Münster, 26.9.2017 (cf). In seinem Vorstandsbericht vor der Mitgliederversammlung des Verbandes evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V. am 26.9.2017 in Münster stellte der Vorsitzende des Verbandes, Pfarrer Andreas Kahnt (Westerstede), die aktuellen Herausforderungen, vor denen Pfarrerinnen und Pfarrer in Ihrem Dienst stehen, in den Vordergrund. Als drängende Fragen der Zeit nannte der Vorsitzende: „Die Verteilung des von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erarbeiteten Wohlstands und damit der soziale Friede; die Integration von Flüchtlingen in Deutschland und Europa; Gerechtigkeit im wirtschaftlichen Handeln und Umsicht im politischen Handeln, damit Menschen in ihrer Heimat bleiben und sicher leben können; Klimaschutz und Mobilität.“ Diese Fragen beschäftigen Menschen gleichermaßen in Stadt und Land, in Bürgergemeinden und Kirchengemeinden. „Christinnen und Christen müssen sich zu diesen Fragen verhalten. Pfarrerinnen und Pfarrern kommt dabei die Aufgabe zu, das Evangelium in die besonderen Herausforderungen der Zeit hinein anzusagen – in Predigt, Unterricht und Diakonie“, so der Vorsitzende.

Engagiert und umsichtig - Kahnt würdigt Pfarrerinnen und Pfarrer sowie Kirchenleitungen für ihre Unterstützung bei der Integration von Flüchtlingen

Dabei unterstrich Kahnt das große Engagement von Pfarrerinnen und Pfarrern bei der Integration von Flüchtlingen: „Gerade die vergangenen zwei Jahre haben gezeigt, wie engagiert und umsichtig Pfarrerinnen und Pfarrer in ihren Gemeinden und Einrichtungen bei der Integration von Flüchtlingen gewirkt haben - nicht selten gegen Widerstände aus den eigenen Reihen, gegen bürokratische Hindernisse, gegen Anfeindungen. Nicht zuletzt die behördlich angeordnete Räumung von Kirchen, in denen Menschen Asyl gewährt wurde, hat erwiesen, wie wichtig ein klares christliches Wort und eine klare christliche Haltung ist. Gut, dass die betroffenen Pfarrerinnen und Pfarrer besonnen reagiert haben. Gut, dass Kirchenleitungen im Gespräch mit politisch Verantwortlichen den Frieden und das unangefochtene Kirchenasyl wiederherstellen konnten“, lobte Kahnt das Engagement aller Beteiligten.

Gute Rahmenbedingungen für Pfarrdienst in Deutschland / Je näher bei den Menschen desto überzeugender

Kahnt würdigte ausdrücklich die guten Rahmenbedingungen, unter denen Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland ihren Dienst versehen können: Frei und ungehindert könne das Evangelium von Jesus Christus verkündet und das daraus abzuleitende angemessene Handeln angesprochen werden. „Kaum jemand greift die verbrieften Rechte der Kirchen an. Dort, wo es doch geschieht, verlaufen die Bestrebungen schnell im Sande. Die Kirchen gelten als stabilisierende Kraft innerhalb der Gesellschaft. Ihre Diakonie ist unverzichtbar für ein sozialverträgliches Miteinander. Die Stimme der Kirchen zu politischen Fragen gefällt nicht allen, auch innerkirchlich nicht, aber sie ist nicht selten geeignet, Alternativen zu benennen und Menschen, zumal politisch Verantwortliche, zu überzeugen“, sagte Kahnt vor den Delegierten. Es bleibe ein hohes Gut, dass Pfarrerinnen und Pfarrer frei und ungehindert ihren Dienst am Evangelium tun könnten – zum Lobe Gottes und zum Nutzen der Menschen. Zwangsläufig würden sie in der Nachfolge Jesu den Finger in manche Wunde legen und auch gegen den Trend und gegen jede Form des Populismus reden und handeln. Die Verkündigung in Wort und Tat werde umso kräftiger sein, „je näher Pfarrerinnen und Pfarrer den ihnen anvertrauten Menschen in Dörfern und Stadtteilen, Einrichtungen und Werken sind, deren Nöte kennen und teilen, sie ermutigen, sie trösten, ihnen helfen, sich zu den drängenden Fragen dieser Zeit zu verhalten“, betonte Kahnt in Münster.

Kritik an Großveranstaltungen im Jahr des Reformationsjubiläums / Gemeinden nicht vernachlässigen

Kritisch setzte sich Kahnt mit den Großveranstaltungen im Jahr des Reformationsjubiläums auseinander. Die thematische Ausrichtung des Deutschen evangelischen Kirchentages in Berlin „hatte wenig mit reformatorischer Theologie zu tun“, so Kahnt. Die „Kirchentage am Wege“ und die Weltausstellung in Wittenberg seien sehr unterschiedlich erlebt worden. „Wenn die Zahlen stimmen, die zu Kosten und Teilnehmenden veröffentlicht worden sind, stellt sich die Frage, ob der Aufwand das Ergebnis rechtfertigt“, unterstrich der Vorsitzende. Alle, die mit großem Elan an den großen Veranstaltungen im Jubiläumsjahr mitgewirkt hätten, seien in Kirchengemeinden geprägt worden, nicht zuletzt von Pfarrerinnen und Pfarrern.
„So wichtig und richtig es ist, 500 Jahre Reformation zu feiern, so wichtig und richtig ist die Einsicht am Ende der Feierlichkeiten, dass die Gemeinden finanziell nicht zugunsten von Großprojekten vernachlässigt werden dürfen. Denn hier finden allermeist die wesentlichen religiösen Prägungen statt. Wenn aufgrund der Einsichten aus dem Reformationsjubiläum ein Umdenken hinsichtlich der Bedeutung der Gemeinden und der gemeindenahen Einrichtungen und Werke für die evangelische Kirche stattfindet, und wenn damit die Arbeit der Pfarrerinnen und Pfarrer angemessen anerkannt wird, hat die Sache noch etwas unerwartet Gutes“, betonte Kahnt vor den Delegierten.

Aufbruch mit wem und wohin? / Enormer Veränderungsdruck an der Basis

Immer wieder werde mit dem Reformationsjubiläum ein Aufbruch der Kirche proklamiert, so Kahnt. „Mal abgesehen davon, dass es zu allererst der lebendige Gott in der Kraft des Heiligen Geistes ist, der Glaube wirkt und Menschen bewegt, muss die Frage erlaubt sein, wohin denn die Kirche aufbrechen will? Und mit wem?“ Das stehe noch nicht recht fest, so der Vorsitzende. Gerade weil der Verband, die Vereine und Pfarrvertretungen in der Vergangenheit nur sehr ungenügend an den EKD-Veränderungsprozessen beteiligt worden seien, werde der Verband genau darauf achten, mit wem die Kirche aufbrechen  will, so Kahnt in Münster. Dabei gelte es zu beachten, dass Pfarrerinnen und Pfarrer bereits jetzt unter einem teils enormem Veränderungsdruck ständen. Der Verband fordere die Kirchen auf, diesen Druck zu mindern und die Freude am Pfarrberuf zu mehren. Es gelte nicht über Pfarrerinnen und Pfarrer zu reden, sondern mit ihnen, so Kahnt. „Wenn die Kirchen im Nachgang zum Reformationsjubiläum also aufbrechen sollen, dann werden sie das vernünftigerweise nicht ohne diejenigen tun, die aufgrund ihrer theologischen Kompetenz im täglichen Dienst Reformation leben und lehren, “ sagte der Vorsitzende.

Wer kommt nach den Babyboomern? / Kirche steht vor enormen Personalmangel

Die Kirche gehe auf einen enormen Personalmangel zu, unterstrich Kahnt und stellte die Frage: „Wer kommt nach den Babyboomern?“ Die würden in einem überschaubaren Zeitraum in den Ruhestand treten. Es sei zudem noch nicht ausgemacht, dass „nicht wenige sich vorzeitig pensionieren lassen oder – schlimmer – aufgrund von gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorzeitig aus dem Dienst gehen müssen“. Zurzeit würden etwa 290 Vikarinnen und Vikare pro Jahr ordiniert,  ein gutes Drittel des Bedarfs zur Besetzung freiwerdender Stellen, referierte Kahnt. Regional gebe es Unterschiede, aber die Tendenz sei deutlich: „Bei im Großen und Ganzen gleichbleibenden Voraussetzungen und Erwartungen an den Pfarrberuf wird die Zahl derer, die diese Erwartungen erfüllen sollen, deutlich kleiner.

Auch die Lösungsansätze seien bisher überschaubar. Die Möglichkeit, über das Ruhestandsalter hinaus zu arbeiten, sei gesetzlich gegeben, werde aber von den Kirchen unterschiedlich gehandhabt. In keinem Falle könne sie die Lücken, die entstehen, schließen. Dazu komme, dass nicht wenige Pfarrerinnen und Pfarrer der geburtenstarken Jahrgänge darauf verzichten werden, ihre Dienstzeit zu verlängern, weil sie von den Kirchen als Dienstgeber enttäuscht seien. So machten sich zum Beispiel Maßnahmen wie der Zwangsteildienst in den früheren Jahren bei den Ruhestandsbezügen bemerkbar. Viele Pfarrerinnen und Pfarrer hätten damals auf Anteile ihres Gehalts verzichtet, um anderen die Möglichkeit zu geben, den Pfarrdienst aufzunehmen. Gleichsam als „Belohnung“ wurden Eingangsgehälter gekürzt, Stellenumfänge verändert, tarifliche Gehaltssteigerungen gar nicht oder verspätet weitergegeben, Durchstufungen in eine höhere Gehaltsklasse ausgesetzt oder verlagert, so Kahnt. „Die Pfarrerinnen und Pfarrer haben dennoch engagiert ihren Dienst versehen, weil ihnen das Evangelium und die Kirche am Herzen lagen. Traurig, dass ihr Dienst nicht die Resonanz in den Kirchenleitungen und Synoden gefunden hat, die er verdient hätte“, unterstrich der Vorsitzende.

Inzwischen sei weithin anerkannt, dass ehrenamtliches Engagement zwar unverzichtbar ist, Ehrenamtliche aber nicht unbegrenzt belastbar sind. „Mit dem reichlich bemühten Priestertum aller Getauften lässt sich kein verlässlicher Pfarrdienst organisieren“, unterstrich Kahnt. Auch berufliche Quereinsteiger könnten nur zum Teil Entlastung bringen. Der Verband begrüße zwar die Ernsthaftigkeit, mit der um theologisch möglichst fundierte Studieninhalte für berufsbegleitende Programme gerungen werde. „Das klassische, wissenschaftlich-akademische Theologiestudium an staatlichen Fakultäten muss aber der Normalfall bleiben“, unterstrich Kahnt. Es bleibe unverzichtbar, theologisch reflektiert verantwortlich zu predigen und zu unterrichten. Dafür Menschen, zumal junge Menschen zu gewinnen, die umfassend studieren, eine theologische Persönlichkeit entwickeln und sich auf den Verkündigungsdienst vorbereiten, müsse das Interesse aller Kirchen sein.

Sorge um öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse

Sorgen bereiten dem Verband derzeit Tendenzen in einigen Kirchen, die das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis von Pfarrerinnen und Pfarrern infrage stellten, so Kahnt. Dabei sei „mitunter zu beobachten, wie ungeniert und ohne Hintergrundwissen öffentlich über verbrieftes Recht geredet wird. Ein ganzer Berufsstand wird lediglich als Kostenfaktor behandelt.“ Die Zielrichtung sei klar: Der Pfarrdienst solle billiger werden, so der Vorsitzende. Zwar belasteten die Versorgungslasten und die Kirchen müssten aufgrund niedriger Zinsen viel Geld nachschießen, dazu seien sie aber nach geltendem Recht verpflichtet, wenn sie denn ihrer Fürsorgepflicht nachkommen wollten, unterstrich Kahnt. „Wer deshalb geltendes Recht infrage stellt, sollte zunächst einmal ausrechnen, was ihn das kostet. Er sollte bedenken, ob solche Maßnahmen nicht auf Kirchenbeamte übertragen werden müssten. Er sollte abwägen, ob er seine Kirche von Landes- oder Bundesrecht abkoppelt und was das eventuell für bestehende Staatsverträge bedeutet. Er sollte über den Wert des bestehenden Dienst- und Treueverhältnisses nachdenken. Er sollte überlegen, was es bedeutet, wenn Pfarrerinnen und Pfarrer privatrechtlich angestellt sind: Ob zum Beispiel weiterhin wie selbstverständlich von ihnen erwartet werden kann, dass sie sechs Tage pro Woche und manchmal mehr arbeiten oder dass sie geschäftsführende Verantwortung für Finanzen und Personal oder andere besondere Aufgaben ohne höhere Besoldung übernehmen. Er sollte sich fragen, ob Dienstwohnungspflicht und Disziplinarrecht zu halten wären.“ Der Verband werde darauf achten, dass Pfarrerinnen und Pfarrer keine strukturellen und finanziellen Einbußen hinnehmen müssen. Das gebiete allein schon die Sorge um den theologischen Nachwuchs. Eingriffe in geltendes Recht bei den aktiven Pfarrerinnen und Pfarrern dürfe es jedenfalls nicht geben, unterstrich der Vorsitzende.

Diskussion um Heraufsetzung des Ruhestandsalters

Nicht minder aufmerksam beobachte der Verband die Diskussion um eine Heraufsetzung des Ruhestandsalters auf 70 Jahre. Als freiwillige Möglichkeit gebe es die Heraufsetzung in den meisten Kirchen. Offiziell gelte aber 67. Der Verband erwarte von den Kirchen, dass sie erst einmal Erfahrungen mit der gültigen Rechtslage machen. Dabei helfe es zu ergründen, wie viele Pfarrerinnen und Pfarrer derzeit vorzeitig in den Ruhestand treten und warum. Sollte sich nämlich erweisen, dass nicht wenige das gültige Ruhestands-Eintrittsalter ohnehin nicht erreichen, erschienen Überlegungen zu einer Heraufsetzung in einem völlig neuen Licht, unterstrich Kahnt. Zur gültigen Rechtslage gehöre zudem die kritische Nachfrage, welche Maßnahmen die Kirchen ergriffen haben, um eine längere Lebensarbeitszeit überhaupt zu ermöglichen? Arbeitsverdichtung, Termindruck, hohe Erwartungen an die Amtsführung und gesellschaftliche Veränderungen gingen an Pfarrerinnen und Pfarrern nicht vorbei. Bei der Frage, wie bei zunehmender Lebensarbeitszeit Menschen freudig, zufrieden, engagiert und mit hoher Identifikation mit ihrem Betrieb arbeiten können, seien wertschätzende Führung, Gesundheitsförderung und altersgerechtes Arbeiten wichtige Stichworte.

Wegweisendes Papier der Dienstrechtlichen Kommission zu Veränderungsprozessen

Kahnt verwies zum Schluss seines Berichts auf ein Papier der Dienstrechtlichen Kommission, einem Gremium, das den Rat der EKD berät und  je zur Hälfte aus Vertreterinnen und Vertretern der Landeskirchenämter und der Pfarrerschaft besetzt ist. Die Kommission habe dem Rat im Frühjahr ein Papier zugeleitet, das unter der Überschrift „Anregung der Dienstrechtlichen Kommission zur theologischen Reflexion, Deutung und Vermittlung von Veränderungsprozessen“ die gemeinsame Verantwortung von Dienstgebern und Dienstnehmern aufzeigt, so Kahnt.
Die Kommission betont darin die Notwendigkeit theologischer Reflexion in allen Stadien und auf allen Ebenen von Veränderungsprozessen. Dabei sei die Theologische Kompetenz der Pfarrerinnen und Pfarrer unverzichtbar. In dem Papier heißt es wörtlich: „Die Dienstrechtliche Kommission ermutigt die Pfarrerinnen und Pfarrer, aktiv gestaltend (…) an kirchlichen Veränderungsprozessen mitzuwirken. Sie regt an, dass die Pfarrvereine in anstehenden Veränderungsprozessen ihrer Kirchen eigene inhaltliche Impulse einbringen. Die Dienstrechtliche Kommission regt an, dass die jeweiligen kirchenleitenden Gremien in strukturierter Weise mit ihrer Pfarrerschaft ins Gespräch treten, wenn Ziele und Wege eines anstehenden Veränderungsprozesses entwickelt und umgesetzt werden. Die Dienstrechtliche Kommission sieht in der Mitverantwortung der Pfarrerschaft in kirchlichen Veränderungsprozessen ein wichtiges Element für das Gelingen dieser Prozesse. Die theologischen Impulse, die die Pfarrerinnen und Pfarrer in ihrem jeweiligen Wirkungskreis in das Gespräch einbringen, beleben den Diskurs, der mit Ehrenamtlichen und Mitgliedern anderer Berufsgruppen in Veränderungsprozessen zu führen ist, und orientieren das Gespräch auf den Auftrag der Kirche.“

Die Dienstrechtliche Kommission mache mit diesem Papier deutlich, dass nun Zeiten anbrechen müssten, in denen wesentliche Weichenstellungen in den Kirchen nur noch unter Beteiligung der Pfarrerinnen und Pfarrer von Anfang an und aufgrund ihrer theologischen und seelsorgerlichen Kompetenzen bedacht und gegebenenfalls umgesetzt werden, betonte der Vorsitzende vor den Delegierten.