Im Maiheft stellte Claudia Schulz Ergebnisse einer Studie vor, die sich mit den politischen Überzeugungen und dem politischen Engagement von Kirchengemeinden befasst. Doch welche theologischen Reflexionen gehen diesem politischen Engagement voraus bzw. begleiten es? Claudia Schulz zeigte dies anhand exemplarischer Diskurslinien im Oktoberheft auf und setzt nun ihre Präsentation hier fort.

 

4. Diskurslinie „Akzeptanz“ vs. „Abgrenzung“ von Positionen

Auf einer höheren Abstraktionsebene – und nun hin auf eine Diskussion um kirchentheoretische Grundlegungen – entsteht der Diskurs um die Frage, wie denn mit unterschiedlichen Auslegungen der biblischen Grundlage und den zentralen Aussagen der christlichen Theologie umzugehen sei: An welcher Stelle ist eine Vielfalt der Auslegungen und Interpretationen durch die verschiedenen Menschen in der Kirchengemeinde hin auf praktische Konsequenzen wünschenswert – und an welcher Stelle ist die Gemeinde aufgerufen, einer freien Ausdeutung der Situation auf der Basis des christlichen Glaubens zu widersprechen und sich selbst mit der Parteinahme für eine von ihnen zu positionieren?

Gut sichtbar ist diese Diskurslinie in einer Kirchengemeinde in einer großen Stadt im Westen Deutschlands. Die Gemeinde hat über Jahrzehnte der Beschäftigung mit verschiedenen politischen Fragen viel Erfahrung damit gesammelt, dass sich unter den Gemeindemitgliedern Menschen unterschiedlicher Positionen fanden, etwa zu Fragen der Wohnungspolitik im Stadtteil oder zu Migration und religiöser wie kultureller Vielfalt. Zuletzt gab es mit der Auseinandersetzung um ein Infrastrukturentwicklungsvorhaben überregionaler Tragweite (vergleichbar etwa mit dem Bahnprojekt „Stuttgart 21“) hitzige Diskussionen in der Kirchengemeinde, weil hier Menschen, die von diesem Vorhaben persönlich belastet waren, mit Menschen, die beruflich davon stark profitieren, direkt aufeinandertrafen. Der Kirchengemeinderat mühte sich darum, für Verständigung zu sorgen und eine offene Gesprächskultur zu sichern.

Demokratisches Ideal und konsequente Ethik …

In einer von uns dokumentierten Diskussion unter einigen Mitgliedern des Kirchengemeinderats zeigen sich diese im Rückblick zufrieden mit ihrem Umgang mit politischen Fragen. Zugleich wird deutlich, wie hier permanent zwei verschiedene Haltungen aufeinanderprallen, die sich nicht wirklich miteinander verbinden lassen: Einerseits erscheint es als hohes Ideal, für alle Meinungen der Kirchenmitglieder offen zu sein und demokratische Aushandlungsprozesse zu ermöglichen. Andererseits besteht die Erwartung an die Mitglieder der Gemeinde und vor allem die Verantwortlichen, aus der christlichen Überzeugung heraus theologisch tragfähige Positionen abzuleiten und diese konsequent als Leitlinien für die Gemeinde zu entwickeln. An einem längeren Wortbeitrag eines Mitglieds des Kirchengemeinderats lässt sich beispielhaft betrachten, wie sich der Dissens zwischen gegenläufigen Idealen im Selbstverständnis einer einzelnen Person ausprägt:

Das demokratische Ideal lässt sich für Thomas in der Kirchengemeinde umsetzen, indem diese eine Plattform zur Verfügung stellt, auf der ein Austausch im Zweifel gegenläufiger Meinungen stattfinden kann: Alle können kommen, alle dürfen ihre Meinung frei äußern. Außerdem ist es nach dieser Logik Aufgabe der kirchenleitenden Gremien, in den strategischen Entscheidungen der Gemeinde die verschiedenen Positionen aufmerksam wahrzunehmen. Eine theologische Begründung für diese Haltung bietet Thomas nicht, möglicherweise wird diese vor allem durch die demokratische Prägung der Beteiligten gestützt. Interessant ist dann der weitere Verlauf der Positionierungen in dieser Stellungnahme: Nachdem Thomas sein demokratisches Ideal entfaltet hat, fährt er fort mit einem Satzanfang, der zunächst wie die Einleitung eines Resümees anmutet: „Und das ist etwas, was mir am Herzen liegt“. Inhaltlich beginnt er damit aber unvermittelt die Darstellung einer gegenläufigen Position: Thomas geht davon aus, dass alle Christen mit Blick auf die biblische Botschaft zu gleichlautenden Schlussfolgerung kommen, die in der Folge als Grundlage für das Handeln der Gemeinde anwendbar seien.

Sachlich hat Thomas den beiden Idealen jedoch unterschiedliche politische Herausforderungen zugeordnet: Während er zu Anfang seiner Ausführungen, im demokratischen Ideal, noch über das Infrastrukturprojekt spricht, das unter Gemeindemitgliedern gegenläufige Betroffenheiten ausgelöst hatte und zu der keine klare gemeindliche Positionierung stattfand, wechselt er in seinem Plädoyer für eine aus der biblischen Botschaft direkt ableitbare Positionierung unvermittelt zuerst ins Anwendungsfeld „Nachbarschaft“ und anschließend zum gesellschaftspolitischen Streitfall „Hilfe für Geflüchtete“. Das Ideal der einheitlichen biblisch-christlichen Deutung von Problemsituationen mündet schließlich in das Votum für eine Kirchengemeinde als „Gemeinschaft“ von „Menschen, die ähnlich denken“ und sich wie er selbst politisch positionieren und engagieren wollen. Dieses Bild einer Kirchengemeinde setzt eben diesen Gleichklang der Meinungen, abgeleitet aus der „biblischen Botschaft“, voraus.

ein nicht zu harmonisierender Konfklikt

Die beiden Ideale überlagern sich, bilden sprachlich ein Dickicht aus Gegenüberstellungen und verschiedenen Bezugsthemen und werden schließlich über das Motiv der „Gemeinschaft“ harmonisiert. Dass in der Praxis jedoch beide Ideale kaum umfassend vereinbar sein dürften – und dass sie an dieser Stelle auch nur um den Preis des Wechsels des Bezugsthemas vereinbar sind –, bleibt im Hintergrund.

Dieses Ergebnis findet sich auch in anderen Fallrekonstruktionen dieser Studie: Grundlegend sind beide Ideale als wichtige Bestandteile des Funktionssystems Kirchengemeinde zu betrachten. Die Verantwortlichen leiten aus ihrem Verständnis des christlichen Glaubens ihre gesellschaftspolitische Position ab und gehen davon aus, dass andere Menschen mit der gleichen biblischen Grundlage zu denselben Schlüssen kommen. Gleichzeitig orientieren sie sich am Ideal der Offenheit und Akzeptanz gegenüber der Vielfalt der Meinungen, die sich in einer Kirchengemeinde abbildet. Dass daraus in der Gemeindepraxis eine Konfliktlinie erwächst, die nicht nur Akzeptanz, sondern ebenso Abgrenzung, wenn nicht sogar Ausgrenzung bedeutet, wird nicht thematisiert. In der Analyse der Positionierung des Kirchengemeinderats Thomas liegt die Vermutung nahe, dass hier die Gemeinschaft die Funktion erhält, im Austausch bei Kaffee oder Bier auch einen tatsächlichen Ausgleich divergierender Meinungen zu erreichen.

In der Breite der verschiedenen Situationen, in denen sich Kirchengemeinden politischen Herausforderungen gegenübersehen, lassen sich außerdem leicht Konstellationen vorstellen, in denen nicht alle Arten von politischer Meinung willkommen sind. So existieren in vielen Themenfeldern, etwa in der Diskussion über Geflüchtete und Menschen anderer Religionen, auch unter Kirchenmitgliedern nationalistische, autoritäre oder antidemokratische Positionen. Hier erscheint das Angebot eines offenen Austausches von Positionen nur begrenzt hilfreich, es kommt eine andere Dimension kirchengemeindlicher Funktion zum Tragen: Gewählte Gremien treffen die Entscheidung über zentrale Positionen der Gemeinde. Demokratische Entscheidungen, also Mehrheitsentscheidungen mit dem Risiko eines verbleibenden, heftigen Dissenses, sind ein wichtiges Steuerungsinstrument einer Kirchengemeinde. Für deren Basis sind eine theologische Diskussion und ein offener Austausch durchaus wichtig, aber nicht obligatorisch. Diese Bruchkante jedes Diskurses, die scharfe Trennung zwischen im Ergebnis klarer, formaler Entscheidung und offener Aushandlung von Positionen, ist durch Verfassungen und Ordnungen legitimiert, aber selten unmittelbar theologisch. Die Leerstelle, die in der internen Diskussion entsteht, ist programmiert.

 

5. Diskurslinie „Zuständigkeit der Kirchengemeinde“

Eine in dieser Frage weiterführende Diskurslinie entwickelt sich im Ringen um ein angemessenes Verständnis der Kirchengemeinde und ihrer Zuständigkeit oder Funktion. Im Zentrum stehen kirchentheoretische Überlegungen, die Verantwortliche in Kirchengemeinden teils aus ihrem Kirchenbild, teils aus biblischen Aussagen und teils aus funktionalen Anforderungen an die Kirche oder Kirchengemeinde im Sozialraum ableiten. Auf der Basis derart vielfältiger normativer Grundlagen, die in ihrer Anwendung zum einen auf die Grundfrage der Zuständigkeit der Gemeinde zu politischen Fragen, zum anderen auf konkrete Bewertungen in Einzelfragen abzielen, sehen sich die Gemeinden einer Vielzahl divergierender Argumente gegenüber und müssen darin eine Position entwickeln. Dies ließ sich anhand eines weiteren Erhebungsstrangs der Studie aufschlüsseln.

Verantwortliche in Kirchengemeinden, also hauptamtlich Mitarbeitende sowie Ehrenamtliche in Leitungsfunktionen, wurden in einer Online-Erhebung in den Kirchenbezirken der untersuchten Fallgemeinden danach befragt, welche politischen Themen sie für wichtig vor Ort und für wichtig in Bezug auf die Kirchengemeinde halten. Damit wurde das Argumentationsfeld für kirchliches Handeln im politischen Kontext ausgeleuchtet.2 Im Kirchenbezirk der im obigen Beispiel genannten westdeutschen Großstadtgemeinde geben die Verantwortlichen der Gemeinden auf die offene Frage, was für die Kirchengemeinde an einem aktuellen gesellschaftspolitischen Thema wichtig sei, ein breites Spektrum gegenläufiger Antworten: Die einen Befragten betonen die Zuständigkeit und Parteilichkeit der Kirchengemeinde, nennen Interessen, die die Kirchengemeinde verfolgen sollte, wie etwa der „faire und ökologische Einkauf“, „faire Mieten“ oder die Verurteilung von Rassismus. Eine „klare Positionierung gegen links und rechts außen“ wird gefordert, ebenso wird problematisiert, dass die Kirchengemeinde häufig zu vorsichtig sei mit ihren Stellungnahmen, „so als wolle man ja niemandem auf die Füße treten“. Die Rolle der „Kirche als Vermittler“ wird als Chance benannt. Andere Befragte betonen dagegen, die Kirchengemeinde habe gerade keine Zuständigkeit für politische Themen, vielmehr sei Neutralität das oberste Gebot. Dies bedeute für sie, in der Kirche grundsätzlich „keine Politik“ zu „machen“ und sich „in Bezug auf politische Statements möglichst neutral“ zu halten. Die Begründung dafür ist klar: Glaube und Politik seien unterschiedliche Themen, und da die Kirche für Glaubensfragen zuständig ist, sei sie damit per Definition gerade nicht für politische Fragen zuständig.

Gegenüber oder konstruktives Element im Gesellschaftsgefüge?

Quer zur Diskussion um die Frage, ob eine Kirchengemeinde grundsätzlich zu politischen Fragen Position beziehen oder gar ein eigenes Engagement entwickeln solle, lässt sich die Diskussion darüber nachzeichnen, mit welcher Begründung oder in welcher Funktion sich eine Gemeinde konkret verhalten sollte, etwa am Beispiel der Debatte über die „Staatsnähe“ der Kirchengemeinde und die Intensität ihrer Einbindung ins gesellschaftliche Gefüge: Während die einen betonen, die Kirche müsse vor allem Gegenüber sein – etwa dem Staat oder dem Zeitgeist –, fordern die anderen, eine Kirchengemeinde solle vor allem ein konstruktives Element im gesellschaftlichen Gefüge sein und etwa gemeinsam mit Vereinen, der Kommune oder den Schulen an der gemeinsamen Sache mitwirken und das gute Miteinander der Menschen fördern. Entsprechend kann die Orientierung an der biblischen Botschaft ein Argument für das eine oder das andere sein.

In der zu Anfang beschriebenen Kirchengemeinde in einer Kleinstadt in Ostdeutschland diskutieren die Verantwortlichen auf diese Weise die Haltung der Kirchengemeinde zu den staatlich vorgegebenen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus: Die einen betrachten es als Aufgabe der Gemeinde, das staatliche Bemühen um den Schutz der Bevölkerung auch in den Räumen der Kirche umzusetzen, etwa indem in Gottesdiensten für Abstand gesorgt und die Maskenpflicht umgesetzt wird und im Zuge eines Versammlungsverbots Hauskreise digital stattfinden. Die anderen betonen mit Rückgriff auf die Unterdrückung der Kirche in der DDR-Zeit, hier forderte der Glaube es geradezu, die staatlichen Vorgaben zu ignorieren und Angebote zur religiösen Kommunikation, etwa Haus- und Gebetskreise weiter anzubieten.

Drei Positionen

In dieser Analyse zeigt sich, dass zwar zu Einzelfragen in der gesellschaftspolitischen Diskussion (unter Umständen gegenläufige) konkrete Positionen unter Rückgriff auf biblisch-theologische Argumentationen zu gewinnen sind und im persönlichen Gespräch und unter Rückgriff auf theologische Argumente eine Aushandlung möglich wird. In der Grundfrage der Zuständigkeit der Kirchengemeinde für gesellschaftspolitische Fragen liegt jedoch unter Verantwortlichen in Kirchengemeinden ein tiefer Dissens. Über mehrere Gemeinden und ihre Bezirke hinweg lassen sich drei Positionen beschreiben, nach denen die Verantwortlichen ihren Gestaltungsauftrag definieren:

(1) Eine Kirchengemeinde stellt einen Gestaltungsraum für Positionierungen und gesellschaftspolitisches Engagement für Kirchenmitglieder dar, die als „Christen in der Welt“ selbstverständlich zur Stellungnahme zu politischen Fragen gerufen sind.

(2) Sie ist eine grundsätzlich neutrale Kommunikationsfläche und damit eine Plattform für Positionierungen im Austausch, ohne selbst Partei zu ergreifen.

(3) Sie ist eine allen gesellschaftlichen Konflikten und politischen Fragen abgewandte Fläche nur für religiöse Kommunikation.

Wo diese Frage bereits diskutiert wurde und die Verantwortlichen der Gemeinde einen vorläufigen Konsens gefunden haben, wie sich das im oben genannten Zitat des Kirchengemeinderats Thomas spiegelt, lassen sich offenbar im Weiteren viele Einzelfragen konstruktiv klären. Wo es hierüber noch keinen Konsens gibt, wie im Beispiel der Gemeinde in der Kleinstadt, die sich schließlich anhand eines akuten Vorfalls plötzlich positionieren muss, während die Grundfrage, ob ein Engagement der Gemeinde überhaupt ein sinnvoller Bestandteil ihrer Arbeit sein kann, noch nicht geklärt ist, verlaufen spätere Konflikte umso heftiger und deutlich weniger konstruktiv. Eine theologische Argumentation erweist sich aufgrund der normativ heterogenen Grundlagen als wenig erfolgversprechend, wenn eine schnelle Entscheidung gefragt ist. So zieht sie sich in ihrer öffentlichen Stellungnahme, die wegen der rechten Aufmärsche am Ort und Anfeindungen gegen die Gemeinde nötig war, auf die „Nächstenliebe“ zurück, mit der Geflüchteten in der Not zu helfen sei.

Möglicherweise hängt dieser Befund auch damit zusammen, dass die untersuchten Kirchengemeinden – und vielleicht Kirchengemeinden im Allgemeinen – unter einem erheblichen Druck stehen, wenn es darum geht, für all ihre vielfältigen Anliegen und Anforderungen ausreichend Energie und Ressourcen aufzubringen. Denn wo Verantwortliche einen Konsens dahingehend gefunden haben, sich als Gemeinde mit politischen Fragen befassen zu wollen oder zu müssen, stellt sich die weitere Herausforderung, die Passung gesellschaftspolitischer Anliegen im Kontext der Befassung mit Gebäuden, Personalfragen, Veränderungsprozessen und geplanten Projekten auszuhandeln. Hier treten dann mitunter theologische Fragen hinter den aktuell empfundenen Sachzwängen zurück.

 

6. Ausblick: politische Fragen als Gegenstand theologischer Reflexion

Die vertiefte Einsicht in die Aushandlungsprozesse der untersuchten Gemeinden zeigt zum einen die Notwendigkeit, ein Engagement oder eine Positionierung der Gemeinde gegenüber gesellschaftspolitischen Herausforderungen auch theologisch zu diskutieren. Dies ermöglicht es zum einen, die Befassung grundlegend zu legitimieren, zum anderen, diese ins Gefüge der Arbeit einzubinden. Zum anderen fällt die Wahl der jeweils gewählten Argumentationsgrundlage auf, die aus einem breiten und eher unspezifischen „Angebot“ getroffen wird: aus biblischen Motiven, einzelnen biblischen Texten, Grundlegungen des christlichen Glaubens, kirchentheoretischen Konzeptionen etc. Die Verantwortlichen in den Gemeinden – in Haupt- wie Ehrenamt – suchen sich, orientiert an den Kommunikationsgewohnheiten und dem Frömmigkeitsstil der Gemeinde, eigenständig Modelle der Argumentation, mit denen sie eine konkrete Frage diskutieren. Hier wird deutlich, wie stark einzelne Argumentationsmuster dazu dienen, die eigene politische Haltung – oder die Ablehnung einer Stellungnahme zu politischen Fragen – nun auch theologisch zu begründen. Durch den Mangel an Absprachen, die im Vorfeld bereits in der Gemeinde entwickelt worden sind, über die Frage, in welchen Argumentationsmustern diskutiert werden kann oder soll, entstehen nebeneinander unterschiedliche Argumentationslinien, die miteinander kaum kompatibel sind.

Grundsätzlich wird in den untersuchten Fallgemeinden deutlich, wie eine theologische Reflexion der jeweiligen Gemeinde dazu verhelfen kann, ein politisches Thema zu diskutieren. Die theologische Reflexion bietet allerdings ebenso wenig wie die rein politische Debatte eine sichere Grundlage für eine zügige oder gar konfliktfreie Verständigung. Mit Blick auf die Auseinandersetzungen und Aushandlungen über politische Fragen in Kirchengemeinden lässt sich insgesamt feststellen, dass eine rasche oder einmütige Verständigung eher die Ausnahme ist und eine langwierige oder gar dauerhaft immer wieder neue Aushandlung der Normalfall.

Für einen konstruktiven Umgang einer Gemeinde mit einem politischen Thema ist jedoch nicht entscheidend, dass Klarheit und Entscheidungen herbeigeführt werden, auch wenn dies punktuell nötig ist. Wesentlich ist, dass es einer Gemeinde gelingt, den Diskursraum zu öffnen, die Aushandlung so zu gestalten, dass Verständigung auch von Menschen mit gegenläufigen Haltungen möglich ist. Die Zuordnung von Politik in einem weiten Sinn zur Bibel und zum Kirchenbild bzw. dem Verständnis der Funktion einer Kirchengemeinde bilden den Kern. Eine theologische Reflexion ist hier eher eine Hilfestellung für die Aushandlung als ein Lösungsweg. Dies erfordert Zeit und Geduld und bedeutet einen sich über Jahre erstreckenden Prozess. Nur so ist es möglich, nicht nur zu einer konkreten Frage eine Position zu entwickeln, wo dies lokal unumgänglich ist, sondern vor allem den Kommunikationsraum für Austausch und Aushandlung zu öffnen und dauerhaft zur Verfügung zu stellen. Nur so kann eine Gemeinde mit akut auftretenden politischen Fragen umgehen, ohne sich Handlungs- oder Zeitdruck allzu stark beugen zu müssen.

 

Anmerkungen

1 Dieser Gemeindename wurde in der empirischen Studie zur Unterscheidbarkeit der Fallgemeinden gewählt. Die Fallgemeinden selbst bleiben anonym. Das Zitat wurde zur besseren Lesbarkeit mit Auslassungen, markiert durch (…), leicht gekürzt.

2 Vgl. Schulz/Barriga Morachimo/Rehm 2022, a.a.O., 177-180.

 

Über die Autorin / den Autor:

Prof. Dr. Claudia Schulz, Jahrgang 1968, Prakt. Theologin und Sozialwissenschaftlerin, Professorin für Diakoniewissenschaft und Soziale Arbeit an der Evang. Hochschule Ludwigsburg.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 11/2022

Kommentieren Sie diesen Artikel
Pflichtfelder sind mit * markiert.
Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.
Spamschutz: dieses Feld bitte nicht ausfüllen.