24. Dezember 2019, Hesekiel 37,24-28
Christvesper
Von: Peter Haigis
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Vom Wohnen Gottes
Wohnverhältnisse
Es ist zweifellos das Motiv des Wohnens, das den Ausschlag dafür gegeben hat, diesen atl. Text in die weihnachtliche Perikopenordnung aufzunehmen. In der neuen Ordnung ist das Prophetenwort aus dem Schattendasein der Christnachtfeier in der fünften Reihe herausgerückt und ins Zentrum der Verkündigung an Heiligabend gestellt.
Der theologisch dichte Text (Bundestheologie, Volk Gottes, davidisches Königtum und mithin ein Kapitel Messianologie …) muss für die meist kirchenferneren Besucher des Heiligabendgottesdienstes heruntergebrochen werden. Dafür eignet sich das Motiv des Wohnens. Es spielt zunächst elementar menschliche Erfahrungen und Sehnsüchte ein: Wohnraum ist ein Menschenrecht, und Vertreibungs- und Fluchtgeschichten lassen sich immer auch als Geschichten verlorenen Wohnraums lesen. Zugleich verteuert sich Wohnraum immer mehr. Die Politik ringt um bezahlbaren Wohnraum für alle. Wohnen ist ein zentrales Thema der Sozialpolitik und der Diakonie.
Gottes Wohnen in der Welt
Mit dem Wohnen ist der Gedanke einer festen und verlässlichen Bleibe verknüpft. Anthropologisch und gesellschaftlich gilt das im Blick auf die Frage: Wo habe ich meine Bleibe? Wo habe ich Raum, den ich für mich beanspruchen darf? Vielleicht eng verbunden mit den Fragen: Wo liegen meine Wurzeln? Wo bin ich zuhause? Was ist mir Heimat?
Der Gedanke der Bleibe lässt sich aber auch theologisch auf Gott und sein Wohnen in der Welt hin lesen und verstehen. Wohlgemerkt: Hes. stellt nicht die Frage nach dem Wohnen Gottes in der Welt bzw. unter seinem Volk, sondern er formuliert eine Antwort aus Gottes Sicht. Dabei blickt er zurück auf eine Erfahrungsgeschichte des Wohnens Gottes in seinem Heiligtum. Ob nun der Tempel die Wohnung Gottes selbst oder nur diejenige seines Namens ist (vgl. 1. Kön. 8), ob es der Tempel selbst ist oder die heilige Lade … Bei Hes. wird die Zusage Gottes laut, an einer lokalisierbaren Stelle unter den Menschen seines Bundes gegenwärtig zu sein – auffindbar, ansprechbar, verlässlich präsent.
Die Sehnsucht, den Wohnort aufzusuchen und aufzufinden, wird an Weihnachten wie selten sonst greifbar, mag dies so intendiert und ausgedrückt werden oder nicht. Die Frage ist: Was finden die Besucherinnen und Besucher unserer Weihnachtsgottesdienste in unseren Kirchen?
Die Wohnung(en) Christi
So sehr man vor der christologischen Interpretation atl. Texte zurückschrecken mag, an Heiligabend ist ihr nicht auszuweichen – es sei denn, man verzichtet auf den Predigttext. Ich möchte der Schwierigkeit dadurch entgehen, dass ich über das Motiv des Wohnens die Geschichte Gottes mit den Menschen, seine Präsenz unter uns, verlängere in das Christusgeschehen hinein. Auch wir Christen kennen Orte, die – zumindest in symbolischem Sinne – als heilig gelten dürfen und etwas von der Gegenwart Gottes erzählen, unsere Kirchen. Aber zugleich kennen und bekennen wir, dass Gott, der Ewige und Unfassbare, Wohnung genommen hat in Jesus Christus, d.h. im Leben, Reden, Wirken und Leiden eines Menschen (Joh. 1,14).
Die Wohnung(en) Christi aber sind doppeldeutig zu verstehen: als die Wohnung, die Christus, der Sohn, Gott, dem Vater, einräumt, um in einer ganz besonderen Qualität gegenwärtig zu sein auf Erden und unter uns Menschen, und als die Wohnungen, die Christus unter uns Menschen findet, um dorthin Gott zur Wohnung zu bringen.
Herzenswohnungen
Über die zuletzt genannte Brücke lässt sich zu den Gottesdiensten, zur Gemeinschaft in Singen und Beten weiterschreiten, um Gottes Wohnung auf Erden zu beschreiben: Er wohnt dort, wo wir ihn in Christi Namen anrufen – mindestens dort! (vgl. Kol. 3,16) Also auch hier und heute an Heiligabend 2019! Aber er will nicht gebunden bleiben an äußerliche Zeit- und Raummaße. Es ist uns Christen, d.h. denen, die seinen Namen tragen, verheißen, dass Gott Wohnung nimmt in unseren Herzen. Damit kehrt er zugleich ein in unseren Alltag jenseits aller Feiertagsstimmung und -herrlichkeit.
Peter Haigis
Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft: 11/2019
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