durch mein Handeln nicht etwas legitimiert habe, was ich als Theologe infrage stellen sollte.“27

 

Katholische Kirche

In der katholischen Weltkirche gilt die „Erklärung zur Euthanasie“ von 1980, die grundsätzlich kein Recht sieht, den Tod vorsätzlich herbeizuführen, auch nicht, um Schmerzen zu beenden.28 Wie sich die Kirche vor Ort gegenüber Gemeindegliedern verhalten soll, wenn es einen assistierten Suizid gegeben hat, dazu habe ich kein Dokument aus Rom gefunden. Dennoch verhalten sich die katholischen Diözesen offenbar weitgehend einheitlich. Aus Ländern mit entsprechender Gesetzgebung findet man wohlabgewogene Äußerungen der örtlichen Kirchenleitungen. Ich beziehe mich im Folgenden hauptsächlich auf die katholische Handreichung aus den Niederlanden von 2005.29

Die katholischen Äußerungen knüpfen daran an, dass die Verweigerung eines christlichen Begräbnisses nach Suizid im kirchlichen Recht seit 1983 nicht mehr enthalten ist.30 Bei Suizid wird in der Regel von einem unfreien Willen ausgegangen.31 Da die aktive Sterbehilfe und der assistierte Suizid jedoch ausdrücklich auf der Freiheit des Willens aufbauten, müsse sich die Kirche hier konsequent distanzieren. Konkret könne der Priester bei assistiertem Suizid nicht anwesend sein, kein letztes Abendmahl vor dem geplanten Tod geben und eine kirchliche Bestattung wird ausgeschlossen, außer wenn doch eine eingeschränkte Freiheit zu konstatieren ist.32 Auch nicht veröffentlichbare seelsorgliche Gründe, gegebenenfalls von Angehörigen, können eine Ausnahme möglich machen. Ansonsten sei ein sog. Grabgottesdienst möglich und seelsorgliche Begleitung ­sollen Priester und Gemeinden den Menschen jederzeit anbieten.33

 

Zur kommenden Praxis bei uns

Auch in Deutschland34 werden Pfarrpersonen mit dem assistierten Suizid in ihrer Gemeinde befasst sein. Es wird Kirchenmitglieder mit unterschiedlichen persönlichen Überzeugungen dazu geben. Wie bei allen kontroversen Diskursen gilt es, Verständnis für andere zu entwickeln. Niemand weiß, wie er selbst an ihrer Stelle handeln würde. Es ist auch bei ablehnender Haltung der Kirche mit Pfarrpersonen zu rechnen, die fallweise Menschen in ihrer Entscheidung zu einem assistierten Suizid bestärken und sie unterstützen.

Kirchliche Hilfen für alle, die verunsichert sind und einer Leitlinie folgen wollen, werden entlastend sein. Gemeinsame Grundüberzeugungen geben Halt in eigenen Zweifeln und gegenüber Anfragen von außen. Wer einen Bezugspunkt hat, kann im Einzelnen freier handeln. Dazu ein paar vorläufige Perspektiven aus meiner Sicht. Sie gehen davon aus, dass es bei der Haltung der evangelischen Kirche im Ganzen bleibt und sie mit ihrer Botschaft andere Wege als den assistierten Suizid verkündigt.

Ich schlage vor, von „doppelter Trauer“ zu reden. Die eine Trauer ist die im Abschied immer vorhandene Trauer über den Verlust. Sie ist auch da bei Todesfällen, wo es gleichzeitig Frieden, Dankbarkeit, Erlösung und christliche Hoffnung gibt. Die andere Trauer stellt sich ein, wenn ein Mensch bei einem assistierten Suizid eine Entscheidung gegen die Verkündigung der Kirche von Gott und gegen seelsorglichen Rat gefällt hat. Traurig, wenn es nicht möglich war, zu einer anderen Entscheidungsgrundlage zu helfen. Von „doppelter Trauer“ zu reden vermeidet, von Schuld und Vorwürfen zu reden. Trauer verurteilt nicht, sondern bedeutet eine Ich-Botschaft in der schwierigen Situation.

In der Verkündigung wird es darum gehen, ein Einerseits-Andererseits transparent zu machen. Einerseits schafft die kirchliche Verkündigung hilfreiche Klarheit, wenn sie ein Vertrauen in Gott verkündigt, dem ein eigenmächtiges Auslöschen des eigenen irdischen Lebens widerspricht. Pfarrpersonen können sich in der öffentlichen Verkündigung und im persönlichen Gespräch darauf beziehen. Wichtig wird sein, dass die Verkündigung mit Bezug auf geistliche und kirchliche Quellen erfolgt und nicht mit eigenen menschlichen Überzeugungs- oder Überredungsversuchen verbunden wird. Andererseits gehört zur kirchlichen Verkündigung die Freiheit. Der Mensch, der anders entscheidet, wird weiter respektiert. Die Pfarrperson trägt nichts bei, was einen assistierten Suizid befördert, aber steht für die Eigenverantwortlichkeit der Betroffenen ein, auch gegenüber Dritten. Sie handelt für ein versöhnliches Miteinander, z.B. auch, wenn Angehörige mit einer Entscheidung zu assistiertem Suizid Schwierigkeiten haben. Sie steht für eine Kirche, die für eine menschenfreundlichere Kultur tätig ist, bei der Leiden nicht eliminiert, sondern gemeinsam getragen wird, und bietet Hilfen zur Erleichterung durch Sterbebegleitung, Hospize oder Palliativmedizin an.

Wo Pfarrpersonen Menschen begleiten, die sich zum assistierten Suizid entschieden haben, entspricht es ihrem Auftrag, zur Begleitung bis zuletzt bereit zu sein. Die kirchliche Botschaft ist: „Wir verlassen dich nicht, weil wir der Zusage Gottes folgen wollen, der dich nicht verlässt.“ Gleichzeitig ist Freiheit: Wo der Mensch uns verlässt, im Vollzug seines Suizids, sind wir nicht dabei. Ich müsste sonst intervenieren, dem Rad in die Speichen fallen und Leben retten. Im Blick auf das Zeugnis der Kirche als Ganzer dient es sicherlich der Klarheit, dass auch solche Pfarrpersonen, die den assistierten Suizid befürworten, nicht in Amtskleidung dabei an­wesend sind.

Unterscheiden möchte ich „begleiten“ und „beteiligen“: Es gilt, zur Begleitung bis zuletzt bereit zu sein und gleichzeitig Abstand zu nehmen von allem, was als Beteiligung am Vollzug des assistierten Suizids gewünscht wird. Beim Wunsch nach Abendmahl oder Segen möchte ich unterscheiden, ob es zum Leben gewünscht wird oder als Baustein für den geplanten tödlichen ­Ablauf.

Wo es im Anschluss an einen assistierten Suizid um die Bestattung durch die Kirche geht, gilt der Grundsatz christlicher Barmherzigkeit, bei allen Toten für ein würdiges Begräbnis zu sorgen. Die Möglichkeit eines Bestattungsgottesdienstes besteht ohne Abstriche. Wo die Kirche zwar die Bestattung bei assistiertem Suizid grundsätzlich gewährt, bedarf es jedoch der Regelungen im Blick auf die jeweils betroffene Pfarrperson. Es kann Umstände geben, dass sie nicht zur Beteiligung verpflichtet werden kann, z.B. wenn ein Gemeindeglied gegen die Verkündigung ihrer Pfarrperson oder sogar gegen deren ausdrücklichen Rat den assistierten Suizid gewählt hat. Die Kirchenleitung wird dann für eine ­andere Zuständigkeit sorgen können.

Für die verschiedenen Anlässe in der Gemeinde, bei denen zu Fällen von assistiertem Suizid gesprochen wird, werden vorformulierte Textbausteine hilfreich sein. Wie kann beispielsweise die „doppelte Trauer“ im Bestattungsgottesdienst transparent werden? Die Beispiele aus der Schweiz zeigen, dass es entlastet, wenn dieser Punkt einschließlich Formulierung vorgegeben ist und nicht diskutiert werden muss. Geeignete Formulierungen können gemeinsam erarbeitet werden und dann individuell verwendbar sein. Auch eine codierte Sprache kommt in Frage.

Zu einem transparenten kirchlichen Umgang mit Fällen von assistiertem Suizid gehört, die doppelte Trauer authentisch zur Sprache zu bringen. Äußerliche Zeichen scheiden dafür aus, weil ein strafender Beigeschmack nicht ausgeschlossen werden kann. Denn grundsätzlich gilt, dass die Kirche für durch assistierten Suizid aus dem Leben gegangene Christinnen und Christen dieselbe christliche Hoffnung hat wie für alle Gläubigen, auch wenn ein Mensch sich in seiner letzten Handlung nach kirchlichem Verständnis gegen Gottes Verheißung und Gebot entschieden hat. Es gilt, ihn dem Gericht und der Gnade Gottes anzubefehlen und die Glaubensüberzeugung zu bewahren, dass Jesus Christus auch für seine Rettung sein Leben gegeben hat.

Seitens der Kirche ist schließlich zu ordnen, wie kirchenamtlich mit dem assistierten Suizid umgegangen wird. Es bedarf beispielsweise zur Kasualabkündigung treffender Formulierungen. Vermieden werden muss, dass ein solcher Todesfall unter Formulierungen wie „aus diesem Leben wurde abberufen“ erscheint. Ich schlage auch vor, das passivisch konnotierte Wort „sterben“ nicht zu verwenden, daher von „Todesfall“ (nicht „Sterbefall“) zu sprechen, auch wenn das insbesondere im summarischen Bereich, etwa am Totensonntag, nicht immer möglich sein wird. Zu prüfen wäre schließlich, ob solche Bestattungen im Bestattungsregister mit einem Vermerk versehen werden und eine Mitteilung an die Kirchenleitung zu statistischen Zwecken und zur Evaluation erfolgt.

 

Zusammenfassung

Die Beispiele aus dem Ausland zeigen, dass Pfarrpersonen ein Herz haben für Menschen, die sich an sie wenden – auch wenn diese den assistierten Suizid wählen und damit gegen das eigene Verständnis und Gewissen der Pfarrperson handeln wollen. Die Pfarrpersonen nehmen die Begleitung an, haben jedoch Fragen. Häufig ist ihr Handeln verbunden mit Gewissensnot und nicht selten mit einem unguten Gefühl hinterher. Es gibt ein Bedürfnis, hier nicht allein zu sein, sondern Leitlinien zu bekommen und die Thematik mit der Kirchenleitung und der eigenen Gemeindeleitung geklärt zu wissen. Weil es an kirchlichen Hilfsmitteln mangelt, müssen gegenwärtig Pfarrpersonen im Blick auf die konkreten Schritte mühevoll eigene Wege suchen. Eine profilierte und differenzierte Position der Kirchenleitung mit Hilfestellungen für die Praxis würde rückenstärkend wirken. In Deutschland besteht die Chance, dass die evangelischen Kirchen hierzu noch beitragen, bevor es eine Mehrzahl ihrer Dienststellen vor Ort unvorbereitet trifft.

 

Anmerkungen

1 Besonders deutlich: „Irrweg, den die christlichen Kirchen entschieden ablehnen“, EKD 2010, online: https://www.ekd.de/pm134_2010_bgh_urteil_sterbehilfe.htm [02.03.2022]. Die für diesen Beitrag recherchierten Texte habe ich unter www.ethik-fuer-das-leben.de/sterbehilfe verlinkt und einige nichtdeutsche Texte rudimentär übersetzt in deutscher Sprache zugänglich gemacht.

2 Theo Boer an den Verfasser [Mail vom 19.12.2022].

3 Vgl. Feststellung zur „medizinischen Hilfe beim Sterben“ in Kanada in der Zusammenfassung von „Assistierter Suizid – MAiD in Kanada“ von Angelika Feichtner & Desiree Amschl-Strablegg (23.08.2022): „Beim Terminus MAiD wird ethisch-klinisch und juristisch zwischen assistiertem Suizid (AS) und Tötung auf Verlangen kaum unterschieden“; online: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-64347-1_36 [12.12.2022].

4 „Es gibt eine große Menge an Literatur über Seelsorge am Lebensende und eine ähnlich große Menge an Literatur über Tötung auf Verlangen, aber es gibt kaum Studien über die besten pastoralen Praktiken für Gemeindemitglieder, die Sterbehilfe wünschen“ (orig. englisch): Wim Graafland/Stef Groenewoud/Theo Pleizier/Theo Boer: Protestant Parishioners, their Pastors, and Euthanasia. Journal of Empirical Theology JET 35 (2022), 20.

5 Niederländische Erstveröffentlichung: Boer et al.: Pastores in de PKN en hun ervaringen met euthanasie; in: Kerk en Theologie 70 (2019), online unter https://www.theologie.nl/artikelen/pastores-in-de-pkn-en-hun-ervaringen-met-euthanasie/ [02.03.2022]. Englisch (veränderte Fassung): Boer, Theo A./Bolwijn, Ronald E./Graafland, Wim/Pleizier, T. Theo J.: Legal Euthanasie in Pastoral Practice: Experiences of Pastors in the Protestant Church in the Netherlands; in: International Journal of Public Theology 14 (2020), 41-67, online: https://theopleizier.nl/pdf/publications/2020_boer2020_Legal%20Euthanasia%20in.pdf [30.04.2022].

6 Graafland, Wim: Enquête PKN-kerkleden over euthanasie, Projektbeschreibung von 2019 [per Mail 21.10.2021]. Inzwischen ist die abgeschlossene Studie veröffentlicht s. Anm. 5.

7 Graafland 2019 [Anm. 6] (Deutsch s. Anm. 1).

8 Boer et al. 2020 [Anm. 5], 50.

9 Boer et al. 2020 [Anm. 5], 58.

10 Graafland et al. 2022 [Anm. 4], 15.

11 Graafland et al. 2022 [Anm. 4], 20.

12 Boer et al. 2019 [Anm. 5], 7 (dt.).

13 Boer et al. 2019 [Anm. 5], 10 (dt.).

14 Regionale Toetsingscommissies Euthanasie: Jahresbericht 2021 (Deutsch), Amsterdam 2022; online: https://www.euthanasiecommissie.nl/binaries/euthanasiecommissie/documenten/jaarverslagen/2021/maart/31/jaarverslag-2021/RTE_JV2021_DUITS_def.pdf [27.12.2022].

15 Boer et al. 2019 [Anm. 5], 6 (dt.).

16 S. https://www.deutschlandfunk.de/sterbehilfe-in-den-niederlanden-mein-tod-gehoert-mir-100.html [02.03.2022].

17 Theo Boer: Eind goed. Lezing voor de Generale Synode van de Protestantse Kerk in Nederland op 11 november 2021 in de Jaarbeurs te Utrecht; online: https://www.protestantsekerk.nl/download25829/2021%2011%2011%20Boer%20PKN%20Eind%20goed.pdf [28.02.2022].

18 Boer 2021 [Anm. 17], 6 (dt. s. Anm. 1).

19 Pressemeldung Bundesamt für Statistik, online: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/dienstleistungen/fuer-medienschaffende.assetdetail.15084042.html [30.04.2022].

20 Davon ca. 80 aus Deutschland, online: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/321031/umfrage/anzahl-der-sterbehilfe-touristen-in-der-schweiz-nach-herkunftslaendern/ [30.04.2022].

21 Morgenthaler, Christoph/Plüss, David/Zeindler, Matthias: Assistierter Suizid und kirchliches Handeln. Fallbeispiele – Kommentare – Reflexionen; Theologischer Verlag, Zürich 2017.

22 Mathwig, Frank: Das Sterben leben. Entscheidungen am Lebensende aus evangelischer Perspektive, Vom Rat des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes genehmigt 14.8.2007, Bern 2007, 28, online: https://www.evref.ch/wp-content/uploads/2020/02/mathwig_das_sterben_leben.pdf [24.04.2022].

23 Eglise Evangélique Réformée du canton de Vaud: Recommandation: Assistance au suicide et accompagnement pastoral, Conseil synodal le 25 novembre 2016; online: http://www.ref.ch/wp-content/uploads/2017/01/161125_recommandation_assistance-au-suicide.pdf [24.04.2022].

24 Ebd.

25 Morgenthaler et al. 2017 [Anm. 21], 145.

26 Morgenthaler et al. 2017 [Anm. 21], 145.

27 Morgenthaler et al. 2017 [Anm. 21], 91.

28 Kongregation für die Glaubenslehre: Erklärung zur Euthanasie, 1980; online deutsch: https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_19800505_euthanasia_ge.html [04.03.2022].

29 Kerkgenootschap, R.-K.: Pastoraat rond het Verzoek om Euthanasie of hulp bij Suicide. Handreiking voor Studie en Bezinning; Utrecht 2005; online: https://www.rkkerk.nl/wp-content/uploads/2016/01/Pastoraat-rond-euthanasie.pdf [30.04.2022].

30 Seit 1983 nicht mehr im CIC und im Katholischen Katechismus 1995 nicht mehr aufgenommen, https://www.elk-wue.de/03052019-kirchliches-begraebnis-als-hilfe-bei-abschied-nach-suizid [07.06.2022].

31 Kerkgenootschap 2005 [Anm. 29], 36.

32 Kerkgenootschap 2005 [Anm. 29], 29.

33 Beispielhafte Position dafür: Miller, J. Michael (Erzbischof von Vancouver): Funeral Rites for Those Who Have Asked for Euthanasia, 2017; online: https://www.holyrosarycathedral.org/archbishop_letter/funeral-rites-for-those-who-have-asked-for-euthanasia/ [29.06.2022].

34 Leider nicht mehr verarbeiten konnte ich: Michael Coors/Sebastian Farr (Hg.): Seelsorge bei assistiertem Suizid. Ethik, Praktische Theologie und kirchliche Praxis, Zürich 2022; online: https://www.tvz-verlag.ch/_files_media/open_access/9783290184582.pdf.

 

Über die Autorin / den Autor:

Dekan Dipl.-Theol. Dipl.-Ing. Gunther Seibold, Dekan in der Württ. Landeskirche.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 3/2023

1 Kommentar zu diesem Artikel
28.03.2023 Ein Kommentar von Christian Mendt Pfarrer NOtfallseelsorger, Krankenhauss. Und Polizeiseelsorger Lieber Bruder Seibold, Ihr hilfreicher Artikel und den Vorschlag, die Begleitung von „Suizidsuchenden“ in der Perspektive der doppelten Trauer wahr-und anzunehmen, finde ich ein passendes seelsorgerliches Instrument. Danke. In Ergänzung Ihrer Eingangsfestellung mangelnder Hilfestellungen für Pfarrpersonen in solch Situationen, weise ich auf unsere Handreichung der EVLKS hin, Fachpersonal, Seelorgern und Pfarrer*innen, Angehörigen und Betroffenen eine erste Orientierung und Hilfestellung zu geben. https://www.diakonie-sachsen.de/publikationen_orientierung_zu_ethischen_fragen_des_assisit_suizids_de.pdf . Christian Mendt
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