Bad Salzuflen, 28.9.2021 (cf). In seinem Vorstandsbericht vor der Mitgliederversammlung des Verbandes evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V. am 28.9.2021 in Bad Salzuflen stellte der Vorsitzende des Verbandes, Pfarrer Andreas Kahnt (Westerstede), die Situation des pfarramtlichen Dienstes in der Corona-Zeit in den Vordergrund.

Mit der sogenannten dritten Welle wurde vieles ärger als zuvor, beschrieb Kahnt die Situation. „Die Kirchen, und hier an der Basis besonders die Pfarrerinnen und Pfarrer, mussten sich damit vertraut machen, dass nach einem Kirchenjahr ohne Gottesdienste in gewohnter Form ein Christfest auf sie zukäme, das sie liturgisch und emotional enorm herausfordern würde.“ Erschwerend seien die sehr unterschiedlichen Voraussetzungen hinzugekommen: „Während hier Kirchenleitungen von Gottesdiensten in Präsenz grundsätzlich abrieten, unterstützten dort andere die Vielfalt sehr kreativer Ansätze zu Formen der Verkündigung in digitaler und analoger Form.“ Kahnt bedauerte, dass beim Christfest vielerorts bis kurz vorher nicht klar war, was überhaupt möglich sein würde. Traurig sei zudem gewesen, dass viele langfristige und liebevolle Vorbereitungen am Ende nicht umgesetzt werden konnten.

Dennoch unterstrich Kahnt: „Kirche fand statt. Und Pfarrerinnen und Pfarrer stellten sich der der Aufgabe, in einer für ihre Berufserfahrung völlig neuen und ungewohnten Situation dem eigenen Anspruch und der Erwartung der Gemeinden aller Art an eine christfestliche Verkündigung zu genügen.“ Allein die Präsenz von Kirche zum Christfest zeige, dass der pauschale Vorwurf, die Kirche habe in der Pandemie versagt, unangebracht sei. Vor Ort in Gemeinden, Einrichtungen und Werken, nicht zuletzt in Schulen, Kliniken, Heimen und Hospizen waren Pfarrerinnen und Pfarrer präsent, den Notwendigkeiten gegenüber aufgeschlossen, zugewandt, kreativ und nicht selten beharrlich um der Seelsorge willen, oft unter Hintanstellung der eigenen Gesundheit, betonte Kahnt. Sobald Gottesdienst in Präsenz wieder möglich war, wurde er gefeiert, unterstrich der Vorsitzende. Die Fragen, die Menschen an die Pandemie und die damit verbunden Beschränkungen hatten, wurden nicht verschwiegen, sondern theologisch bedacht, gedeutet, gepredigt und im Gespräch vermittelt. „Verkündigung und Seelsorge fanden da statt, wo sie gut evangelisch hingehören: Nahe bei den Menschen - und nicht in Kirchenämtern“, sagte Kahnt in Bad Salzuflen.

Mangelnde Unterstützung durch Kirchenleitungen und Kirchenverwaltungen

Kritik äußerte Kahnt an manchen Kirchenleitungen und kirchlichen Verwaltungen, die ihre Pfarrerinnen und Pfarrer in ihren eigenen persönlichen Sorgen und beruflichen Belangen nicht ausreichend unterstützt hätten. Besondere Belastungen wie der Spagat zwischen Kinderbetreuung, Homeschooling und Pfarrdienst seien lange nicht wahrgenommen worden. Besonders seien davon alleinerziehende Pfarrerinnen und Pfarrer betroffen gewesen. Staatliche Maßnahmen zu vermehrten Kinderkrankentagen seien zum Teil nicht umgesetzt worden oder überhaupt nicht bekannt gewesen. Die familiären Belastungen hätten auch in Pfarrfamilien zu Fragen an das eigene Selbstverständnis geführt, an die Fürsorgepflicht der Dienstgeberin, aber auch an den Rand der eigenen Kräfte und nicht selten zu Ängsten und Depression. „Darum bedarf es der Aufarbeitung und Bewältigung des Erlebten unter Zuhilfenahme von Beratung und Supervision. An den Kosten dafür werden kluge Kirchenleitungen nicht sparen“, so Kahnt, der die Kirchenleitungen dazu aufforderte „entsprechende Haushaltsstellen aufzufüllen oder einzurichten“.

Kritik an verweigerter Impf-Priorisierung für Pfarrerinnen und Pfarrer

Ausführlich ging Kahnt auf die Frage der Impf-Priorisierung ein: „Als sich gegen Ende 2020 die Möglichkeit von Impfungen abzeichnete, kam sofort die Priorisierung in den Blick. Pfarrerinnen und Pfarrer, obwohl durch Gottesdienst, Bildung und Seelsorge relevant für die Auseinandersetzung mit der Pandemie und ihren emotionalen, sozialen und psychischen Folgen, wurden nicht priorisiert. Anscheinend hatte die Debatte um die Systemrelevanz der Kirche in der Gesellschaft vom Frühjahr 2020 die ständige Impfkommission nicht erreicht“, kritisierte Kahnt. „Aus Sicht der Pfarrerinnen und Pfarrer, zumal der gesundheitlich vorbelasteten, war das Ergebnis unbefriedigend. In dieser Frage und angesichts der sogenannten dritten Welle sahen sich sehr viele Pfarrerinnen und Pfarrer von der Dienstgeberseite vollends alleingelassen. Denn im Zuge von Impfungen vor allem der lebensälteren Menschen wurden sie angefragt, nun rasch wieder normalen Dienst zu tun“, so der Vorsitzende vor der Mitgliederversammlung. Tatsächlich seien viele Leute davon ausgegangen, dass Pfarrerinnen und Pfarrer aufgrund ihres Berufsbildes selbstverständlich geimpft seien. Es sei nicht immer einfach gewesen, das Gegenteil zu erklären und damit zugleich die Grenzen des verantwortlich Leistbaren hinsichtlich der eigenen und der Gesundheit des Gegenübers aufzuzeigen. Kahnt lobte allerdings, dass Pfarrerinnen und Pfarrer in Schule, Klinik oder Altenheimseelsorge sich zum Teil gemeinsam mit den Belegschaften impfen lassen konnten. Für alle anderen war es, so Kahnt, je nach Alter und Gesundheit ein weiter Weg bis zur Abschaffung der Priorisierung.

Digitale Möglichkeiten nutzen / Arbeits- und Gesundheitsschutz verstärken

Hinsichtlich der Diskussion um die Digitalisierung der Kirche stellte Kahnt klar, dass die Kirche sich digitalen Möglichkeiten nicht verschließen dürfe, denn damit öffne sie sich den veränderten Formen der Kommunikation und erreiche Menschen, zu denen sie anders keinen Kontakt finde. Es sei sinnvoll, reine digital kommunizierende Gemeinden mit gottesdienstlichen und anderen Angeboten auszuprobieren. Ob mit oder ohne verbindliche Mitgliedschaft und finanziellen Beitrag, sei zu bedenken, so der Vorsitzende. Allerdings stellte Kahnt klar: „Wie jede andere Gemeinde bedürfte sie aber hauptamtlicher theologischer Leitung. Neben den Aufgaben in einem „klassischen“ Pfarramt ist das nicht zu leisten. Wollen die Kirchen professionelle digitale Angebote machen, müssen sie entsprechende Stellen schaffen. Und sie müssen entscheiden, was genau sie eigentlich digital kommunizieren wollen.“ Nur begeistert auf missionarische Gelegenheiten im Digitalen zu verweisen, reiche nicht. Die „Kommunikation des Evangeliums“ im Netz sei eine eigene besondere technische, soziale und pädagogische Herausforderung, so der Vorsitzende des Verbandes.

Zudem mahnte Kahnt einen besseren Arbeits- und Gesundheitsschutz an: „Die Kirchen sind deshalb aufgefordert, zu untersuchen, welche Schritte hinsichtlich sozialer und gesundheitlicher Folgen digitaler Arbeitsformen im Pfarrdienst eingeleitet werden müssen. Mindestens Haltungsschäden aufgrund langen Sitzens am Rechner und übermäßige Belastung der Augen durch Bildschirmarbeit verlangen eine gesunderhaltende Ausstattung von Arbeitsplätzen, die von den Kirchen zu bezahlen sind.“ Außerdem forderte Kahnt eine Anpassung des Dienstrechts für verlässliche Freiräume zur Erholung und Schutz vor Anfeindungen in den sozialen Medien seitens der Dienstgeber.

Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in den Kirchen

Der Verband unterstützt das Vorhaben der EKD, eine groß angelegte wissenschaftliche Aufarbeitung sexualisierter Gewalt durchzuführen. Damit sollen strukturelle Defizite in den Kirchen aufgedeckt werden, die sexualisierte Gewalt befördert haben oder noch immer befördern. Insofern habe das Vorhaben auch präventiven Charakter, so Kahnt. Zugleich wies der Vorsitzende darauf hin, dass das grundsätzlich zu begrüßende Präventions- und Aufarbeitungsinteresse in Spannung zu dem ernstzunehmenden Interesse des Persönlichkeitsschutzes geraten kann. Denn „als Grundlage der Aufarbeitung werden Personalakten herangezogen. Insofern muss der Persönlichkeitsschutz von Pfarrerinnen und Pfarrern, deren Personalakte der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden soll, umfänglich gewährleistet sein“, so Kahnt.

Das gelte insbesondere in Fällen nicht beweisbarer Anschuldigungen, die sich gleichwohl in Personalakten finden könnten. „Die Unschuldsvermutung, die das staatliche Recht zwingend vorschreibt, ist daher umfänglich zu wahren. Auf die Anonymisierung von Namen und Daten ist sorgfältig zu achten. Die Beschädigung von Beschuldigten muss ausgeschlossen sein, denn Dinge, die in der Welt sind, lassen sich selbst bei erwiesener Unschuld nicht wieder zurückholen - mit allen negativen Folgen für die Person, ihre Angehörigen und ihre beruflichen Chancen, zum Beispiel bei Bewerbungen,“ unterstrich der Vorsitzende vor den Delegierten.

Der Verband habe daher vorgeschlagen, dass die EKD sich an den hohen Schutzstandards des staatlichen Rechts im Umgang mit Einträgen und Speicherung von Daten in Personalakten orientiert, um einer Schlechterstellung von Pfarrerinnen und Pfarrern entgegenzuwirken. Denn eine dauerhafte Aufbewahrung dürfe nicht zu einem regelmäßigen Zugriff - zum Beispiel bei Bewerbungen - führen. Zudem regt der Verband an, Pfarrerinnen und Pfarrer als ebenfalls von sexualisierter Gewalt Betroffene in die wissenschaftliche Aufarbeitung aufzunehmen, unterstrich der Vorsitzende in seinem Bericht.

Gegen Aufschub bei Gehaltserhöhung und für Corona-Bonus

Als 2020 im Zuge der Folgen der Corona-Pandemie auf die wirtschaftliche Entwicklung ein Einbruch bei den Kirchensteuereinnahmen befürchtet und eine ungünstige Prognose für 2021 angenommen wurde, hätten einige Kirchen mit Sparmaßnahmen und Haushaltssperren reagiert, so Kahnt. Bereits vor einem Jahr forderte der Verband deshalb, „nicht unter der Hand und gleichsam im Windschatten der Pandemie Einsparungen bei Pfarrstellen oder bei der Besoldung umzusetzen.“

Dennoch sei in einigen Kirchen beschlossen worden, lineare Besoldungsanhebungen für 2021 und teils sogar 2022 mit Hinweis auf die Corona-bedingt unsichere wirtschaftliche Lage hinauszuzögern. Der Verband lehnt eine verzögerte Auszahlung der linearen Besoldungsanhebung ab, so Kahnt. Die amtsangemessene Alimentation müsse der Grundsatz der Besoldung bleiben. Bezahlung nach Kassenlage widerspreche diesem Grundsatz. Umso ärgerlicher sei es, dass Mitarbeitende mancherorts eine Sonderzahlung für besondere Belastungen in der Corona-Pandemie erhalten hätten, Pfarrerinnen und Pfarrer aber nicht. „Homeoffice wurde also honoriert, nicht jedoch der Dienst vor Ort nahe bei den Menschen. Die zu Hause gesundheitlich Geschützten erhielten einen Bonus, den draußen Gefährdeten wurde er verweigert.“ Es dürfe hinterfragt werden, ob Sonderzahlungen überhaupt angebracht sind, sagte der Vorsitzende. „Wenn sie aber sein sollen, dann bitte für alle. Wo Verantwortliche in Leitung und Verwaltung oder auch Synoden wissentlich Pfarrerinnen und Pfarrer von Zulagen ausgenommen haben, haben sie sich als Dienstgeber einen Bärendienst erwiesen. Mit Attraktivität des Pfarrberufs, mit Respekt und Anerkennung, mit Motivation, mit Verlässlichkeit als Dienstgeber hat das nichts zu tun“, stelle Kahnt vor den Delegierten klar.

76. Deutscher Pfarrerinnen und Pfarrertag 2022 in Leipzig

Abschließend lud Kahnt alle Pfarrerinnen und Pfarrer in den Vereinen zum 76. Deutscher Pfarrerinnen und Pfarrertag 2022 ein, der vom 26.-28. September 2022 in Leipzig stattfindet soll. Die Veranstaltung steht unter dem Motto „Ende der Sicherheit“. Das Motto sei bei der ursprünglichen Planung 2020 bereits brandaktuell gewesen, so Kahnt. Es habe durch die Corona-Pandemie und die unmittelbaren Folgen der Klimakrise weitere Brisanz bekommen. Kahnt dankte dem Sächsischen Pfarrverein für die Einladung nach Leipzig. „So Gott will und wir leben, sehen wir uns dort“ rief Kahnt den Delegierten zu.

(Christian Fischer, Pressesprecher)  

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