Öffentliche Trauergottesdienste im Angesicht eines katastrophalen Erlebens haben dem zivil­religiösen Schweigen viel entgegenzusetzen – vorausgesetzt, sie werden in ihrer ­theologischen Tiefe erfasst und liturgisch von ihr getragen. Wie dies aussehen kann, zeigt Jochen Teuffel.1


Ein ganzes Dorf ist geschockt: Auf einer Landstraße liefern sich zwei junge Autofahrer ein Wettrennen. Die fünfköpfige Wandergruppe des örtlichen Sportvereins wird Augenzeuge, wie einer der Fahrer die Kontrolle über seinen Wagen verliert. Das Auto hebt ab und überschlägt sich. Der Fahrer klettert benommen aus dem Autowrack. Doch einer aus der Gruppe bleibt am Boden liegen. Er ist vom Auto tödlich erfasst worden. Wenn in jenem Augenblick die ganze dreißigköpfige Vereinsgruppe hier vorbeigekommen wäre, für die ja die Vorgruppe zur Wegerkundung unterwegs war – unfassbar.


Medien erzwingen Anteilnahme

Katastrophen – dramatische Lebenswendungen – reichen weiter als Unfälle oder Schicksalsschläge. Ihr Unheil betrifft nicht nur Familien, Freunde und Bekannte von Todesopfern, sondern auch örtliche Gemeinschaften, wenn nicht gar eine ganze Nation, so wie nach den Schulmassakern in Erfurt (2002) und Winnenden (2009). Die Flaggen an öffentlichen Gebäuden stehen auf Halbmast, und Menschen reden untereinander über Umstände und Ausmaß des tödlichen Geschehens: Wie konnte so etwas nur ­passieren?

Was in unserer Gesellschaft zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist die Medialisierung tödlicher Unfälle und Katastrophen in Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen und Internet. Fast zeitgleich wird man als Unbeteiligter via Bildschirm von einem furchtbaren Geschehen eingeholt, bei dem der Unglücksort mitunter Hunderte oder gar Tausende von Kilometern vom eigenen Aufenthaltsort entfernt ist. Medien ermöglichen nicht nur, sondern erzwingen auch Anteilnahme: Wer kann schon gegenüber Schreckensbildern und Schlagzeilen seelisch auf Abstand gehen? Menschen, die solchermaßen in Mitleidenschaft gezogen worden sind, können nicht einfach nur zusehen und zuhören. Die eigene Anteilnahme an den Opfern will gemeinschaftlich gezeigt sein. Jemand soll einer todeserschrockenen Gemeinschaft gegenübertreten. Erwartungen richten sich auf Repräsentanten des öffentlichen Lebens aus, seien es Bürgermeisterinnen, Schulrektoren oder Ministerpräsidentinnen. Für diese heißt es, die Katastrophe öffentlich anzusprechen, bevor man sich gemeinsam an ­einer nichtssagenden Schweigeminute ­versucht.


Gott in der Klage angehen

Da mag es auch in einer Kirche ganz still werden; aber wo Christen sich zu einem öffentlichen Trauergottesdienst versammeln, schweigen sie nicht auf Dauer. Vielmehr drängt sich das gemeinschaftliche Gebet auf: Der Gott, der mit seinen Lebenszusagen vermisst wird, wird in der eigenen Klage angegangen. Mit eindrücklichen Worten nimmt das Lied »Wie sollen wir es fassen« (nach der Melodie »Befiehl du deine Wege«) von Eugen Eckert diese Situation auf:2

1. Wie sollen wir es fassen,
was nicht zu fassen ist?
Es fällt schwer loszulassen,
und doch bleibt keine Frist.
Wir hätten so viel Fragen,
wir brauchten doch noch Zeit.
Wohin mit unsren Klagen
und unsrer Traurigkeit?


2. Das Leben ist verflogen,

der Tod trat ein mit Macht.

Das Lachen? Fortgezogen,

erstickt von tiefster Nacht.

In uns herrscht Leere, Schweigen.

Wir können nichts mehr tun.

Wozu dies tiefe Neigen?

Warum dies Sterben, nun?


3. Viel schneller, als wir ahnten,
zerriss des Himmels Blau.
Durchkreuzt ist, was wir planten.
Die Welt scheint kalt und grau.
Was sein wird? Wer kann’s sagen?
O Gott, das Fragen quält.
Hilfst du, das Leid zu tragen?
Hast du Trost, der jetzt zählt?

4. Lass uns, Gott, nicht versinken,
der Schmerz ist übergroß.
Dort, wo wir stolpern, hinken,
halt uns und lass nicht los.
Lass uns darauf vertrauen,
dass du das Leben birgst.
Hilf uns, auf dich zu bauen,
auf Segen, den du wirkst.


Im Raum der Kirche vollzieht sich der Aufstand des Gebets gegen die Katastrophe. Er beginnt mit den Worten: »Im Namen des ­Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.« Was ein öffentlicher Trauergottesdienst zivilreligiösen Gedenkveranstaltungen voraus hat, sind vier liturgische Vollzüge:

• In der Anrufung des dreieinigen Gottes werden eigene Betroffenheit und Trauer selbst zur Sprache gebracht.

• An die Stelle vielstimmiger Erzählungen und Erklärungsversuche tritt die einträchtige Aussprache in Psalmgebet und Gemeindegesang.

• Wo man selbst nicht bei Trost sein kann, hört man göttliche Zusagen aus der Heiligen Schrift, die sich der Eigendynamik der Katastrophe widersetzen – selbst dort, wo sie nur brüchig wirken.

• Im Bittgebet finden sich Christen nicht mit dem Unheilsgeschehen ab. Wer im Namen Jesu zum Herrn Gott betet, hat für Opfer etwas beizutragen, was nicht in seiner eigenen Macht steht.


Trauergottesdienste im Dienst einer zivilreligiösen Agenda?

Wo Kirche einer Liturgie folgen kann, die über unsägliches Schweigen hinausführt, wachsen ihr zivilreligiöse Anforderungen zu. In aller Öffentlichkeit sollen ökumenische Gottesdienste Gemeinschaft repräsentieren und die Kontingenz des Unglücks tragbar machen. Wer in einem zivilreligiösen Setting den liturgischen Part übernimmt, erhält mediale Aufmerksamkeit. Und doch ist es fragwürdig, ob Trauergottesdienste im Dienst einer zivilreligiösen Agenda zu vollziehen sind. Eine solche Agenda scheint für Wilhelm Gräb vorrangig zu sein, wenn er »Kirche als Sinnstifterin« im Katastrophenfall propagiert: »Die Kirche muss in ihren höchsten Repräsentanten die öffentliche, zivilreligiöse Deutungs- und Integrationsaufgabe übernehmen. Sie muss reden, die Sinnfrage stellen, die Sinnabgründe benennen, auf Gott als letzten Sinngrund ausgreifen, wenn der Sinn für viele Menschen offenkundig zerbrochen ist, wenn die Gesellschaft insgesamt sich in ihrer Daseinsgewissheit bedroht findet.«3

Aber kann man katastrophales Geschehen wirklich auf eine »transzendente Sinninstanz« (Gräb) hintergehen, um bei all den »Erfahrungen des Abgründigen und Sinnwidrigen« schließlich doch noch einen vertrauenswürdigen Sinn zu finden? Für diesen vermeintlich »höheren« Sinn muss abstrahiert werden: von Tod und Schmerz, von zerschundenen und entstellten Körpern, von Lebensgeschichten und Namen der Opfer. Allein im eigenen Bewusstsein – selbst zeit- und leiblos gedacht – lässt sich ein höherer Sinn denkerisch festmachen. Hat man schließlich diesen zeitenthobenen Sinn für sich selbst gefunden, entfallen die Opfer dem eigenen Gedächtnis.

Die Liturgie, die dem Zeugnis der Heiligen Schrift folgt, verweigert sich hoffnungslosen Sinnabstraktionen. Stattdessen ist Eigensinnigkeit vorgesehen: Es heißt den einen lebensentscheidenden Namen aufzurufen – Jesus Christus (vgl. Apg. 4,12), der durch sein Erlösungswerk in Kreuz und Auferstehung – das Pascha-Mysterium – als Herr über Tote und Lebende gilt (Röm. 14,7-9). Ein Trauergottesdienst, der mit den Worten »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes« eröffnet wird, geht den »Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, den Vater des Erbarmens und den Gott allen Trostes« (2. Kor. 1,3) an.


»Schweigen wäre gotteslästerlich«

Wo die zivilreligiöse Agenda sich an Sinnorakeln versucht, hat Schicksalsschweigen das letzte Wort. Für Christen kann es jedoch vor dem Gott kein klagloses Hinnehmen einer Katastrophe geben: »Schweigen wäre gotteslästerlich«.4 Die versehrte Lebenswirklichkeit lässt sich nicht einfach mit Gottvertrauen annehmen. Was da Unbegreifliches geschehen ist, darf nicht Sein Wille sein. So wird in der Klage mit diesem Gott Wort für Wort um das eigene Vertrauen in Ihn gerungen. Das Klagegebet ist kein selbstbezügliches Jammern, sondern zudringliche Ansprache, die dem Gott das Unheil vorhält:

Herr Gott,
waren es deine Pfeile,
die das Leben tödlich getroffen haben –
mitten unter uns?
Warum?
Warum nur hast Du mit Unheil
auf Menschen gezielt –
solche wie wir?
Sag uns, sag es uns!
Was hält Dein Zorn uns verborgen?
Kein Amen.

Klagegebete, wie sie in zahlreichen Psalmen (so z.B. Ps. 44, 55, 60, 74, 77, 85 und 88), vorgeführt werden, sind Zumutungen. Sie bringen einen nicht zur Besinnung, die das eigene Leben in die Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern entlässt. Wer dem Gott das Unheil klagt, muss weder eigenes noch fremdes Leid verdrängen, um weiterleben zu können. Im Angesicht der Katastrophe darf kein Gottesdienst klaglos gefeiert werden, will er nicht in einem Gebetsautismus enden.


Keinen Schattenbilddienst

In der Klage kommt das göttliche Du zu Wort, obwohl Menschen in ihrer Trauer das »Du« von Verstorbenen viel näher liegt. Seitdem Elton John beim Gottesdienst aus Anlass des Unfalltodes von Lady Diana am 6. September 1997 in Westminster Abbey den Pop-Nekrolog »Candle in the Wind« gesungen hat, scheinen populäre Schmerzenslieder mit ihrem Toten-»Du« kirchenfähig zu sein. Aber was der Pop religiös zu bieten hat, passt nicht wirklich in einen Trauergottesdienst. Er kennt kein liturgiefähiges »Du«, lenkt vielmehr von der Gottesanrede ab. Das entschwundene »Du«, das in emotional mitnehmender Weise besungen wird, ist Idolatrie – »Schattenbilddienst« im wahrsten Sinne des Wortes. Die Lieder verbleiben im Rückblick auf verlorengegangenes Leben und haben über eigene Gedächtnisleistungen hinaus keine Verheißung – ein Du-seliger Totenkult. Und dennoch sei ein liturgisches Defizit benannt: Es fehlen uns Trauerlieder, die den eigenen Schmerz in die Gottesanrede hineinnehmen.

Du bist uns fremd geworden –
todesfremd.

Was da geschehen ist,

bringen wir nicht zusammen –

nicht mit deiner Vorsehung,

auch nicht mit deiner Verheißung.

Deswegen halten wir
Dir das Unheil vor –
auf die Gefahr hin,

deine dunkle Seite ertragen zu müssen.

Die eigene Gottesklage kann freilich nicht das Evangelium ersetzen. Wo im Trauergottesdienst der Gott nicht selbst mit seinem Ja-Wort in Jesus Christus (2. Kor. 1,20) zur Sprache kommt, nimmt uns eine säkulare Gerichtspredigt in Anspruch: Menschliches Versagen war es, ob konstruktions-, bedienungs- oder erziehungsbedingt – eine Warnung an uns alle; wir müssen aus dieser Tragödie lernen, damit so etwas nie wieder passiert … Die Moralbotschaften katastrophenüberforderter Politikerinnen und Journalisten werden somit gottesdienstlich gedoppelt. Aber den Opfern wird man mit Lehren, die aus dem Unglück für die Zukunft zu ziehen sind, nicht wirklich gerecht. Menschliche Verhaltensänderungen und sicherheitstechnische Verbesserungen stellen verloren gegangenes Leben nicht wieder her.


Zukunftssichtige Gegenrede

Im Angesicht der Katastrophe hat die Rede von Gott zu sein – nicht als Theodizee, sondern als christusbestimmte Zusage, die apokalyptisch gilt: Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. […] Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte des Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und der Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! (Offb. 21,1-5)

Mit gutem Grund stellt sich die apokalyptische Verheißung nicht der Frage »wie konnte der Gott dies nur zulassen?« Die Theodizeefrage bleibt rückwärtsgewandt; sie verhaftet Menschen in der Vergangenheit und vermag damit nur zukunftslose Herkunftsantworten einzufordern. Die Predigt hingegen will zukunftssichtige Gegenrede sein: Was uns jetzt allein noch hoffen lässt, ist in Jesus Christus tatsächlich geschehen. Sein Tod und seine Auferstehung stellen sich diesem Unheil. Im Kreuz Christi wird uns nicht das Blaue vom Himmel versprochen, sondern verkehrt sich das Heil vom Tod zum Leben. Schlagwortartig mag dies heißen: »Theodramatik« (Hans Urs von Balthasar) statt Theodizee.

Im Epheserbrief preist der Apostel die göttliche Heilsökonomie, die in das verloren gehende Leben ausgreift: »So wollte er die Fülle der Zeiten herbeiführen und in Christus alles zusammenfassen – alles im Himmel und alles auf Erden – in ihm« (1,10). Und doch ist die Zusammenfassung des Zeitalls in Christus eine Lichtbotschaft, die in der Gegenwart des Todes leidgebrochen ist. Im Brechungswinkel tut sich die »Gottesfinsternis« (Martin Buber) auf. Das Unheilsgeschehen lässt sich eben nicht mit eigenen Worten in die Gottesgegenwart überführen, sondern bleibt vor unseren Augen unverbunden zurück – als offene Wunde.

So stehen schließlich in einem öffentlichen Trauergottesdienst – im Unterschied zur kirchlichen Bestattung – die Fürbitten an. Der dreieinige Gott wird mit seinen eigenen Zusagen in Haftung genommen. Die Bitten suchen nicht die eigene Seele wortgewandt zu besänftigen; sie sind keine »Gebetsanästhesie«, sondern fordern göttliches Handeln heraus: »Tue, schaffe, mache, bringe … um Deines Namens willen.« Jede Fürbitte entspringt aus der Differenz zwischen menschlicher Weltwahrnehmung und göttlicher Heilszusage im Pascha-Mysterium Jesu Christi.


Im Bauch des Fisches

Ein öffentlicher Trauergottesdienst folgt dem Ablauf eines Wortgottesdienstes – Eröffnung und Anrufung, Verkündigung und Bekenntnis, Sendung und Segen. In diesem Dreischritt vollzieht sich eine vertikale Bewegung. Die Liturgie führt in die Tiefe des Unglücks ein. Es wird zunächst ein fassungsloser Abstieg – als Unbeteiligte und doch Mitgenommene entgleitet uns der Halt im Leben. Da gelten für uns Worte aus dem Jona­psalm:

Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer,
dass die Fluten mich umgaben.
Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich,
dass ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen,
ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen.
Wasser umgaben mich und gingen mir ans Leben,
die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte mein Haupt.
Ich sank hinunter zu der Berge Gründen,
der Erde Riegel schlossen sich hinter mir ewiglich.
(Jona 2,4-7)

Die Konfrontation mit der Katastrophe erweckt selbst keine Hoffnung. Das Unheil macht vielmehr unserem Selbst- und Weltvertrauen, ja auch unserem Gottvertrauen zu schaffen. »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes«. Da ist als erstes Wort in diesem Gottesdienst der Name des dreieinigen Gottes angesprochen. Allein dieser Name vermag das Unglück auf die Zukunft hin zu lichten (vgl. Offb. 22,1-6). Im zweiten Teil des Gottesdienstes – Verkündigung und Bekenntnis – soll dieses Namensbekenntnis sprachfähig werden. Das göttliche Ja-Wort in Christus (2. Kor. 1,18-22) hat das mitgenommene Leben in der Katastrophentiefe neu aufzurichten. So heißt es im Jonapsalm weiter:

Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt,
Herr
, mein Gott!
Als meine Seele in mir verzagte,
gedachte ich an den
Herrn,
und mein Gebet kam zu dir
in deinen heiligen Tempel.
Die sich halten an das Nichtige,
verlassen ihre Gnade.
Ich aber will mit Dank
dir Opfer bringen.
Meine Gelübde will ich erfüllen
dem
Herrn, der mir geholfen hat.
(Jona 2,7-10)

Mit dem dritten Teil – Sendung und Segen – werden die Gottesdiensteilnehmenden gleich­sam wie Jona aus dem Bauch des Fisches an Land gespuckt: »Gehet hin in Frieden – Dank sei Gott, dem Herrn.«

Wenn ein Gottesdienst dem Drama der Pascha-Mysteriums Christi zu folgen weiß, dann gerade im Katastrophenfall. Schließlich weist Jesus selbst das Zeichen des Jona diesem Geheimnis zu: »Wie Jona im Bauch des Fisches war, drei Tage und drei Nächte, so wird der Menschensohn im Schoß der Erde sein, drei Tage und drei Nächte« (Mt. 12,40). Im Gedächtnis des Pascha-Mysteriums muss Katastrophales eben nicht mit Erklärungen, Schuldzuweisungen oder Besserungszusagen abgedeckt und somit »entsorgt« werden. Die liturgische Dramaturgie lässt Unpassendes, ja Widersprüchliches nacheinander ansprechen und damit auch widereinander bekennen. Der »apokalyptische Blick« (Johann Baptist Metz) gewährt keine vorschnelle und unangebrachte Jenseitsvertröstung; er hält vielmehr das Leiden im Gedächtnis und setzt es damit dem zukünftigen göttlichen Geschehen aus.5 So greift die Liturgie des Trauergottesdienstes dem vor, was schlussendlich zu geschehen hat: »Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach Seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt« (2. Petr. 3,13).


Anmerkungen:

1 Der Beitrag nimmt Bezug auf Jochen Teuffel, Im Angesicht der Katastrophe. Öffentliche Trauer- und Bittgottesdienste, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2012.

2 Durch Hohes und Tiefes. Gesangbuch der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland, hg. v. Eugen Eckert, Friedrich Kramer und Uwe-Karsten-Plisch, München: Strube Verlag 2008, Nr. 204.

3 Wilhelm Gräb, Kirche als Sinnstifterin. Bischofspredigten in Zeiten öffentlicher Trauer, Arbeitsstelle Gottesdienst 19 (1-2005), 24-29, 25.

4 So zu Recht Thomas Hielke, Schweigen wäre gotteslästerlich. Klagegebete – Auswege aus dem verzweifelten Verstummen, in: Georg Steins (Hg.), Schweigen wäre gotteslästerlich. Die heilende Kraft der Klage, Würzburg 2000, 45-68.

5 Vgl. dazu Johann Baptist Metz, Memoria Passionis. Ein provozierendes Gedächtnis in pluraler Gesellschaft, Freiburg: Herder 2006.


 

Über die Autorin / den Autor:

Pfarrer Jochen Teuffel, Jahrgang 1964, Ausbildung zum Industriekaufmann und Studium der Evang. Theologie, anschließend wiss. Mitarbeiter am Institut für Syst. Theologie und Christliche Sozialethik an der Universität Erlangen, 2002-2008 Dozent für Syst. Theologie am Lutheran Theological Seminary (LTS) in Hongkong, seit 2009 Gemeindepfarrer in Vöhringen/Iller.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 9/2014

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