Drei große Namen aus der Unterhaltungswelt, drei Tote aus den letzten zehn Jahren, drei interessante religiöse Lebenswege. Mit Leuten wie Uwe Seeler kann die Volkskirche bestens überleben; mit Jan Fedder ließe sich geradezu der Pietismus wiederbeleben; mit Leuten wie Udo Jürgens müssten wir die Kirche wohl schließen – meint Thomas Schleiff.

 

Bei Seelers läuft nichts ohne Kirche.“

Für Uwe Seeler gehörten Kirche und Glaube einfach zum Leben. Taufe, Trauung, kirchliche Beerdigung: selbstverständlich. Uns Uwe: „Bei Seelers läuft nichts ohne Kirche.“ Er konnte zeit seines Lebens den Namen des Pastors nennen, der ihn 1959 mit seiner Ilka getraut hat: Pastor Gerber in Hamburg-Eppendorf. Und als Seeler nach seinem langwierigen Achillesfersenriss wieder Fußball spielen konnte, wo stand er da: Er stand auf dem Platz, „wohin mich der liebe Gott aufgestellt hat“.

Die wohl interessanteste Begegnung Uwe Seelers mit der Kirche ergab sich 1961. Er bekam damals 1961 ein finanziell enorm interessantes Angebot vom Fußballverein Inter Mailand. Seeler blieb beim HSV. Es ist eine berühmte Geschichte, wie sich damals der bekannte Theologieprofessor Helmut Thielicke über „BILD“ in einem Offenen Brief an Uwe Seeler gewandt hat. Thielicke kritisiert darin die Kommerzialisierung des Sports und appelliert an Uwes Charakter. Dabei zieht Thielicke große biblische Begriffe heran. Er nennt das Angebot aus Mailand eine „Versuchung“. Uwe sei gefordert, dieser Versuchung des Millionenangebotes zu widerstehen – und das „Opfer“ (so sagt Thielicke) des Verzichts zu leisten: „Wenn Sie dieser Versuchung widerstehen, lieber Herr Seeler, dann wäre das ein leuchtendes Fanal, durch das Sie eine abschüssige Bahn beleuchten und die Menschen zur Besinnung rufen.“

Uwe Seeler ist in der Tat nicht nach Mailand gegangen. Sicher zum Teil aus Heimatverbundenheit. Aber wohl auch aus sportlicher Klugheit. Sepp Herberger gab den entscheidenden Ratschlag: „Sie sind nicht der Typ, Uwe, der in einem anderen Land klarkommt.“ Und der HSV-Trainer Günter Mahlmann: „Denke daran, Uwe, hier bist du zu Hause, hier lieben dich alle.“

Seeler ist früh mit dem Tode konfrontiert worden. Sein HSV- und Nationalmannschaftskollege Klaus Stürmer starb mit 36 Jahren an Krebs; auch sein Bruder Dieter wurde nicht alt. Uwe Seeler weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, zu leben und Erfolg zu haben: „Dafür bin ich dankbar.“ (Literatur: Uwe Seeler, Danke Fußball)

 

Das Göttliche inmitten einer oft gottlosen Gegend“

Der Schauspieler Jan Fedder ist 1955 in Hamburg geboren und 2019 dort gestorben. Er wurde u.a. durch den Film „Das Boot“ bekannt und vor allem durch die Fernsehserien „Großstadtrevier“ und „Neues aus Büttenwarder“. Fedder ist auf St. Pauli aufgewachsen, wo seine Eltern eine Kneipe betrieben. Da bekommt man so einiges mit, was nicht unbedingt gut ist für ein kindliches Gemüt. Aber auf St. Pauli steht auch der Michel. Jan hat als Kind im Kinderchor des Michel mitgesungen. „Hier spürte der kleine Jan zum ersten Mal das Göttliche inmitten dieser oft so gottlosen Gegend.“ (Tim Pröse)

Sieben Jahre lang ist er sonntags früh aufgestanden: 9 Uhr Einsingen, 10 Uhr Gottesdienst. Jan: „Auf jeden Fall bin ich so zu Gott gekommen. Für mich ist das eine große Selbstverständlichkeit, mit dem lieben Gott zu kommunizieren. Heute. Wie damals.“ Er hatte sein Leben lang keinen Zweifel an Gottes Dasein: „Für mich war immer völlig klar, dass er existiert. Der liebe Gott ist da und der liebe Gott lenkt die Sachen und macht das alles und noch mehr.“ Diese Gewissheit war da, auch wenn es ihm „mal noch so Scheiße ging“.

Einen kleinen Seitenhieb müssen sich die Pastoren aber doch von ihm gefallen lassen. Der Chor wirkte nur im ersten Teil des Gottesdienstes mit. Dann durften die Chormitglieder die Kirche noch vor der Predigt verlassen: „Wir durften Gott sei Dank vor der Predigt abhauen. Damit wir den Laberscheiß nicht noch hören mussten.“

Jan hatte als Kind eine „engelgleiche“ Stimme. Aber auch nach dem Stimmbruch war Jans Stimme im Michel beliebt. Viele Jahre lang hat er im gefüllten Michel die Weihnachtsgeschichte vorgelesen. Oh, das wäre was gewesen, wenn ich Jan Fedder in meinen Gottesdiensten als Lektor hätte haben können! Oder vielleicht doch nicht? Wer hätte denn meine Stimme neben diesem vollen, weichen Klang noch hören wollen?

Jan Fedder ist mit 64 Jahren gestorben. Er konnte und musste sich auf sein sehr schweres Ende vorbereiten. Er hatte Krebs. Im Rückblick auf sein Leben sagt er: „Wenn ich demnächst schon bald sterben sollte, wäre das in Ordnung für mich … Wichtig ist, dass ich mich bei einigen Menschen bedanken will, aber am meisten beim lieben Gott … Er hat bestimmt: jetzt ist deine Zeit um. Dann ist das so. Ich glaube dabei nicht an irgendwelche Engel … Ich glaube an diesen älteren Herrn. Ich glaube nur an den lieben Gott. Der hat immer auf mich aufgepasst.“ Und im Blick auf seine Krankheit sagt Fedder: „Ich gebe nie Gott die Schuld, die habe ich selber.“ Und er sagt das sehr konkret: viel zu viel Alkohol, viel zu viele Zigaretten und ein exzessives Leben. „Ich habe es sechzig Jahre krachen lassen.“

Bei der Beerdigung im Michel ertönte Bachs „Bist du bei mir, geh ich mit Freuden“. Aber auf der Orgel wurde auch das norddeutsche Kinderlied gespielt, das Jan Fedder zeitlebens geliebt hat: „An de Eck steiht’n Jung mit’n Tüdelband …“ (Literatur: Tim Pröse, Jan Fedder)

 

Mit Oma und Opa auf Wolken sitzen?

Anders als bei Jan Fedder muss man sich die christlichen Bezüge in der Biografie von Udo Jürgens doch eher zusammenkratzen. In Lisbeth Bischoffs Buch „Udo Jürgens – Merci“ sind mir besonders Jürgens’ Bemerkungen über Sterben und Tod aufgefallen. Diese Bemerkungen sind für mich ärgerlich – aber doch auf ihre Weise lehrreich. Udo bemerkt, es sei eine absolut alberne Vorstellung, dass man nach dem Tod auf weißen Wolken sitze und mit Oma und Opa Erinnerungen austausche. Mein Einwand: Darum geht es doch gar nicht. Es gibt ja auch kaum jemanden, und sei er noch so beschränkt, der sich die Ewigkeit so vorstellt. Hier wird ein sachlich ernstes Thema durch eine Karikatur veralbert. Die sachliche Frage ist, ob es in Gottes Ewigkeit Gemeinschaft und Kommunikation gibt. Das glauben wir Christen. Denn wenn Gott Liebe ist, dann gibt es im Himmel ein „Ich“ und ein “Du“ und ein „Wir“. Dies mit einem Gespräch auf den Wolken lächerlich zu machen, ist nicht seriös. Es geht nicht um „Oma“ und „Opa“. Sondern es geht darum, ob unsere liebende Gemeinschaft im Himmel für immer zerrissen ist – oder für ewig erfüllt ist. Wird eine Mutter, die ihr Kind auf der Flucht zurücklassen musste und im Frost nicht einmal den Leichnam begraben konnte – wird sie „irgendwie“ dieses Kind in Gottes Ewigkeit wieder in die Arme schließen können?

Jürgens’ Karikatur verdeckt den wahren Inhalt der Frage. Und das gilt auch für sein tiefsinnig scheinendes Bild von dem, was nach dem Tode ist. Darauf kann man sagen: Nichts. Stecker raus, Film zu Ende. Das wagt auch Jürgens nicht zu sagen, damit kann man ja auch nicht leben und nicht sterben. Jürgens’ Antwort: „Mein eigener Tod – ich war ihm in einigen Narkosen ziemlich nahe – bedeutet für mich einen unerhört großen Frieden, das Gefühl einer absoluten Stille, die noch stiller ist als still.“ Das hört sich zunächst freundlich und tiefsinnig an. Aber die Frage ist doch, was diese Stille meint. Gewiss ist es im Himmel in gewissem Sinne „still“: „Freude die Fülle und selige Stille hab ich zu warten im himmlischen Garten“ (Paul Gerhardt). Aber diese Stille ist ja eine erlebte Stille. Es ist die Stille, die von einem erlebt und erfahren wird. Diese himmlische Stille ist eben gerade nicht die Totenstille. Sondern sie ist die Stille, die verbunden ist mit „Freude die Fülle“. Aber wenn die ewige Stille, wie bei Jürgens, in die Nähe der „Narkose“ gerückt wird, kann einem ja nur grauen. Dann ist es ja nicht stiller als still – dann wäre man ja toter als tot.

Und hier ein letztes Statement: „Der Mensch stirbt nicht, wenn er von der Erde geht, sondern erst dann, wenn der Letzte stirbt, der sich seiner erinnert.“ Hört sich gut an. An Goethe erinnern wir uns zwar, hingegen an seine allermeisten Zeitgenossen absolut nicht. Aber Goethe selbst ist nun einmal genauso tot wie alle seine Zeitgenossen.

Udo Jürgens wird von vielen gelobt und geliebt – und vielleicht in mancher Hinsicht zu Recht. Sein Gerede über Tod und Leben tut mir weh. Da plädiere ich für Jan Fedder, der „an den älteren Herrn“ glaubt. (Literatur: Lisbeth Bischoff, Udo Jürgens)

 

Thomas Schleiff


 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 1/2023

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