Leipzig, 29.9.2020 (cf). In seinem Vorstandsbericht vor der Mitgliederversammlung des Verbandes evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V. am 29.9.2020 in Leipzig stellte der Vorsitzende des Verbandes, Pfarrer Andreas Kahnt (Westerstede), die Situation des pfarramtlichen Dienstes in der Corona-Zeit in den Vordergrund. „Über Nacht“ habe sich der Dienst der Pfarrerinnen und Pfarrer völlig verändert. Sie hätten die Situation „überwiegend schnell und konstruktiv angenommen“ und sich ein „weiteres Mal als verantwortliche Berufsgruppe in Gemeinden, Einrichtungen und Werken bewährt“, so Kahnt.

Dabei hätten die Pfarrerinnen und Pfarrer die Fülle der Corona-Verordnungen der Bundesländer und die Krisenstab-Updates der Kirchen nicht nur lesen, sondern auch die darin enthaltenen Zumutungen umsetzen müssen. „Zumutungen insofern, als die Verordnungen den Pfarrdienst in seinen gewohnten Formen außer Kraft setzten – mit allen bekannten Herausforderungen für die Abläufe in Kliniken, in Kindertagesstätten oder Pflegeeinrichtungen, in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, in der Bildungsarbeit und nicht zuletzt in den Gemeinden. Die allgemeine Verunsicherung und der verständliche Wunsch, niemanden zu gefährden, veranlassten die Kirchen teils vorauseilend, teils im Nachgang von staatlichen Vorgaben, ein striktes Versammlungsverbot umzusetzen“, unterstrich Kahnt vor den Delegierten.

Kirchen sind dafür da, dass Menschen sich in ihnen versammeln

Kahnt unterstrich, dass nicht wenige Pfarrerinnen und Pfarrer sich schwertaten, ihre Kirchgebäude zu schließen. „Kirchen sind dafür da, dass Menschen sich in ihnen versammeln. Das waren sie immer, auch in Zeiten von Pest, Kriegen und Hungersnöten. Wenn’s drauf ankam, waren die Kirchen geöffnet, notfalls auch nachts. Verantwortlich dafür sind Kirchenälteste und Pfarramt“, unterstrich der Vorsitzende.

Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie und der um sich greifenden Verunsicherung hätten offene Kirchen ein wichtiges Zeichen der Präsenz von Kirche bei den Menschen sein können, sagte Kahnt, denn „Gottesdienste wurden im Zuge der Versammlungsverbote zwar untersagt, es wäre aber gut und seelsorglich angemessen gewesen, Kirchen nach Möglichkeit und örtlicher Gegebenheit offen zu halten. Wenn schon nicht für Gottesdienste, so doch für Menschen, die darin für eine kleine Zeit Zuflucht und Stille suchen.“

Kritik am Gottesdienstverbot /„Kirche ist heilsrelevant“

Besonders schmerzlich sei für Pfarrerinnen und Pfarrer das Verbot, Gottesdienst mit Gemeinde in der Kirche zu feiern, gewesen, unterstrich Kahnt in Leipzig. Jetzt werde zurecht die Frage nach der Bedeutung des Gottesdienstes gerade in Krisenzeiten diskutiert. „Die Feier des Gottesdienstes wurde zum Teil in „Konkurrenz“ zum Einkaufserlebnis im Baumarkt betrachtet“, so Kahnt. Dieses Missverhältnis sei zurecht auf Kritik der Kirchen gestoßen, weil das Gottesdienstverbot das Herz der Religionsfreiheit treffe und nicht einfach unter einem allgemeinen Versammlungsverbot subsumiert werden könne, sagte der Vorsitzende. Die Verkündigung des Evangeliums an Sonn- und Feiertagen und zu besonderen Zeiten und Anlässen des Lebens gehöre zu den vornehmsten Aufgaben der Kirche, so Kahnt. „Die Kirche mag im Sinne des Gesetzgebers vielleicht nicht systemrelevant sein. Heilsrelevant ist sie allemal“, unterstrich Kahnt in Leipzig.

Kreativität als Antwort auf die Anfrage an das eigene Selbstverständnis

Pfarrerinnen und Pfarrer hätten kreativ auf diese Anfrage an das Selbstverständnis ihres Berufes und ihrer Berufung geantwortet. „Schon am ersten Sonntag nach dem Verbot öffentlicher Gottesdienste wurden gottesdienstliche Angebote ins Internet gestellt. Die sofort einsetzende Diskussion, ob das überhaupt Gottesdienst sei, hat die Kreativität nicht unterlaufen. Die Bandbreite reichte von Gottesdienst-Beuteln am Pfarrhauszaun zum Abholen über den E-Mail-Versand von Lesungen, Liedtexten, Predigt und Gebeten gemäß dem Proprium bis hin zu aufwendig aufgezeichneten Feiern mit Kirchenmusik. Hier und da gab es tägliche Andachten in verschiedenen Formaten, um dem Bedürfnis nach Seelsorge entgegen zu kommen. Woanders griffen Pfarrerinnen und Pfarrer zum Telefon und riefen ihre Gemeindeglieder an, um ihnen ein gutes geistliches Wort zu sagen. Und über den Gottesdienst hinaus entwickelten sich caritative Initiativen der Hilfe von Mensch zu Mensch, nicht selten unter Beteiligung von Jugendlichen, was der Konfirmandenzeit hier und da unerwarteten Schwung gab“, berichtete der Vorsitzende.

Pfarrerinnen und Pfarrer erleben die Folgen der Pandemie sehr ambivalent

Allerdings hätten manche Kolleginnen und Kollegen die Einschränkungen als Berufsverbot empfunden. Andere vermissten den persönlichen Kontakt zu den Menschen ihres beruflichen Umfelds und taten sich schwer damit, der Seelsorge in den Wohnungen, Häusern oder Pflegeeinrichtungen nicht mehr nachkommen zu können. Einige hätten auch sich ergebende zeitliche Freiräume genossen, andere vermissten solche Freiräume, weil die neuen Formate und Arbeitsweisen sie mehr als auskömmlich beschäftigten, beschrieb Kahnt die ambivalente Situation. Nicht vergessen werden dürften auch die Pfarrerinnen und Pfarrern, die in echte Bedrängnis gerieten durch die Notwendigkeit, sich um die Betreuung ihrer Kinder zu kümmern oder den Kontakt zu ihren Eltern und Großeltern zu gewährleisten.

Allen mag es gutgetan haben, dass die kreativen Aktivitäten zumal im Internet Menschen angesprochen hätten, die bisher keinen oder kaum Zugang zu kirchlichen Angeboten hatten. Ob hier eine Chance für die Zukunft liegt, Mitglieder an die Kirche zu binden oder neu zu gewinnen, müsse sich noch erweisen, so Kahnt, der sich erfreut zeigte, dass sich manche Kirchenleitungen für das Engagement ihrer Pfarrerinnen und Pfarrer bedankt hätten.
Unter der Hand werde damit eingestanden, dass Kirche und Mitgliederbindung an der Basis stattfänden. Überdies sei die öffentliche Wirksamkeit der kirchlichen Angebote teils enorm gewesen, so Kahnt, der dazu aufforderte die Öffentlichkeitsarbeit zu verstärken: „Auch wenn die missionarische Kraft der medialen Aufmerksamkeit sich am Ende als begrenzt erweisen sollte. Eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit jedenfalls sollte eine der Folgerungen aus den Erfahrungen mit der Corona-Pandemie sein.“

Waren Verbote angebracht? Kahnt fordert offene Debatte

Kahnt unterstrich, die in der Corona-Pandemie gemachten Erfahrungen seien vielfältig und er forderte dazu auf, die Erfahrungen in einer offenen Debatte auszutauschen und zu bewerten: „Die Erfahrungen betreffen den Dienst von Pfarrerinnen und Pfarrern in ihren verschiedenen Funktionen. Sie betreffen das Verhältnis von Kirche und Staat. Sie betreffen das Verhältnis von Kirchenleitung und Gemeinde. Daher ist es unumgänglich, über Maßnahmen und Verbote während jener Monate nachzudenken: Inwieweit waren sie angebracht, abgestimmt - nicht zuletzt mit den Pfarrvertretungen - und angemessen? Die Corona-Pandemie eröffnet die Möglichkeit, innerkirchlich, politisch und gesamtgesellschaftlich über grundsätzliche Fragen des Zusammenlebens, der Transparenz bei Entscheidungen und der vom Grundgesetz geschützten Normen wie Religionsfreiheit oder Versammlungsfreiheit zu reden und sie dadurch neu ins Bewusstsein zu rufen. Das wird unserem Gemeinwesen guttun. Voraussetzung ist allerdings die Bereitschaft zu einer offenen Debatte.

Halbzeitbilanz: Abgeschlossene Projekte und Selbstkritik

Zur Halbzeit der Vorstandsperiode gab Kahnt einen Überblick über die erfolgreich durchgeführten Projekte: Die Kasse des Verbandes sei von Karlsruhe nach Frankfurt am Main umgezogen, die Bearbeitung der Studienhilfe aus der Kasse ausgegliedert und in der Geschäftsstelle in Kassel angesiedelt worden. 2018 sei erstmals eine Befragung zu den publizistischen Produkten des Verbands durchgeführt worden. Mit den Veränderungen beim Pfarrerblatt, auf der Homepage des Verbandes und beim Pfarramtskalender habe der Vorstand die Ergebnisse der Erhebung zu den publizistischen Produkten des Verbandes umgesetzt. Überlegungen zu einer stärkeren Profilierung des Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrertages seien in Arbeit. Ausführlich beschäftigte sich der Vorstand auch mit dem Thema „Pfarramt und Gesundheit“.

Selbstkritisch merkte der Vorsitzende an, dass im Zusammenhang mit der Tatsache, dass viele Pfarrerinnen und Pfarrer hinsichtlich der Corona-Pandemie zur Risikogruppe gehören, der Verband es versäumt habe, hier proaktiv z.B. durch Hinweise zum Schutz Betroffener tätig zu werden. Auch beim Umstieg auf digitale Sitzungsformate seien Defizite zu beklagen. Als Erfolg wertete Kahnt, dass der Verband mittlerweile zu den EKD-Synodaltagungen eingeladen werde und vor Ort die Möglichkeit zu Kontaktpflege und Netzwerkarbeit habe.

Festhalten an akademischem Studium zur Vorbereitung auf den Pfarrberuf

Eine Fachtagung des Verbandes im Januar 2020 habe sich mit der Frage beschäftigt, welche akademischen Voraussetzungen Pfarrerinnen und Pfarrer benötigen, um ihren Dienst im Sinne des Auftrags der Kirche Jesu Christi zur Kommunikation des Evangeliums ausfüllen zu können. Dort wurde herausgestellt, dass die akademische Ausbildung im Studium vor allem der Aneignung theologischer Kompetenz und weniger der Beschäftigung mit den Funktionen im Pfarramt und der Entwicklung der persönlichen Spiritualität diene, so Kahnt. Im Vikariat trete dann die „Performanz“, also die Einübung in die beruflichen Funktionen in den Vordergrund. Im Rahmen lebenslangen Lernens gewänne dann schließlich die persönliche Spiritualität an Bedeutung. Die drei Phasen seien zu unterscheiden, so Kahnt, und gehörten zur Bildung einer theologischen Persönlichkeit im Pfarrberuf untrennbar zusammen. „Deshalb hält der Verband an einem akademischen Studium an einer staatlichen Universität zur Vorbereitung auf den Pfarrberuf fest. Er fordert die Kirchen ausdrücklich auf, sich allen Tendenzen zu einer Aufweichung der Voraussetzungen entgegenzustellen. Modelle zum Quereinstieg sollen nicht aufgegeben werden. Das wissenschaftliche Studium muss aber der normale und selbstverständliche Zugang zum Pfarrberuf bleiben“, unterstrich Kahnt

Scharfe Kritik an Leitsätzen der EKD zur Zukunft der Kirche in Deutschland

Kahnt äußerte scharfe Kritik an den kürzlich veröffentlichten Leitsätzen der EKD zur Zukunft der Kirche in Deutschland. Den Leitsätzen mangele es an Theologie, so Kahnt. „Statt einen adventlichen Blickwinkel einzunehmen, wird suggeriert, die Kirche könne sich selbst zukunftsfähig machen. Darüber wird einmal mehr vergessen, dass die Zukunft der Kirche allein bei Gott liegt. Die Kirche ist Sachwalterin des Evangeliums. Sie wirkt mit am Reich Gottes. Aber ihr Wirken und ihre Wirksamkeit hängen vom Willen Gottes ab. Die Leitsätze rechnen jedoch nicht mit dem Handeln Gottes in seiner und für seine Kirche. Sie erwarten die Zukunft der Kirche von ihrer eigenen Dynamik und nicht von der Dynamik des Geistes Gottes“, kritisierte Kahnt auf der Mitgliederversammlung.

Besonders bedenklich sei, dass die Leitsätze „eine erneute Attacke gegen die Ortsgemeinde reiten“. Damit offenbarten sie ein enggeführtes Kirchenbild. Ausdrücklich wiesen sie den Weg weg von flächendeckendem kirchlichem Handeln. Kahnt wörtlich: „Wovor Theologie, Soziologie und Psychologie und in ihrer Folge Pfarrvereine und Verband seit langem warnen, wird gegen alle Vernunft wiederholt: Der Rückzug aus der Fläche und eine Zentralisierung der Kirche in wenigen urbanen kirchlichen Orten.“ Die Leitsätze seien zudem teils schwammig verklausuliert, sie formulierten in kirchlich-technokratischem Deutsch und enthielten Wortschöpfungen, die mehr Fragen heraufbeschwörten als Antworten geben, so der Vorsitzende.

Mit einer weitergehenden Marginalisierung der kirchlichen Arbeit in der Fläche und der Ortsgemeinden gefährde die Kirche einen Großteil ihrer Einnahmen. „Ohne diese Einnahmen lassen sich aber die Vorstellungen der Leitsätze von einer dynamisch agierenden Kirche nicht bezahlen“, betonte Kahnt, der abschließend resümierte: „Mit anderen Worten: Die schweigende Mehrheit der Kirchenmitglieder zahlt den Betrieb einer Kirche, von der sie nichts hat und die sie nicht will. Mit den „zukünftig zu fördernden kirchlichen Angeboten werden den Mitgliedern Ortsnähe und die sichtbare Präsenz von Pfarrerinnen und Pfarrern entzogen. Dadurch wird die Kirche geschwächt und in ihrer Aufgabe, das Evangelium in Wort und Tat unter die Leute zu bringen, behindert.

(Christian Fischer, Pressesprecher)