Lübeck, 26.9.2016 (cf). In seinem Vorstandsbericht vor der Mitgliederversammlung des Verbandes evangeli­scher Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V. am 26.9.2016 in Lübeck-Travemünde stellte der Vorsitzende des Ver­bandes, Pfarrer Andreas Kahnt (Westerstede), die Folgerungen aus der fünften EKD-Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) für den Pfarrberuf sowie eine Bilanz des EKD-Reformpapiers „Kirche der Freiheit“ in den Mittelpunkt. Auch zu aktuellen Herausforderungen für die Pfarrerinnen und Pfarrerin in Deutschland nahm er Stellung.

Die 5. Erhebung der Evangelischen Kirche in Deutschland über die Kirchenmitgliedschaft (KMU) müsse noch einmal neu gelesen werden, betonte Kahnt. Jetzt, nachdem  nachgewiesen worden sei, dass die Befragung bewusst im eher städtischen Bereich durchgeführt wurde, obwohl die überwiegende Zahl der Evangelischen in kleinstädtischen und ländlichen Regionen lebten, könne nicht mehr behauptet werden, die Ortsgemeinde sei provinziell und eine zu vernachlässigende Größe, wie im Papier „Kirche der Freiheit“ gesagt werde, so der Vorsitzende. Vielmehr müsse nun auch dem Letzten klar sein, was evangelische Christinnen und Christen von ihrer Kirche erwarten, „nämlich Ortsnähe und Pfarrerinnen und Pfarrer, die Zeit haben und nahe bei den Menschen sind“, erklärte Kahnt. „Das ist ein unüberhörbares Votum gegen die Verlagerung von Kirche auf die mittlere Ebene oder gar auf städtische Leuchtfeuer. Kirche soll da sein, wo die Menschen leben“, betonte er vor den 100 Delegierten aus den Mitgliedsvereinen.

Aufnahme von Flüchtlingen / Pfarrerinnen und Pfarrer leisten unschätzbare Dienste für die Zivilgesellschaft

Statt Stellenstreichung bedürfe es der Stärkung der Ortsgemeinde, so der Vorsitzende. Dies umso mehr, da Pfarrerinnen und Pfarrer es nie nur mit den eigenen Gemeindegliedern zu tun hätten. Daher seien Gemeindegliederzahlen als Richtschnur für Bestand oder Nicht-Bestand einer Ortsgemeinde unzureichend. Das habe sich in eindrucksvoller Weise zuletzt bei der Herausforderung gezeigt, Schutzsuchende in Städten und Gemeinden willkommen zu heißen. So galt es, sie unterzubringen und mit dem Nötigsten zu versorgen, Gemeindehäuser - zum Teil unter Streichung des üblichen Programms - zu öffnen, Gespräche mit Behörden zu führen und in Konflikten zu vermitteln oder Konflikte auszuhalten – nicht selten mit dem eigenen Gemeindekirchenrat oder anderen Gemeindegliedern -, erläuterte Kahnt weiter. „Es ist die Ortsnähe der Pfarrerinnen und Pfarrer, die sie in die Lage versetzt, auf aktuelle Herausforderungen angemessen und schnell zu reagieren. Pfarrerinnen und Pfarrer vor Ort haben stets alle Menschen im Blick, weil es um Gottes Willen kein Ansehen der Person gibt!“ unterstrich Kahnt.

Mit einem Abzug von Pfarrerinnen und Pfarrern aus der Fläche zugunsten von regionalen, eher städtischen Zentren, könne Kirche nur verlieren, sagte Kahnt weiter und erklärte: „Pfarrerinnen und Pfarrer leisten damit unschätzbare Dienste für die Zivilgesellschaft – weit über das hinaus, was von ihnen gemeinhin zu erwarten wäre und neben ihren ohnehin schon umfangreichen Aufgaben!“

Wichtiges Thema der Zukunft: Gesundheit im Pfarramt

Diese Aufgaben könnten Pfarrerinnen und Pfarrer nur leisten, wenn sie gesund sind, so Kahnt. Einige Landeskirchen hätten die Zeichen erkannt (gestiegene  Anforderungen im Beruf, älter werdende Pfarrerschaft, längere Lebensarbeitszeit und heraufziehender Pfarrermangel) und sich der Thematik „Gesundheit im Pfarramt“ angenommen. So gebe es zum Beispiel in der Westfälischen Kirche in jedem Kirchkreis Beauftragte, die sich um die Gesundheit im Pfarramt kümmern. In der Pfalz wurde eine Steuerungsgruppe zur Einführung eines verpflichtenden Wiedereingliederungsmanagements eingerichtet. In Bayern geht der Versuch, mit verbindlichen Dienstordnungen Zufriedenheit und Gesundheit im Beruf zu fördern, auf die Einsicht zurück, dass die Aufgaben im Pfarrberuf überschaubar sowie die Freizeit planbar sein müssen. Kahnt lobte diese Bemühungen: „Gut, dass einige Kirchen die Zeichen der Zeit erkannt haben: Es muss damit vorbei sein, Pfarrerinnen und Pfarrern immer wieder und immer mehr Aufgaben aufzubürden und sie mit den Folgen allein zu lassen“, sagte er in Travemünde.

Zehn Jahre EKD-Reformpapier: Impulse des Verbandes kaum aufgenommen

Kritisch setzte sich Kahnt mit dem EKD-Reformpapier „Kirche der Freiheit“ auseinander, mit dem vor zehn Jahren ein Reformprozess in Gang gesetzt worden sei, der sich bis heute fortsetze und für einen Planungszeitraum bis zum Jahr 2030 angelegt sei. Der Verband habe ausführlich darauf reagiert und ausdrücklich begrüßt, dass die Kernaufgaben Gottesdienst und Verkündigung wieder in den Mittelpunkt kirchlicher Aufmerksamkeit gerückt werden. Zugleich kritisierte der Verband, „dass die Bemühungen um den qualifizierten Nachwuchs für den Pfarrdienst nicht die notwendige Aufmerksamkeit gefunden haben.“ Der Verband unterstrich die Notwendigkeit einer akademischen Ausbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer, einer Besoldung nach den Grundsätzen des höheren Dienstes und des Erhalts einer möglichst hohen Pfarrstellenzahl bis 2030. Das Motto „Wachsen gegen den Trend“ schließlich, sei von Anfang an eine „Anleitung zum Unglücklichsein“ gewesen, so Kahnt. Er bedauerte zudem, dass die Impulse aus den Stellungnahmen des Verbandes kaum zur Kenntnis genommen wurden, auch zu einer Rückschau auf zehn Jahre Impulspapier hätte man den Verband nicht eingeladen. Dabei hätte es „ein schönes Forum fröhlicher Auseinandersetzung werden können“, so Kahnt. Erfreulich sei aber, dass der EKD-Ratsvorsitzende, Landesbischof Heinrich Bedford- Strohm, auf den Wunsch des Verbandes nach einem verbindlichen Gespräch pro Jahr eingegangen sei.

Nachwuchs: Plädoyer für gute Rahmenbedingungen zukünftiger Generationen

Angesichts der erschreckend niedrigen Zahlen aus Fakultäten und Predigerseminaren, habe sich der Verband im Rahmen der Fuldaer Runde bereits im Januar 2014 und 2015 mit der Situation des Theologischen Nachwuchses beschäftigt, so Kahnt. Nach Auskunft von Studienleitern und Professoren gebe es viele motivierte Studierende der Theologie. Gegen deren Motivation ständen allerdings „Studienkataloge und -inhalte nicht zuletzt in Predigerseminaren und Prüfungsordnungen, die eher abschrecken als dazu einladen, den Pfarrdienst aufzunehmen.“ Kahnt plädierte für ein Berufsbild, das dem Verkündigungsauftrag entspricht. Dabei werde sorgfältig darauf zu achten sein, dass die Interessen, Erwartungen, Fragen und Sorgen der nachkommenden Generationen wahrgenommen und mit den Bedingungen im Pfarrberuf sorgsam in Beziehung gesetzt werden. Zu diesen Bedingungen gehörten nicht zuletzt eine gesunde work-life-balance inklusive der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei Berufstätigkeit beider Lebenspartner, überschaubare Dienstbereiche, die Weiterentwicklung des Berufsbildes im Blick auf längere Lebensarbeitszeit, angemessene Besoldung und Versorgung sowie spürbar und verlässlich Schutz und Fürsorge durch die Verantwortlichen in den Kirchen gegenüber unangemessenen, überzogenen Erwartungen oder Anfeindungen von Dritten.