Die Medien, ob Casting-Shows im Fernsehen oder Selbstinszenierungen im Internet, exerzieren es vor: Schönheit ist zum Körperdesign geworden. Doch mit dem Kult um die medial gemachte und vermittelte Schönheit fällt zugleich das Urteil über sozialen Erfolg und Misserfolg, ja über ethische Tugenden und religiöse Glaubensvorstellungen – wie Elisabeth Hurth zeigt.

 

»Meine Oberschenkel sind einfach zu dick«, klagt die Kandidatin Luise vor einem wichtigen »Challenge« in der achten Staffel der Pro7-Casting-Show Germany’s next Topmodel (= GNTM), in der eben nicht Luise, sondern die schlankere, jüngere und sportlichere Lovelyn zum schönsten Topmodel gekürt wird. Die bedauernswerte Luise erträgt ihre Niederlage tapfer und erfährt den obligatorischen Trost der Konkurrentinnen, die sehr wohl wissen, dass nicht modeltaugliche Maße ein entscheidender Grund für das Ausscheiden in GNTM sind. Dass es Luise unter diesen Umständen überhaupt bis ins Finale geschafft hat, ist bemerkenswert, denn in der Regel fällt bei einer »übergewichtigen« Kandidatin der Richterspruch der gestrengen Jurorin Heidi Klum knallhart aus: »Ich habe heute kein Foto für dich.« Dann folgt die formelhaft wirkende Begründung vor der mit den Tränen ringenden Kandidatin: »Du hast dich nicht weiterentwickelt. Du hast nicht genug an dir gearbeitet.«


»Dein ›Shape‹ ist nicht gut genug«

Hinter dem Richterspruch verbirgt sich ein wichtiges Schönheitskriterium: Man muss schlank sein, um als schön zu gelten. Sich Weiterentwickeln bedeutet von hier aus die rigorose Anpassung an Schönheitsideale – eine Anpassung, die mit der Forderung einhergeht, dem Körper die »gewünschte« Form zu verleihen, um vor den Augen der (Medien-)
Öffentlichkeit zu bestehen. Als Gegenstand öffentlicher Zuschreibungen und Deutungen ist der Körper so »Zugriffsfeld für subtile soziale Kontrolle«. Man »modelliert« ihn gemäß den »kulturellen Normen von Körperästhetik« und disziplinierter Arbeit an sich selbst.1

Wer diesen Normen nicht entspricht, wird abgestraft. »Du weißt, was dein Problem ist«, so Klums versteckter Vorwurf an eine Kandidatin, die schuldbewusst eingesteht: »Ja, es ist die Hüfte.« Die Kandidatin nimmt daraufhin ein hartes Fitness-Training auf sich, um an ihrer Problemzone zu arbeiten. Doch das Ergebnis ist ernüchternd. Trotz intensiven Trainings hat die Kandidatin zugenommen. Von den Model-Traummaßen »90-60-90« ist sie weiter entfernt denn je. In der Show heißt das in den Worten des Juroren Thomas Hayo: »Dein ›Shape‹ ist nicht gut genug.«

Auch einer anderen GNTM-Kandidatin gelingt es nicht, ihren Körper in Model-Form zu bringen. Sie hat es, so der Vorwurf der Jury, versäumt, ihre Achselhaare wegzurasieren – ein Versäumnis, das im laufenden Wettbewerb den Konkurrentinnen einen Vorteil verschafft, die sich dem Schönheitsideal folgsamer unterordnen: Ihre Körper sind glatt und haarlos und an den Problemzonen nahezu fettfrei. Alle »Makel« sind getilgt, weibliche Rundungen durch harte Fitness-Arbeit verschwunden. Wer schön sein will, muss nicht nur leiden, sondern auch etwas leisten, um das optimale Aussehen zu erreichen. Dabei verwischen die Unterschiede zwischen Männerkörpern und Frauenkörpern zunehmend, wird doch der schlanke, fitte, jugendliche Körper an sich zum »Beleg« für Erfolg und Attraktivität.


Das Spieglein an der Wand

»Sitzt meine Frisur?« – »Steht mir das rote Kleid?« – »Sehe ich darin schlanker aus?« – all das sind Fragen, die sich die GNTM-Kandidatinnen vor laufender Kamera gegenseitig stellen. Die Kandidatinnen schauen auf ihre Körper und wissen dabei, dass sie in jedem Moment der Show auch Angeschaute sind, die die Anforderungen der Jury und des Publikums zu erfüllen haben. Der Blick anderer, die Frage, wie man angeschaut wird, ist somit wichtiger als das eigene Bild vom Körper. Ein liebevoller, lustvoller Umgang mit dem eigenen Körper tritt gegenüber Fremdinszenierungen und normierten Schönheitsidealen zurück, denen man sich in der Model-Show-Welt unterordnen muss – eine Unterwerfung, gegen die zwei barbusige Aktivistinnen der Gruppe Femen im Finale der achten Staffel von GNTM spektakulär protestieren wollten. Doch die Fernsehkameras schwenkten sofort um, die Security eilte herbei und überwältigte die Protestlerinnen. Der schöne Schein von Heidi Klums Glitzerwelt blieb gewahrt.

In ihrem Gedicht »Scham« schreibt die chilenische Literaturpreisträgerin Gabriela Mistral gegen den schönen Schein an. »Wenn Du mich anblickst, werd’ ich schön«, so beginnt Mistral ihr Gedicht, in dem gerade das »Triste« und Hässliche »von Schönheit strahlen«.2 Schönheit ist auch hier mit dem Blick eines anderen verbunden. Aber dieser andere ist ein »Du«, ein persönliches Gegenüber, das sich durch einen liebenden Blick auszeichnet, der nicht urteilt oder verurteilt. Der liebende Blick richtet sich auf das Sosein der Person, er vergleicht sie nicht mit einem Schönheitsideal, weil sie unvergleichlich ist, schön in ihrer Einzigartigkeit. Diese Schönheit ist durch keine Form der Arbeit am eigenen Körper – weder durch Fitness-Training, »Diäten« oder gar OPs – erreichbar. Sie ist Teil einer Begegnung, einer innigen Beziehung, in der Menschen aneinander Freude finden, sich im eigentlichen Sinn des Wortes »gefallen« und so vor dem anderen »schön« werden.3

Schönheit, so sagt man, liegt im Auge des Betrachters. Wenn der »Augen-Blick« aus einer zärtlichen, liebevollen Beziehung erwächst, entsteht eine Schönheit, in der man den anderen vorbehaltlos annimmt. Schönheit ist damit immer auch eine Ansichtssache, die dann »gelingt«, wenn sich der Betrachter selbst absichtslos und unverstellt wahrnimmt und »ansieht«. Diese unverstellte Selbstwahrnehmung krankt dieser Tage vor allem daran, dass das »An-Sehen« und das Aussehen auf eine Weise miteinander verknüpft werden, dass man förmlich dazu verdammt ist, so zu sein, wie man aussieht, und nicht, wie man eigentlich ist.

An dieser Stelle zeigt sich die Widersprüchlichkeit des postmodernen Anspruchs an den Menschen, sich selbst zu verwirklichen und sich so darzustellen, wie man sein möchte. In der »Risikogesellschaft« muss sich ein aus allen strukturgebenden und stabilisierenden Kontexten »freigesetztes« Ich stets neu (er)finden.4 Es muss Strategien dafür entwickeln, wie es sich angesichts des »Alles ist möglich«-Mottos behaupten kann. Wenn aber wirklich jeder im Zeichen des »Anything goes« alles aus sich machen kann, dann gilt es, sich selbst so einmalig zu machen, dass man eben nicht so ist wie die anderen. Entsprechend setzt man nunmehr alles daran, sich auszuzeichnen – nicht zuletzt durch »Schönheitshandeln«.5 Konkret heißt das: das wohlwollende, absichtslose Wahrnehmen des anderen Menschen verliert zunehmend an Bedeutung. Man schielt auf das schöne Äußere eines Menschen und hat dabei oft nur das eigene Aussehen im Sinn gemäß dem Märchen-Motto: »Wer ist der oder die Schönste im ganzen Land?« Das »Spieglein an der Wand« aber verweist immer auf die anderen Schönheiten und fördert so den zwanghaften Drang, das eigene Aussehen zu verändern und »abzugleichen«.


»Der König verlangt nach deiner Schönheit«

Der permanente Vergleichsdruck in der Gesellschaft führt dazu – wie zuletzt das Magazin Report (ARD, 21.5.2013) in einem Beitrag zu GNTM aufdeckte –, dass immer mehr Menschen mit ihrem eigenen Körper unzufrieden sind. Casting-Show-Formate wie GNTM, Serien wie Nip/Tuck oder Werbespots für die neuesten Modetrends tragen offenbar sehr viel unmittelbarer als bislang angenommen zu einer verzerrten Körperwahrnehmung bei. Je weniger man dem medial vermittelten Schönheitsideal entspricht, desto geringer ist bei vielen Menschen auch das Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein, das offensichtlich nur dann wieder gestärkt werden kann, wenn man am »mangelhaften« Körper Veränderungen vornimmt.

Im Vergleich zu den Möglichkeiten und Anforderungen, die etwa bei Veränderungen in Sachen (Aus-)Bildung und Beruf gelten, sind die Korrekturen am Körper sehr viel leichter durchzuführen. Die Arbeit am Körper ist kontrollierbar, beherrschbar. Der Körper ist der Bereich, der am unmittelbarsten dem »Regiment« eines leistungsorientierten Ichs unterstellt ist, das sich im Medienschein – für alle sichtbar – über den schönen Körper präsentieren und »vorzeigen« will.

»Der König«, so der Psalmbeter, »verlangt nach deiner Schönheit« (Ps. 45,12), er erfreut sich an ihr. Vor diesem König muss man nichts beweisen oder »vorzeigen«. Vor ihm sind wir schön – unabhängig von jenem »Ansehen« (1. Petr. 1,17), das man sich über das schöne Aussehen erwirbt. Gott »hat kein Gefallen« (Ps. 147,10) an denen, die nur auf ihre eigene »schöne Gestalt« schauen (Jes. 53,2) und ihr Leben danach ausrichten, was andere von ihnen halten oder über sie denken. Gott »hat Gefallen« (Ps. 147,11) an denen, die sich danach sehnen, ihn »von Angesicht zu Angesicht schauen« zu dürfen (1. Kor. 13,12) und die so leben, wie er sie ursprünglich gemeint, geschaffen und gedacht hat.

Wir schauen mit unseren Augen auf das »Spieglein an der Wand« und sehen uns so, »wie Menschen sehen« (Hi. 10,4), die vor anderen schön sein wollen. Gott schaut uns mit seinen Augen unmittelbar an. Er sieht die Schönheit, die er im Menschen geschaffen hat und die durch ihn aufscheint. »Du bist wunderschön« (vgl. Ps. 45,12), sagt der König zu jedem Einzelnen, der sich ständig fragt, ob er schön aussieht. »Du bist bedingungslos angenommen und geliebt« (1. Joh. 4,10-11). »Verneige dich vor diesem König«, so der Psalmbeter, denn »er ist dein Herr und Gebieter« (Ps. 45,12). Du bist das »Werk seiner Hände« (Ps. 8,7), er hat dich »zum Bild seines Wesens gemacht« (Weish. 2,23). Der gottvergessene Mensch aber will alles selbst in die Hände nehmen und hat nur das eigene Bild vor Augen.


Schönheitshandeln zwischen Selbstentfaltung und Selbstunterwerfung

Menschen sind heute einer wahren Flut von Superman- und Superwoman-Bildern ausgesetzt, an denen sie ihr eigenes Aussehen messen. Dieses Taxieren ist ein Signum postmoderner Identitätsarbeit. In Zeiten des ständigen Wandels und der Schnelllebigkeit wird Identität zu einer veränderlichen, flexiblen Größe. Identität ist nunmehr ein »Gestaltungsprojekt«, für das man sich immer häufiger medial geprägter Mittel und Wege bedient.6 In dem Maße, in dem der Prozess der Mediatisierung unserer Lebenswelten fortschreitet, verlagert sich das permanente Arbeiten am eigenen Ich nahezu vollständig in Medien wie Fernsehen und Internet. Das oberste Gebot lautet dabei: Ich muss medial wahrgenommen werden. Ich muss in den Medien »stattfinden«, denn das, was dort nicht stattfindet, »ist« auch nicht. So entsteht ein neues Lebensgefühl, in dem medien-öffentlicher Präsenz eine existenzielle Bedeutung zukommt und sich Aufmerksamkeit verstärkt auf das Äußere, das mediale »An-Sehen« fokussiert. Entsprechend präsentiert man sich vor allem im Internet von seiner besten, schönsten Seite, postet gestylte Fotos oder stellt »geschönte« Videoclips ein – gemäß der Erfolgsformel: »Wer schön ist, wird nicht nur geliebt, sondern ist auch beliebt.« Damit verstärkt sich der Zusammenhang von medialem Aussehen und Ansehen.

Weil jeder User weiß, dass er in einer vernetzten Welt nicht nur andere beobachten kann, sondern auch selbst beobachtet wird, wächst der Druck, »etwas herzumachen« und medial gut dazustehen. Dabei schaut man immer weniger auf sich selbst, es zählt vielmehr nur noch das, was andere User von sich medial präsentieren. Es ist die »Facebook«-Falle. Man stellt eigene Entscheidungen und Selbstwahrnehmungen zurück und blickt zuallererst auf das Urteil der »Facebook«-Freunde, von denen man sich Anerkennung und Wohlwollen erhofft. So passt man das eigene Aussehen an das an, was im Netz gerade »in« ist. Der Trend zur zunehmenden Visualisierung des Körpers in der schönen neuen Medienwelt schreibt diesen Konformismus fest, der genau das untergräbt, was in der Ich-Präsentation angestrebt wird: jene Besonderheit, mit der man sich vor anderen auszeichnen und von ihnen abgrenzen will.

Auch auf den Laufstegen von GNTM regiert die »Gleichmacherei«. Ein Höhepunkt der Show ist die »Make-over«-Session, in der regelmäßig viele Tränen fließen. Grund: Die Kandidatinnen, die die Zeremonienmeisterin Heidi Klum stets als ihre »Mädchen« bezeichnet, müssen damit rechnen, dass ihr Äußeres im Namen der Schönheit radikal verändert wird. Spätestens wenn die Langhaarpracht einem Kurzhaarschnitt weichen muss, brechen die betroffenen Kandidatinnen zusammen und erwägen gar – wie in der aktuellen Staffel geschehen – den Ausstieg aus der Show. Doch Heidi Klum beschwichtigt: »Wir machen dich hier modeltauglich. Wir bringen deine ›wahre‹ innere Schönheit zum Vorschein.« Aber so kommt es eben nicht. Am Ende des umfangreichen »Make-overs«, vom Haare Färben bis zum Körper-Tanning, stehen Heidis »Mädchen« einheitlich gebräunt in Reih und Glied – und sehen irgendwie alle gleich aus. Die postmoderne Prämisse, dass jeder seine Individualität verwirklichen und sein Leben selbst gestalten und »besonders« machen kann, wird im Schönheitshandeln einmal mehr nicht eingelöst. Wer in GNTM als schönstes Topmodel am Ende vor der Kamera steht, hat letztlich seine individuelle, ganz eigene Schönheit verloren. Die Topmodels werden mit ihren einheitlichen Maßen – vom schlanken Körper bis zum durchgestylten Gesicht – immer austauschbarer. Lovelyns ebene Haut, ihre vollen Lippen, ihre künstlich geweiteten Augen folgen einem Einheitsideal, das sich beliebig vervielfältigen und herstellen lässt.

Im Neuplatonismus bezog man das Schöne einst auf Echtheit, auf Identität. Schön ist, so Plotin, was ohne Einschränkung, ganz ungetrübt es »selbst« ist.7 In einer Zeit, in der Körper Leute machen, lässt das »moderne Körperparadox«, das niemand erfüllen kann, eine solche Echtheit nicht zu. Man soll »total individuell sein« und gleichzeitig einen schönen Körper haben »wie jeder andere« – gemäß Normen, die Menschen in eine Schablone pressen und ihr Aussehen egalisieren.8 Mit Echtheit hat das nichts zu tun, eher mit einer Abkehr vom Selbst, mit einer Preisgabe der Identität.


Vom »Nutzen« der Schönheit

Es gilt heute als erwiesen, dass schöne Menschen es nicht nur leichter im Leben haben, sondern vor allem auch erfolgreicher sind, wenn sie »perfekt« aussehen. Mit Fleiß und Können allein kann man dieser Tage keine steile Karriere machen. Nicht nur auf den Laufstegen von GNTM, sondern auch in Politik und Wirtschaft werden unsportliche, übergewichtige, gealtert wirkende Menschen für weniger durchsetzungsfähig, dynamisch und selbstbewusst gehalten – mit ganz konkreten Auswirkungen: Die Attraktiven und Schönen verdienen im Schnitt fünf bis zehn Prozent mehr als diejenigen, deren äußere Erscheinung zu wünschen übrig lässt.9

Angesichts dieses Zusammenhangs von Schönheit und Erfolg verwundert es nicht, wenn beim äußeren Erscheinungsbild immer häufiger nachgeholfen wird: durch Arbeit an sich selbst, vor allem aber auch durch zusätzliche Hilfen wie Hyaluron-Faltenunterspritzungen oder durch Schönheits-OPs, die mit Korrekturen von übergroßen Nasen oder zu schwabbeligen Oberschenkeln direkt in den Körper eingreifen. Aus der wahren Schönheit wird so die Ware Schönheit. Wer schön sein will, muss zahlen …

Auch mit Blick auf die Machbarkeit in Sachen Schönheit ist auffällig, dass die postmoderne Wertschätzung von Selbstverwirklichung und Individualität hier gleichsam auf der Strecke bleibt und der »Nutzen« der Schönheit somit fragwürdig ist. Eingriffe durch Schönheitschirurgen haben heute ihr Stigma verloren. Zudem erweisen sich auch die finanziellen Hürden als überwindbar. Der Patienten-Tourismus in medizinische Billig-Paradiese, die »Fett-weg-Flatrates« anbieten, boomt wie nie zuvor. Was ein beliebter Schauspieler wie Uwe Ochsenknecht mit seinem Gesicht und seinem Haupthaar »bewerkstelligen« kann, ist nunmehr auch dem Durchschnittsbürger, dem »Normalo«, möglich. Der Mythos Schönheit wird entzaubert und zu einer herstellbaren Größe. Schönheits-OPs scheinen heute geradezu eine Kleinigkeit, ein »Klacks« zu sein. Ein Face-Lifting ist so selbstverständlich wie eine Shopping-Tour, Botox-Spritzen sind mittlerweile ein Party-Event.

So kommt es zu einer frappierenden Veralltäglichung von Schönheit. »Normalos«, denen es bislang vorbehalten war, schöne Stars oder Promis zu bewundern, wollen nun selbst bewundert werden und ihre schönen Vorbilder (nicht nur) äußerlich nachahmen. Die klassische schöne »Diva«, wie einst Greta Garbo, die eine geheimnisvolle Schönheit umgab, hat den Status der Unerreichbarkeit längst verloren. Die Wege zu Schönheit und Ruhm sind heute nicht nur vielfältig, sondern auch allen zugänglich. Wenn aber alle besonders schön sein wollen, gibt es letztlich keinen mehr, der diese Besonderheit würdigt, sodass am Ende wiederum jeder auf seine Durchschnittlichkeit verwiesen wird.


Schönheit im Zeichen des Neoliberalismus

In der griechischen Philosophie beinhaltete das Schöne immer auch das Gute und Wahre. Dieser Zusammenhang von Schön-Sein und Gut-Sein scheint heute aufgesprengt, da Schönheit als etwas Machbares gilt, das von Styling und Design abhängt. Damit ist der traditionelle, ethisch bestimmte Schönheitsbegriff zu Gunsten reiner Ästhetik in den Hintergrund gerückt.10 Auffällig ist jedoch, dass Schönheit heute auf neue Weise ethisiert wird. Wer es geschafft hat, sich schön zu hungern und sich auch sonst Model-Maßen anpasst, hat damit zugleich den Nachweis erbracht, dass er diszipliniert und zielstrebig ist.

Diese positiven Zuschreibungen sind letztlich Ausdruck einer neoliberal geprägten Konformierung, in der alle Lebensbereiche des Menschen ökonomischen Gesetzen der Vermarktung ausgesetzt sind.11 Am Beispiel der Casting-Show GNTM lässt sich anschaulich zeigen, wie in dem hier präsentierten Schönheitsideal neoliberale normative Vorgaben »verkörpert« werden. Zentrales Motto der Show ist, folgt man Heidi Klums Botschaft, sich selbst so in Szene zu setzen, dass ein marktgerechtes Image entsteht.12 Mit anderen Worten: Mit Schönheit allein kommt man in GNTM nicht allzu weit. Es gilt vielmehr, einem Selbstvermarktungsgesetz zu folgen, in dem ein unerbittliches Leistungsprinzip befördert wird, das jeden GNTM-Teilnehmer ganz allein verantwortlich für Erfolg oder Misserfolg macht. Erfolg aber heißt in der Show, ein darwinistisches Selektionsverfahren zu durchlaufen, in dem man sich jeweils optimal präsentieren muss, um die Konkurrentinnen auszustechen. Die Kandidatinnen unterwerfen sich dabei geradezu abstrusen Prüfungen. Mussten Klums »Mädchen« in den vergangenen Staffeln mit Kakerlaken in der Hand auf dem Laufsteg stolzieren oder mit einem stinkenden Tintenfisch auf dem Kopf posieren, so war in der achten Staffel gar ein Fotoshooting in einem Haifischbecken angesagt.

Diese »Challenges«, so das Rechtfertigungsmantra der Zeremonienmeisterin Klum, sind auf Marktgesetze abgestimmt, denen wichtige Sekundärtugenden entsprechen: der unbedingte Wille zum Erfolg, die Bereitschaft »abzuliefern« und vor allem die disziplinierte Kontrolle des eigenen Körpers. Diese in den GNTM-»Challenges« eingeforderten Tugenden sind elementarer Bestandteil von Exerzitien für ein ökonomisiertes Leben, in dem die Kandidatinnen zu vom Markt nachgefragter Ware werden. Der wahre Charakter der Kandidatinnen spielt also kaum eine Rolle, wohl aber ihr Warencharakter und Vermarktungspotenzial. Die zum Supermodel gekürte Siegerin der Show ist denn auch nicht unbedingt »die Schönste im ganzen Land«, verfügt aber über das marktgerechteste Aussehen, das der Sender Pro7 bis an die Grenzen des cross-medial Machbaren, also über ganz verschiedene Plattformen für sich nutzen kann: von Schönheitsprodukten über Tonträger zur Show bis zu Glitzer-Magazinen.


Forever young

In Zeiten eines medialen Narzissmus sind Menschen (vermeintlich) unabhängige Unternehmer von »Ich-AGs« und ihre Körper privates Kapital, das dann soziale Anerkennung und Macht sowie deren Inszenierung sicherstellt, wenn man dieses Kapital optimal managt. Mit Hilfe des Körper-Managements werden zugleich bewusst neoliberale Differenzierungen vollzogen.13 Will heißen: Wer sich normativen Vorgaben in Sachen Schönheit und Erscheinungsbild nicht fügt oder fügen kann, ist außen vor und erfährt nur selten gesellschaftliche Anerkennung.

Der schöne, perfektionierte Körper darf einfach nichts Schwaches, Krankes und Unansehnliches an sich haben. Vor allem aber: der schöne Körper darf nicht altern. Alle Spuren gelebten Lebens sind zu tilgen. Keiner will heute, dass man ihm sein Alter »ansieht«, denn die Prämisse einer jugendzentrierten Gesellschaft heißt: »Be forever young«. Dieses »Forever young« ist kein Wunschtraum, stehen doch Methoden bereit, die herkömmliche Anti-Aging-Verfahren mittlerweile selbst »alt« aussehen lassen. Sogar chirurgische Eingriffe, mit denen man den Körper »upgraden« kann, werden heute noch einmal durch neueste Gen- und Informationstechnik überboten. Diese ausgefeilten Mittel im Kampf gegen die Vergänglichkeit und zur Überwindung biologischer Beschränkungen verheißen ungeahnte, noch gar nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten. Genmanipulationen, die Gemüse nicht mehr schrumpeln lassen, werden längst zur Erreichung dauerhaft faltenfreier Haut eingesetzt und stellen ein Leben in ewiger Jugend und Schönheit in Aussicht.

Die Informationstechnik geht von diesem »Body Enhancement« aus noch einen Schritt weiter und technisiert den Menschen als Ganzen. Was dabei am Horizont eines zunehmend digital überformten Kosmos aufscheint, ist das Profil eines Menschen, der eine neue, digitale Identität annimmt, in der Mensch und (Computer-)Maschine eine Einheit werden. Es kommt, so die Vorhersage des Internet-Propheten und Transhumanisten Ray Kurzweil in naher Zukunft zu einer »Vereinigung der Spezies mit der Computertechnologie, die sie ursprünglich erfunden hat« – einer Vereinigung, durch die die Grenze der Lebenszeit aufgehoben wird und der Begriff »Lebenserwartung« entsprechend keine Rolle mehr spielt.14

Der transhumane Mensch vertraut nicht länger auf einen Gott, der ihn zu einem ewigen Leben bestimmt hat, das alle menschlichen Möglichkeiten übersteigt. Er huldigt vielmehr dem Gott der Selbstverbesserung und selbst geschaffenen Möglichkeiten einer »Unsterblichkeit«, die eine vollständige Befreiung von der körperlichen Last der analogen Welt verheißt. Dieser Verheißung liegt eine gnostisch geprägte Pseudoeschatologie zu Grunde, die auf eine unbegrenzte Verlängerung eines Lebens zielt, in dem man sich der Kränkung eines alternden, vergänglichen Körpers nicht mehr aussetzen muss.

Dem Körper kommt so in der Postmoderne ein ambivalenter Status zu. Einerseits spielt er als Instrument der Selbstdarstellung und gesellschaftlichen Positionierung eine zentrale Rolle bei Identitätsentwürfen aller Art, andererseits verliert gerade das körperzentrierte Selbstbild in der angestrebten Überwindung der Leiblichkeit durch digitale Technik zunehmend an Bedeutung. In einer technikgläubigen Welt offenbart dieser ambivalente Umgang mit dem Körper letztlich Allmachtsphantasien eines Menschen, der mit eigenen (gen- und informationstechnischen) Mitteln seiner geschöpflichen Endlichkeit – Krankheit, Verfall und Tod – den Kampf ansagt. Der Körper gilt in diesem Kampf nicht als unveränderlich, er ist kein Schicksal. Die Technisierung des Menschlichen mit allen Spielarten des »Human Enhancements« findet sich mit nichts mehr ab, sie nimmt Gegebenes nicht hin und erklärt den Menschen letztlich zum Geschöpf seiner selbst.

Im christlichen Glauben liegt das Schöne an sich im noch ausstehenden, endgültig zu vollendenden Heil »von Gott her« (Offb. 21,2), in dem alle menschliche Verstricktheit in das Vergängliche, aber auch Abgründige, Böse überwunden wird und der Mensch ungebrochen teilhat an der »Fülle Gottes« (Eph. 3,19). Das, was nach biblischem Zeugnis als Vollendung noch ausständig ist, wird heute durch die Sehnsucht nach Perfektion und prompter Wunscherfüllung im Hier und Jetzt ersetzt. Das vollkommen Schöne, das man einst Gott zuerkannte, kommt nunmehr als das perfektionierte Schöne dem Menschen zu.

»Der Schönste von allen Menschen« ist der von Gott geliebte Mensch. Ihn hat Gott »für immer gesegnet« (Ps. 45,3). »Vor mir bist du schön«, sagt dieser Gott und »sieht dabei nicht auf das Aussehen« des Menschen und seine »stattliche Gestalt« (1. Sam. 16,7). »Ich mache mich schön«, sagt der auf sich selbst geworfene Mensch. Er sieht das, »was vor den Augen ist« (1. Sam. 16,7) und will seiner äußeren Gestalt Ansehen und Bedeutung verleihen. Vom »Aussehen« des Menschen als »Abbild Gottes« (Gen. 1,26) entwickelt sich diese (soziale) Bedeutung von dem biblisch bezeugten Menschenbild immer weiter weg – bis zur Festlegung der gesellschaftlichen Bedeutung eines Menschen durch sein äußeres Erscheinungsbild, in dem der Gedanke der Ebenbildlichkeit nicht mehr vorkommt.15


Der Körper- und Schönheitskult als neue Religion

Diese Entwicklung kann man jenen religiösen Wandlungsprozessen zuordnen, von denen heute vor allem in der Praktischen Theologie die Rede ist. Tatsächlich aber zeigen sich hier Auflösungserscheinungen, die als substanzieller Verlust einst explizit christlich geprägter Inhalte zu beschreiben sind. Man nimmt heute Rituale der Religion in Anspruch, um die Angst vor Krankheit, Verfall und Tod »stillzulegen«. Aber die eigentlichen Hoffnungen richten sich letztendlich auf die moderne Technologie und Wissenschaft, die die Angst auslösenden Bedrohungen und Risiken beseitigen sollen.

Doch mit dieser Technik-Gläubigkeit, die jedem verheißt, dass er alles werden und erreichen kann, wird dem Menschen zugleich auch die alleinige Verantwortung für sein Leben und den Umgang mit dessen Grenzen aufgebürdet. In der Folge taucht gerade das wieder auf, was längst »abgehakt« schien und nach biblischem Zeugnis nur »von Gott her« überwunden werden kann. Dort, wo bedingungslose Selbstverantwortung und Selbstkontrolle zum Lebensmaß werden, lädt derjenige Schuld auf sich, der seinen Körper nicht gesund und schön erhält. Sünde als Schuldigwerden vor Gott wird als »Diätsünde« nunmehr auf den Körper verlagert. Wer Übergewicht hat, ist der »Versuchung« des Süßen erlegen.

Sünde, Schuld, Versuchung – all diese Begrifflichkeiten zeigen, dass der Schönheits- und Körperkult zu einer »neuen« Religion avanciert ist, die die traditionelle christliche Religion funktional ersetzt. Diese neue Religion befriedigt Bedürfnisse nach Glück und Heil, die einst »exklusiv« in der kirchlichen Religionskultur verortet waren. Ewige Jugend, Schönheit und Glückseligkeit erhofft man nicht mehr von Gott, sondern von plastischen Chirurgen und Spezialisten, die sich neuester Gen- und Informationstechnik bedienen. An den schönen, perfekten Körper knüpft man ähnliche Heilserwartungen wie früher an die Seele.

In diesen Hoffnungen und Erwartungen zeigt sich einmal mehr jener Selbstschöpfungsmythos, in dem die Überwindung von Krankheit, Gebrechlichkeit und Tod zu einer Eigenleistung des Menschen wird. Diese »Do-it-yourself«-Erlösung überschreitet letztlich alle Grenzen des Menschenmöglichen und erweist sich gerade darin als »unmenschlich« im ursprünglichen Sinn des Wortes. Der Mensch ist von seinem Wesen her der »Todesverfallenheit« ausgesetzt (Röm. 7,5), er vermag aus sich selbst heraus das Schöne und Gute an sich »nicht zu verwirklichen« (Röm. 7,18). Wer den Traum von ewiger Jugend und Schönheit tatsächlich Wirklichkeit werden lassen will, muss damit rechnen, dass daraus ein Albtraum wird, in dem das eigentlich Menschliche, Unverfügbare nichts mehr gilt.


Anmerkungen:

1 Irene Antoni-Komar, Körper-Konstruktionen. Die Thematisierung des Körperlichen in Mode und Kunst, in: dies. (Hg.), Moderne Körperlichkeit. Körper als Orte ästhetischer Erfahrung. Stuttgart/Bremen 2001, 25.

2 Gabriela Mistral, Gedichte. Zürich 1945, 64.

3 Vgl. Veronika Prüller-Jagenteufel, Art. »Schönheit«, in: Maria Elisabeth Aigner/Anna Findl-Ludescher/Veronika Prüller-Jagenteufel (Hg.), Grundbegriffe der Pastoraltheologie. München 2005, 177.

4 Vgl. Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt/M. 1986, 206.208-210.

5 Nina Degele, Sich schön machen. Zur Soziologie von Geschlecht und Schönheitshandeln. Wiesbaden 2004, 11.

6 Antoni-Komar, Körper-Konstruktionen, 24.

7 Jörg Splett, Schönheit – bedacht mit Plotin, in: Zeitschrift für medizinische Ethik 47 (2001), 87. Vgl. auch Arnim Regenbogen/Uwe Meyer (Hg.), Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Hamburg 2013, 587.

8 Malte Welding, Mein Waschbrettlächeln, dein Zahnpastabauch, in: FAZ, 2.7.2012, 26.

9 Vgl. Lisa Nienhaus/Stefani Hergert, Schönheit macht reich. Aber leider nicht glücklich, in: FAZ, 13.1.2008, 36-37.

10 Vgl. Prüller-Jagenteufel, Art. »Schönheit«, 178.

11 Vgl. Grit Höppner, Alt und schön. Geschlecht und Körperbilder im Kontext neoliberaler Gesellschaften. Wiesbaden 2011, 20-21.

12 Vgl. Heidi Klum, Natürlich erfolgreich. Frankfurt/M. 2005, 42.

13 Vgl. Höppner, Alt und schön, 45-46.

14 Ray Kurzweil, Homo S@piens. Leben im 21. Jahrhundert – Was bleibt vom Menschen? Köln 1999, 389.453.

15 Vgl. Constance Neuhann-Lorenz, Plastische Chirurgie zwischen postmodernem Körperkult und ärztlichem Ethos, in: Zur Debatte 2 (2007), 27.

 

Über die Autorin / den Autor:

Dr. phil. Elisabeth Hurth, Jahrgang 1961, Publizistin und Dozentin in Wiesbaden; Veröffentlichungen (u.a.): Religion im Trend – oder Inszenierung für die Quote?, Düsseldorf 2008; Mythos Arzt?, Taunusstein 20082.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 8/2013

Kommentieren Sie diesen Artikel
Pflichtfelder sind mit * markiert.
Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.
Spamschutz: dieses Feld bitte nicht ausfüllen.