Wir sind entsetzt über die Opfer des Krieges in der Ukraine und verurteilen die russische Invasion. Sie ist ein Bruch des Völkerrechts. Das Morden muss aufhören. Wir fragen uns, was der Beitrag von Christ*innen zum Aufbau von Frieden sein kann.

Der EKD-Friedensbeauftragte Bischof Friedrich Kramer spricht sich deutlich gegen Aufrüstung und gegen Waffenlieferungen aus. Wir unterstützen seine Position in unserer evangelischen Landeskirche Württemberg mit Nachdruck. Aus unserer Sicht war die Politik der Abrüstung der vergangenen Jahre kein Irrtum.

 

Eine Welt ohne Waffen und Krieg muss das Ziel jeglicher christlicher Friedensethik bleiben

Der Geist Jesu, der die Welt versöhnen und einen will, bewegt uns zu dieser Vision. Als Christ*innen rufen wir, wie die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen und die Bischöf*innen in der EKD, zu Verhandlungen und Versöhnung auf (ÖRK-Erklärung: „Krieg in der Ukraine, Frieden und Gerechtigkeit in der Region Europa“).

Die Botschaft Jesu ist nicht mit einer Politik der Aufrüstung in Einklang zu bringen. Eine „Zeitenwende“ als politische Antwort auf den Ukrainekrieg, der einer von vielen Kriegen weltweit ist, weisen wir als einen in die Irre führenden Gedanken zurück. Für Christ*innen ist Jesus Christus die Mitte und Wende der Zeit und aller Zukunft.

Jesu Botschaft redet nicht einer Politik der Waffen das Wort. Sie stärkt vielmehr die Leidenden, die Verfolgten und die Friedensstifter*innen in ihrer Hoffnung: Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. … Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen. Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich. (Mt. 5,3-5.9-10)

 

Wir bleiben nicht unschuldig

Die Angegriffenen rufen nach aktivem Beistand. Es ist jedoch unsere Aufgabe, sowohl die politisch Verantwortlichen in ihren Bemühungen um Frieden zu bestärken als auch Formen der Friedensarbeit weiterzuentwickeln. Es gibt bewährte und gut erforschte gewaltfreie Formen von Konfliktlösungen. Aufgabe der Kirchen ist es, diese zu fördern, der Militärlogik zu widersprechen und gemeinsam an einer Welt ohne Waffen zu arbeiten. Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten. (Mt. 5,13)

Die christlichen Kirchen haben in den vergangenen Jahrzehnten von der Botschaft des Evangeliums her für Abrüstung und alternative Sicherheitskonzepte geworben. Im Jahr 2017 wurde die „Erklärung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg zu deutschen Rüstungsexporten“ verabschiedet. Die badische Landeskirche startete im Jahr 2019 das Konzept „Sicherheit neu denken“.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist eine umfassende Krise für jegliche Form europäischer Friedenspolitik. Gerade deshalb ist es im Sinne der Botschaft Jesu, wenn wir als Christ*innen nicht der Logik und Ideologie des Krieges verfallen. Entgegen dem momentan herrschenden gesellschaftlichen Diskurs wollen wir weiter für Friedensbemühungen, gegen Waffenlieferungen und gegen Aufrüstung eintreten.

 

Zehn Punkte gegen den Krieg und seine Logik

1. Waffenlieferungen befeuern und verlängern einen grausamen Krieg. Er fordert Tausende von Opfern im Kriegsgebiet und hinterlässt traumatisierte Männer, Frauen und Kinder. Der Ukrainekrieg trägt die Gefahr atomarer Katastrophen und eines Weltkrieges in sich. Weltweite Folgen wie Hungersnöte und noch unübersehbare Wirtschaftskrisen fordern ungezählte Opfer auf lange Zeit.

2. Von Hochrüstung profitiert weltweit vor allem die Rüstungsindustrie und ihre Lobby in Form von Milliardengewinnen. Die 100 Mrd. „Sondervermögen“ im deutschen Haushalt sind Ressourcen, die in anderen Aufgabenfeldern fehlen werden, z.B. in der Bildungs-, Gesundheits-, Sozial- und Klimapolitik.

3. Soldat*innen werden im Kriegsfall zu Held*innen stilisiert, die für ihr Vaterland oder für andere Werte sterben. Das Recht zu desertieren und den Wehrdienst zu verweigern, ist in diesem Krieg auf beiden Seiten nicht gegeben wie auch das uneingeschränkte Recht auf freie Meinungsäußerung.

4. Deutsche Außenpolitik muss auf dem Hintergrund europäischer Geschichte am Ziel einer Friedensordnung im „gemeinsamen Haus Europa“ festhalten. Die deutsche Wiedervereinigung verdankt sich dieser historischen Vision. Verhandlungsoptionen bleiben diplomatisch unabdingbar.

5. Das „Gut-Böse-Schema“ in Politik und Medien greift zu kurz. Putin ist nicht der alleinige „Böse“. Auch die Kriege im Irak und in Afghanistan waren nicht gut. Der Westen hatte Gorbatschow versprochen, die NATO nicht nach Osten zu erweitern. Dieses Versprechen wurde gebrochen. Das ist zu konstatieren.

6. Die sozialen Verwerfungen, die aus dem Krieg hervorgehen, sind ein nicht zu verantwortender Preis für die „Verteidigung des Westens und seiner Werte“ in der Ukraine. Den Preis für diesen Krieg bezahlen die Kriegsopfer und auch die Armen in Deutschland, in Europa und in der Welt mit Armut, Not und Tod.

7. Die Menschheitsaufgabe einer Energiewende geht nicht zusammen mit einem heißen Krieg, der neben Menschen auch Ressourcen und Natur vernichtet. Auf unserem Kontinent ist die Energiewende auf lange Sicht nur gemeinsam mit Russland zu schaffen. Sie ist auch weltweit nur gemeinsam zu schaffen.

8. Der Abbruch kultureller, universitärer und auch wirtschaftlicher Beziehungen mit Russland ist auf Dauer für eine zukünftige Friedens- und Klimapolitik kontraproduktiv. Sanktionen müssen auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden, wenn sie den Krieg nicht stoppen und mehr schaden als nutzen.

9. Die Diffamierung von Kriegsgegner*innen und Pazifist*innen durch Medien und Regierung ist undemokratisch. Kirche muss sich deutlicher an die Seite der Kriegsgegner*innen stellen, auch wenn sie deren Positionen nicht teilt.

10. Das Gebot „Du sollst nicht töten“ bleibt für uns unaufhebbar. Daher setzen wir uns in unserer Kirche für gewaltfrei-aktive Methoden der Verteidigung ein, wie es sie in der Geschichte, auch in Osteuropa, vielfach schon gegeben hat. Wir fühlen uns nach wie vor der Erklärung der evangelischen Landeskirche in Württemberg zu deutschen Rüstungsexporten verpflichtet.

Meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. (Joh. 14,27)

 

Quellen zur Stellungnahme

Zur Position des EKD-Friedensbeauftragten Bischof Friedrich Kramer EKMD: evangelische-friedensarbeit.de

Äußerungen der württembergischen und der badischen Landeskirche (2017/2019): 2017_02_10 OKR Erklärung Rüstungsexporte.indd; www.sicherheitneudeken.de

Zum Ansatz sozial-gewaltfreier Verteidigung: https://www.soziale-verteidigung.de/artikel/ziviler-widerstand-gegen-krieg-ukraine

 

Für den Kreis der Initiatoren und Unterzeichnenden

Pfarrer Paul Bosler, Nürtingen

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 1/2023

4 Kommentare zu diesem Artikel
17.01.2023 Ein Kommentar von Anonymus Die ewige Leier: Frieden schaffen – ohne Waffen! Replik zum Beitrag im DtPfBl 123 (2023), S. 53–54: Ablehnung von „Waffenlieferungen und Aufrüstung“. „Zum notwendigen Friedensbeitrag der Kirche für die Zukunft“. Dieser aktuelle Beitrag im Deutschen PfarrBlatt ist tendenziös, einseitig, ideologisch: 1.) Putin sei nicht der einzige Böse – das ist trivial: leider gibt es weltweit ähnliche Diktatoren; es leiden Abermillionen in Afrika und Asien unter Militärdiktaturen, Bürgerkriegen, Kriegsverbrechen. Müsste man sich als einigermaßen sensibler Mensch und selbsternannter „Friedensstifter“ nicht täglich erbrechen, wenn man sich die durch Medien vermittelten Horrorszenarien des Angriffskrieges gegen die Ukraine aussetzt? 2.) Dieser faktische Vernichtungskrieg, der sich längst in der Hauptsache gegen die Zivilbevölkerung, gegen die Versorgung mit Strom, Wasser, Heizung in der Ukraine richtet, soll nun OHNE WAFFEN bekämpft, also ohne wirksame Gegenwehr toleriert werden? Das wäre kollektiver Selbstmord. 3.) Putin begeht massive Verletzungen der Menschenrechte gegen sein eigenes Volk, z.T. sogar gegen sein eigenes Militär – typisch zwar für einen Diktator und Gewaltherrscher, aber deshalb zu dulden? Man vermisst seitens der EKD eine klare Haltung: der an Genozid grenzende Krieg Russlands gegen ein Land, das sich bemüht, demokratischere Strukturen aufleben zu lassen, muss gebrandmarkt werden. 4.) Nur ein Idiot (Nichtfachmann, Laie) kommt auf die Idee, der NATO einen Vertragsbruch gegen die Osterweiterung vorzuwerfen. In Wahrheit ist es Putins Bestreben, weiter nach Westen zu rücken. 5.) Dieser absolut unnötige Krieg, auf den Träumen Putins von der Wiederherstellung der einstigen Sowjetmacht fußend, kostet tatsächlich Abertausenden das Leben – Soldaten wie Zivilisten. Die meisten Opfer gehen auf das Konto von Russlands Oberbefehlshaber Putin, der wohl kaum seine eigenen Soldaten als „Helden“ wird feiern können (auch wenn er das publiziert), sondern de facto und ehrlicherweise nur wird als Opfer deklarieren müssen. 6.) Der charismatische Führer der Ukraine, Selenskyj (im Beitrag nicht erwähnt!!), hat weit weniger Opfer zu beklagen (allerdings erschreckend viele unschuldige Säuglinge, Kinder, Frauen, Männer), und – wie wir alle wissen – Millionen Ukrainer mussten, müssen fliehen. 7.) Es ist allein dem Mut, der Tapferkeit und Beharrlichkeit des ukrainischen Volkes und der Führung ihres Präsidenten sowie der Unterstützung der westlichen Länder zu verdanken, die nicht zaudern und sich auch nicht von dieser feigen, kranken Kreatur in Moskau einschüchtern lassen. 8.) Weiterhin ist Skepsis und kluges Abwägen gegenüber einem gefährlichen „Pazifismus“ geboten, wenn er Tatsachen verdreht oder verwischt und ideologisch auf Frieden pocht, wo zunächst keine Basis dafür gegeben ist. Wo bereits der Wahnsinn eines Wahnsinnigen tobt (leider gibt es ähnliche weltweit – nur hilft diese Allerweltsweisheit der Ukraine nicht), bedeutet jede Zurückhaltung oder illusorische Nichteinmischung auch Verantwortungslosigkeit. 9.) Sind eigentlich die meisten Kirchenvertreter mit dem Privileg der Gewaltfreiheit und dem Leben im gottseligen Frieden aufgewachsen? Wie wäre es, wenn Friedensstifter derzeit in der Ukraine zu leben, besser: zu überleben hätten, mit ihren Familien?! Wie steht es um Schutzbefohlene?!
22.01.2023 Ein Kommentar von Hartmut Marks-von der Born 100 % richtig. Ich freue mich, dass diese Erklärung veröffentlicht ist. Vielen Dank! Und mutig weiter so!
23.01.2023 Ein Kommentar von Jürgen Stude Ich würde keine anonyme Kommentare abdrucken, den man/frau sollte wissen, mit wem man in eine Diskussion geht.
24.01.2023 Ein Kommentar von Peter Haigis Es steht Kommentatoren an dieser Stelle frei, einen Klarnamen oder ein Pseudonym zu verwenden. Der Verfasser ("Anonymus") ist der Redaktion bekannt.
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