Kein zweites Studienfach hat wohl in den letzten 25 Jahren so viele Studierende eingebüßt wie das Fach Evang. Theologie, Studienziel Pfarramt. Während die Gesamtzahl aller Studierenden seit 1982 von etwa 1,2 Mio. auf über 2,5 Mio. anstieg, fiel sie in Evang. Theologie von 12.000 in den 80er Jahren auf nunmehr 2300 – der Verdoppelung der Studierenden allgemein steht eine »Dezimierung« der Theologen-Quote gegenüber. Waren früher ca. 1% aller Studierenden Theologen, so trifft dies gerade noch auf 1 Promille zu! In den Rankings der beliebtesten Studienfächer taucht Theologie konsequenterweise seit vielen Jahren nicht mehr auf. Andreas Dreyer geht den Ursachen nach.

1. Das Theologiestudium ist realiter »das Pfarramtsstudium«!

Es ist weithin unbestritten, dass Evang. Theologie seit jeher zumeist das Studienziel Pfarramt hat. Alle Gespräche im Kollegenkreis, jede Berufserfahrung, sämtliche Umfragen wie auch die Studie von Matthias Wolfes1 bestätigen dies. Darum kann die Frage nach dem unstrittig enormen Attraktivitätsverlust des Theologiestudiums unmittelbar mit der Ursachensuche nach dem Attraktivitätsverlust des Pfarramtes bzw. des Pfarrberufes verbunden werden: Interesse oder Desinteresse am Theologiestudium ist weithin deckungsgleich mit Anstreben oder Ablehnen des Pfarrberufs!

2. Das Problem der Abweisungen in den frühen 90er Jahren

Schon vor rund 30 Jahren zeigte sich, dass die westlichen Landeskirchen nicht vollständig in ihre Stellenpläne jenen ungeheuren Bewerberansturm würden integrieren können, der seinen Ursprung zu großen Teilen der Umwelt- und Friedensbewegung und der Sympathie der evang. Kirche für diese verdankte. Teilweise überstieg die Anzahl der Studierenden aus lediglich einigen Abiturjahrgängen nahezu die Gesamtzahl der Pfarrstelleninhaber!

Die Landeskirchen trafen unterschiedliche Maßnahmen, um das Problem abzumildern. Sie verlängerten durch neue Studienordnungen das Theologiestudium, führten Wartelisten nach beiden Examina ein, weiteten die Ausbildungskapazität in den Predigerseminaren aus und schufen teilweise sogar neue Stellen (Kandidatenstellen, Sondervikariate). Vieles davon verdient durchaus Anerkennung, weil es keineswegs selbstverständlich war. Insofern geht die bisweilen immer noch zu hörende harsche Generalkritik an den Abweisungen sicher fehl, wenngleich manche Detailkritik berechtigt bleibt, wie z.B. fehlende Jahrgangsgerechtigkeit bzw. unklare Bewertungsmaßstäbe (Stellenvergabe durch Heirat statt Examensnoten) sowie vor allem die Endgültigkeit landeskirchlicher Entscheidungen.

Abweisungen blieben darum unausweichlich (Rheinland: ca. 550, Hannover: ca. 300-350). Obwohl auch andere Fachrichtungen enorme Bewerberüberhänge hatten, war die Außenwirkung abgelehnter PfarramtsbewerberInnen verheerend, weil die Landeskirchen das Anstellungsmonopol für TheologInnen besitzen und deshalb die öffentliche Meinung sie in eine Art Haftungsgemeinschaft für die Studierenden nahm, ihnen die Abweisungen ihrer Landeskinder als »unchristliches Verhalten« ankreidete und somit das kirchliche Renommee in Mitleidenschaft zog. Als Folge brach Mitte der 90er Jahre zeitgleich mit den Abweisungen die Zahl der StudienanfängerInnen stark ein – ein deutlicher Beleg für die These vom Theologiestudium als Pfarramtsstudium.

3. Gehaltskürzungen: »freiwillige« Gehaltsopfer und ihre Wirkung

Ungefähr zeitgleich mit den Abweisungen wurde auch tiefgreifend in die Gehaltsstruktur der Pfarrerschaft eingegriffen, es kam in einigen Landeskirchen gegenüber der staatlichen Besoldung zu Absenkungen, die – teilweise wider besseres Wissen – als »freiwilliger« Gehaltsverzicht zugunsten des Nachwuchses deklariert wurden. Ferner kam es zu unfreiwilligen Teildiensten für Theologenehepaare und BerufsanfängerInnen, was ebenfalls als verkappte Gehaltskürzung bzw. Einschränkung der Berufsfreiheit angesehen werden muss. Auch diese Maßnahmen führten dazu, dass das Studium weiter an Attraktivität verlor.

Als dann in den späten 90er Jahren auch noch die einzige allgemeine Höhergruppierung, nämlich die Durchstufung von A13 nach A14, in einigen Landeskirchen gestrichen wurde, führte dies parallel zu einer weiteren Attraktivitätsverschlechterung. Hierbei dürften auch Vorgänge wie in der Hann. Landeskirche eine Rolle gespielt haben, wo eine ursprünglich beschlossene Überprüfung der Besoldung aller kirchlichen Ämter (einschl. Leitung) unterlaufen und ausschließlich das Pfarrgehalt gekürzt wurde. Das völlig ungerechtfertigte Belassen der ungekürzten A14-Besoldung innerhalb des Gehaltes für jüngere SuperintendentInnen und jüngere KirchenbeamtInnen wie auch die nachvollziehbare Beibehaltung des ganzen A 14 für diejenigen, die sie bereits aufgrund ihres Lebensalters erreicht hatten, führte de facto zur Aufgabe des Prinzips der Gleichbehandlung bzw. -alimentierung innerhalb der Pfarrerschaft. Denn für den Pfarrberuf war und ist bezeichnend, dass ein Stellenkegel wie im vergleichbaren Öffentlichen Dienst, z.B. bei Lehrern, fehlt. Die spätere Streichung von Sonderzuwendungen (»Weihnachtsgeld« und Urlaubsgeld) durch entsprechende Länderbestimmungen verstärkte diesen Abwertungseffekt.

4. Die Auswirkungen der Dienstwohnungspflicht (Pfarrhauspflicht)

Parallel zu den o.g. Maßnahmen wurden zum Leidwesen der Betroffenen seit Mitte der 90er Jahre die Mietwerte der Dienstwohnungen (Pfarrhäuser) permanent spürbar angehoben. Auf Nachfragen hieß es dann, die Kirche betreibe dies keineswegs aus Eigeninteresse, sie käme nur Aufforderungen der staatlichen Finanzbehörden nach, die auf eine Angleichung der Pfarrhaus-Mietwerte auf das allgemein übliche Niveau drängen würden; zudem gäbe es angeblich keine qualitativen Unterschiede zwischen einem Pfarrhaus und privateigenen Häusern2. Gegenüber den dienstwohnungspflichtigen PastorInnen, die auf ihre verfassungsmäßig garantierte freie Wohnungswahl zugunsten ihres Berufes verzichten müssen, waren die erhöhten Kosten für die aufgenötigten Dienstwohnungen sicherlich eine unsensible Verhaltensweise, die zu lang anhaltender Verbitterung bei großen Teilen der Pfarrerschaft führte. Denn diese starke Kostenerhöhung fiel ausgerechnet in jene Zeit, in der viele andere Berufsgruppen sich ihren Wunsch vom selbstgenutzten Eigenheim – auch und gerade dank großzügiger staatlicher Förderung und gesunkener Zinsen – erfüllen konnten, bis hinein in die Kreise der Facharbeiterschaft und der Spätaussiedler, aber auch anderer kirchlicher Mitarbeiter.

So sah man sich seitens der Pfarrerschaft in einem unlösbaren Dilemma: man wollte wohl gerne aus dem Pfarrhaus ausziehen, um es jenen gleichzutun, die auf eigene Lebensverhältnisse zugeschnittenes Wohneigentum im Sinne der Eigenvorsorge für das Alter bildeten, konnte und durfte dies während der Zeit des aktiven Dienstes jedoch nicht. Währenddessen wurden die Mietwerte der Pfarrhäuser permanent weiter angehoben, obwohl die Dienstwohnungen im Komfort immer weiter hinter die neuen Wohnstandards zurückfielen, wie später angestellte Untersuchungen, z.B. die Energiegutachten, eindeutig belegten. Dieses Verhalten des Dienstherren wurde als Ausnutzung des Anstellungsmonopols angesehen und entsprechend intern kommuniziert; so nahm gerade auch die Zahl der selbstrekrutierten Studierenden aus der Pfarrerschaft (Pfarrerskinder) weiter ab. Die Berufszufriedenheitsbefragungen in diversen Landeskirchen (EKHN/EKKW 2003, Hannover 2005, Nordkirche 2011) jener Jahre belegen eindeutig, wie hoch der Unmutspegel wegen der Dienstwohnungspflicht anstieg3.

Als dann absehbar war, dass die staatliche Eigenheimzulage ersatzlos wegfallen würde (zu 2006 abgeschafft) und PastorInnen sie auch später, nach der aktiven Zeit, nicht mehr würden in Anspruch nehmen können, fühlte man sich in seiner Sondersituation von Politik wie Kirche fallen gelassen, denn zugleich erlebte man ja mit, wie die in dieser Zeit in Pension gehenden Jahrgänge sich gerade noch ihre Domizile errichteten. Bund und Länder hatten währenddessen die wenigen verbliebenen eigenen Dienstwohnungspflichtigen in ihren entsprechenden Berufsfeldern davon befreit; lediglich die Pastoren blieben es weiterhin, was nur aufgrund des fragwürdigen Selbstbestimmungsrechtes der Kirchen möglich war und ist.

Aus dem einstigen Berufsprivileg eines geräumigen, zentral gelegenen und günstig zur Verfügung gestellten Pfarrhauses wurde so innerhalb weniger Jahre eine Bürde, an der viele schwer trugen, weil sie es ihnen unmöglich machte, selbstgenutztes Wohneigentum zu bilden, wie es Staat und Bausparkassen permanent als sinnvolle Eigenvorsorge anrieten. Nun hatte man im Pfarrberuf weder die Trennung von Arbeit und Freizeit noch ein kostengünstiges Wohnraumangebot. Die Nichtwürdigung der besonderen Belastung des Wohnens im Pfarrhaus durch die Kirchenleitungen tat ein Übriges. Schließlich traf auch die klassische Familiensituation auf immer weniger junge PastorInnen überhaupt noch zu, da immer mehr Single blieben und die Zahl kinderloser Pfarrerehepaare weiter anstieg – für sie alle waren viele Pfarrhäuser schlichtweg zu groß und somit unpassend. Die Tatsache, dass später die Landeskirchen die Mietwertsteigerungen als Verstöße gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung auf Druck der Pfarrvertretungen anerkannten und wieder zurücknahmen, änderte daran wenig, denn diese Korrekturen kamen vergleichsweise spät und wurden von der Streichung der Eigenheimzulage konterkariert.

5. Die Bewertung von Lebensführungsfragen

Ein weiterer Aspekt, der die öffentliche Wahrnehmung von Kirche in jenen 90er Jahren negativ prägte, war die zunehmende Diskrepanz zwischen liberalisierter Gesellschaft und konservativer Kirche, die von ihrer Pfarrerschaft die Bewahrung traditioneller Werte in Lebensführungsfragen rigide einforderte. So wurden bisher selbstverständliche, doch inzwischen nicht mehr allgemein vorauszusetzende Verhaltensmuster und -normen auf einmal zu berufsethischen Anforderungen, die man fortan lediglich PfarrerInnen abverlangte. Während in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen eine immer weitergehende Trennung von Berufs- und Privatleben, von Arbeit und Freizeit selbstverständlich wurde, beharrte Kirche als Tendenzbetrieb darauf, dass ihr Kernpersonal die Einheit von Lehre und Leben (»Wandel«) auch weiterhin exemplarisch vorzuleben habe, bis hin zur Frage der Partnerwahl, wo immer noch Vorgaben bezüglich der Konfessionszugehörigkeit des künftigen Ehepartners gemacht werden (§39 EKD-PfDG). Aufgrund des Bewerberüberhangs konnten Kirchenleitungen sich unzeitgemäßes rigoroses Verhalten einige Jahre ungestraft leisten.

Langfristig führte diese Strategie zu einer Verweigerungshaltung potentieller Studienanfänger gegenüber dem Theologiestudium. Ein Pfarrerssohn, gefragt, warum er trotz hohen Interesses an kirchlichen Fragestellungen nicht in die Fußstapfen seines Vaters getreten sei, brachte es so auf den Punkt: In einem Lande der Freien habe er nicht der letzte Leibeigene sein wollen. Dieses etwas überspitzte Votum bringt die Denkhaltung der jüngeren Generation gut zum Ausdruck. Sicherlich reagierte die Kirche später sehr wohl, indem sie die gesellschaftliche Liberalisierung teilweise nachvollzog, u.a. auf die Regelversetzung bei Scheidung in vielen Fällen verzichtete oder staatlich anerkannte gleichgeschlechtlicher Partnerschaften seit Kurzem auch im Pfarrhaus toleriert. Doch dieser Sinneswandel geschah erst auf äußeren Druck hin, die Regelungen waren und sind kompliziert und hinken insgesamt der Entwicklung hinterher. Statt avantgardistisch wie zur Zeit der Umwelt- und Friedensbewegung verhielten sich Kirchenleitungen und Synoden eher restaurativ oder gar autoritär. Die Kirche hat heute die Möglichkeit verloren, das Kirchenvolk zu reglementieren, umso mehr reglementiert man noch diejenigen, die sich nicht dagegen wehren können, vor allem die Pfarrerschaft – so trefflich ein Leserbriefschreiber in jener Zeit.

6. Die sog. »Bildungsrendite« und ihre Folgen

Ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel setzte auch mit einem total veränderten Blick auf den Bereich Bildung/Ausbildung ein. An die Stelle eines ganzheitlichen Bildungsideals trat in den vergangenen 20 Jahren eine immer stärkere Ausdifferenzierung in einzelne Bildungs- und Studiengänge mit fortschreitender Ökonomisierung aller Lebensbereiche: auch Studiengänge und Berufe wurden verstärkt auf ihre späteren ökonomischen Erträge hin befragt. Dabei stellte sich heraus, dass Theologiestudierende angesichts ihrer notwendig langen Studienzeiten und ihrer späten, z.T. nur reduzierten kirchlichen Anstellung geringere Lebenseinkommen als Facharbeiter zu erwarten hätten. Diese spezifische Problematik wurde dann noch einmal durch eine allgemeine universitäre Entwicklung verstärkt. Studiengebühren wurden eingeführt, zuerst für Langzeitstudierende, später ungeachtet der Fachrichtung für alle HochschülerInnen. Seitdem fragten sich AbiturientInnen wie auch deren Eltern in noch stärkerem Maße als bisher, warum sie noch ein geisteswissenschaftliches Fach studieren sollten, das zudem am unteren Ende der Skala der »Bildungsrenditen« stand, wenn sie immense Studienaufwendungen und zusätzliche Studiengebühren in gleicher Höhe zu zahlen hätten wie diejenigen, die in Studiengänge mit hoher Bildungsrendite gingen? Und das auch noch über längere Studienzeiten hinweg, da die durchschnittliche Studiendauer wegen der kaum noch auf der Schule erlernten alten Sprachen auf sechs bis sieben Jahre angestiegen war.

Da der Fakultätentag sich dafür aussprach, Theologie als sog. »grundständiges Studium« weiterzuführen und sich somit dem 1999 beschlossenen Bologna-Prozess zu entziehen, wurde die Sonderstellung von Theologie noch stärker herausgestellt als zuvor schon. Die Frage, was ein solches, auf das Pfarramt fixierte Studium später in einer Welt noch wert sei, da viele sich eine Vielzahl von Berufsoptionen bewahren wollten, beantworteten immer mehr Studierende durch Nicht-Wahl dieses Faches.

7. Falsche Sicherheitsversprechen: Stellenstreichungen und die Folgen

Ein Argument, dass dennoch manchen bewog, ein Pfarramt anzustreben und dann auch anzutreten, war das seitens der Kirche über lange Zeit gegebene und auch durchgehaltene Sicherheitsversprechen. Bis weit in die 90er Jahre wurde seitens der Landeskirchen als Dienstherren beteuert: »Die Gemeindepfarrstellen sind sicher!« Schließlich habe man diese Stellen über viele Wechselfälle der Geschichte hinweg seit den Tagen der Reformation stabil fortgeführt und damit den Beweis dafür angetreten, sich an sein Versprechen auch in schwierigen Zeitläuften zu halten. Außerdem sei eine Pfarrstelle zugleich ein Pfarramt, also im Prinzip unveränderlich und nicht von außen zu kürzen, weil dadurch ja die Unabhängigkeit der AmtsinhaberInnen beschädigt würde, was per definitionem durch Bekenntnis wie Kirchenrecht ausgeschlossen sei. Darauf vertrauend waren in der Vergangenheit sehr viele BerufsanfängerInnen bereit gewesen, selbst unter Inkaufnahme persönlicher Nachteile bei reduziertem Anfangsgehalt auch an strukturschwachen Dienstorten Pfarrstellen zu übernehmen. In einer Arbeitswelt zunehmender Flexibilisierung war es sicherlich ein tragfähiges Kriterium, wenn ein Arbeitgeber/Dienstherr mit einem derartigen Versprechen seine Klientel mit einem Package Deal entschädigte.

Exkurs I: Package Deal

Der Package Deal ist als die »Geschäftsgrundlage« zu nennen, auf der sich die Besonderheiten des pfarramtlichen Dienstes zwischen Dienstherrn und PfarrstelleninhaberInnen vollziehen: ein Konglomerat aus gesetzlichen Regelungen (vgl. EKD-Pfarrdienstgesetz), aber auch aus weiteren Absprachen, Zusicherungen, Selbstverständlichkeiten, die sich über lange Zeiträume hinweg herausgebildet hatten (»ungeschriebenes Gesetz«), und auf dessen Grundlage Vor- und Nachteile eines Pfarramtes in ein ausgeglichenes Verhältnis zueinander gesetzt wurden. »Does« und »Don’ts«, Dinge, die sich teilweise der Regelungsmöglichkeit entzogen, aber dennoch für wichtig erachtet und eingefordert wurden. Die einschneidenden Veränderungen der letzten Jahre sind nun zu großen Teilen von der Pfarrerschaft als Aufkündigung eben dieses Ausgleichsverhältnisses verstanden worden und haben Reaktionen hervorgerufen, entweder als Verweigerungshaltung des potentiellen Nachwuchses oder als Antwortstrategien der Pfarrerschaft auf das Überwiegen von Nachteilen im Gemeindepfarramt.

Konkret bedeutete die Package Deal-Frage an diesem Punkt, dass evang. Theologen, überwiegend durch das Studium großstädtisch sozialisiert und im Falle der Wahlmöglichkeit erkennbar willens, im urbanen Bereich zu bleiben, sich dennoch im Unterschied zu den allermeisten übrigen AkademikerInnen (wie etwa den Medizinern) bereit fanden, ihr gewohntes Lebensumfeld inkl. aller dortigen kulturellen und sonstigen Teilhabemöglichkeiten vollständig aufzugeben und für ihre Landeskirche in abgelegene Regionen umzuziehen. Weil dem ein Sicherheitsversprechen und – nicht zu vergessen – ein zentraler kirchlicher Auftrag, nämlich die Betreuung einer Kirchengemeinde, zugrunde lag, also ein Dienst, der sich nicht auf eine Fünftage-Woche reduzieren lässt und somit dort auch noch quasi permanente Ortsanwesenheit erfordert. Manfred Josuttis hatte so einst den evang. Pastor treffend als »Intellektuellen auf dem Lande« charakterisiert, dessen Sonderrolle und Ausnahmestellung sehr subtil wahrnehmend.

Und dies galt naturgemäß nicht nur für die betroffenen Amtsinhaber, sondern auch für ihre Familienangehörigen! Nicht selten führte dies durchaus mit hohen persönlichen Opfern verbundene Verhalten zum Jobverlust des Ehepartners, der aber in Kauf genommen wurde, weil das Sicherheitsversprechen als höherwertig eingestuft wurde. Es liegt nun in der Natur der Sache, dass die Preisgabe gerade einer entscheidungsrelevante Sicherheitszusage durch den Dienstherrn gravierende Spätfolgen haben muss, denn eine solche Kursänderung lässt für die betroffenen Paare nichts Geringeres als ihren Lebensentwurf fragwürdig und brüchig werden. Es gab zuvor nicht wenige Fälle (und sie waren in Pfarrerkreisen bekannt), wo EhepartnerInnen gerade wegen der Besonderheit des pfarramtlichen Dienstes und wegen der Strukturschwäche mancher Gebiete ihren Pfarr-Partner verlassen hatten, weil sie persönliche Prioritäten dann doch anders bestimmten oder die Öffentlichkeit einer pastoralen Existenz mit hoher sozialer Kontrolle nicht ertrugen. Diesem geradezu existentiellen Risiko stand keine entsprechende Sicherheit an anderer Stelle mehr gegenüber!

Den Landeskirchen als Dienstherrn musste somit bewusst sein, dass die Preisgabe des zuvor als sicher bezeichneten und beworbenen Pfarrstellenbestandes und die Durchsetzung von Pfarrstellenstreichungen in beträchtlichem Umfang (Arbeitsverdichtung) seitens der Pfarrerschaft und auch des potentiellen Nachwuchses als de-facto-Aufkündigung des Package Deals empfunden werden musste. Ich bin sicher: Es wird der Zeitpunkt kommen, da die Kirchenleitung die »Opferung« des festen Pfarrstellenbestandes als schweren, kaum rückholbaren Strategiefehler erkennen wird, denn dadurch gerieten PastorInnen in Abhängigkeiten, die zuvor ausgeschlossen schienen, so wurde aus einem erstrebenswerten weitgehend unabhängigen Amt ein zu Teilen abhängiger Dienst mit Merkmalen eines Angestelltenverhältnisses, Wechselwirkungen eingeschlossen.

Zu fragen ist also, ob die Stellenstreichungen im erfolgten Maße wirklich erforderlich waren. Die offizielle Begründung lautete zumeist, nicht die Arbeit solle dadurch weniger wertgeschätzt werden, doch anhaltend hoher ökonomischer wie demographischer Druck zwinge die Kirche unausweichlich dazu. Dazu ist zu sagen, dass die gezeichneten Szenarien kirchlicher Einnahmeverluste, die angeblich unmittelbar bevorstanden und als Druckmittel dienten, so keineswegs eingetreten sind; auch weisen die EKD-Kirchenmitgliedschafts-Untersuchungen permanent nach, dass den Kirchengliedern pastorale Arbeit vor Ort als unverzichtbare Kernaufgabe von Kirche erscheint. Dennoch sind die Streichungen bisher nicht ausgesetzt worden (!), obwohl deutliche Mehreinnahmen seit zwei Jahren zu verzeichnen sind und – wie zum Gegenbeweis – durch die Landeskirchen insbesondere Mitarbeiter-Stellen und neue Funktions-Pfarrstellen in anderen Bereichen sehr wohl parallel zum Abbau dieser Gemeinde-Pfarrstellen neu errichtet wurden, zu schweigen von den exorbitanten Summen, die wiederholt zur Bezahlung gravierender Fehlbeträge v.a. wegen Missmanagement in diakonischen Einrichtungen oder bei Spekulationsverlusten klaglos aufgebracht werden. Zu bedenken ist ferner, dass die in der Fläche angesiedelten Pfarrstellen von den Landeskirchen zuvor schon über wesentlich größere Krisen hinweg bewahrt worden waren, selbst über Währungsreformen, Kriege, die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur hinweg, wenngleich häufig als Vakanzen.

All dies trat nun kumulativ zu den Besoldungsabsenkungen und Mieterhöhungen hinzu: aus ganzen A14-Stellen wurden binnen Kurzem nicht selten halbe A13-Stellen; aus einem sicheren Amt mit Unversetzbarkeitsstatus wurde eine Tätigkeit ohne wirklich vergleichbar gesicherte Rahmenbedingungen. Die Abstimmung des Nachwuchses angesichts dieser Verschiebungen geschah mit den Füßen, sie folgte der nachvollziehbaren Logik: Wenn Landeskirchen bereits bei leichten Kirchensteuerdellen sowie stabilen, verkraftbaren Austrittsziffern derart unerwartet reagieren, was könnte als Szenario dem Pfarrberuf dann noch drohen, wenn wirkliche Steuereinbrüche oder Austrittswellen auf sie zukämen?

Bekannt ist zudem, dass Lehrerberuf und Pfarrberuf lange Zeit wie kommunizierende Röhren zueinander standen: waren die Berufsaussichten für einen der beiden Berufe besser, wurde dieser bevorzugt. Der Staat hat nun seinerseits die Rahmenbedingungen des Lehrerberufes keineswegs derart einseitig verschlechtert, sondern vielmehr die Residenzpflicht frühzeitig aufgehoben, den Stellenkegel mit Beförderungsmöglichkeiten beibehalten, die Unversetzbarkeit de facto eingeführt (während sie im Pfarrberuf de iure abgeschafft wurde). Von Stellenstreichungen blieben die Lehrer verschont, ja es wurden sogar neue Stellen geschaffen. Außerdem geriet der Lehrerberuf nicht in direkte Abhängigkeit zu staatlichen Einnahmen, niemand stellte Lehrerstellen (trotz massiver gesellschaftlicher Lehrerschelte!) infrage, wenn der Staat konjunkturbedingt einmal weniger Steuern einnahm. Ferner fällt dort die Unsicherheit von Pensionskassenrisiken weg, weil der Staat seine Pensionen aus dem laufenden Steueraufkommen finanziert – was lange Zeit wie ein Systemnachteil erschien, erweist sich nun als Vorteil für den Staat. So waren die angedachten bzw. vorgeschlagenen Alternativen angesichts von Stellenstreichungen, wegfallende Stellenanteile durch Fundraising-Projekte zu finanzieren, keineswegs durchdacht, belasteten sie doch die Betroffenen mit einer illusionären Erwartung in einer Art und Weise, die die Dienstgemeinschaft zu spalten bzw. aufzuheben droht. Zudem unterminieren sie auf gefährliche Weise das für die deutschen Kirchen essentielle System der Mitgliederbeiträge durch Kirchensteuer und Kirchgeld.

8. Konzeptionslosigkeit, Aporien, Selbstsäkularisierung

Bildungsentscheidungen sind bekanntlich Lebensentscheidungen. Dies gilt auch und gerade dann, wenn in einer Gesellschaft Berufsrollen im Laufe des Lebens verändert, lebenslanges Lernen als Grundprinzip gefordert und der einmal erlernte Beruf von vielen nach einer bestimmten Verweildauer notgedrungen gegen einen anderen ausgetauscht wird, weil der Wandel der Arbeitsgesellschaft, veränderte Interessenlagen oder gesellschaftliche Bedürfnisse dies erfordern. Der eben darin wurzelnde und vollkommen nachvollziehbare Wunsch vieler Eltern, ihren Kindern eine möglichst hochwertige Schulbildung zu ermöglichen, um ihnen später eine Vielzahl von Berufsoptionen offenzuhalten, setzt sich auch im Anschluss an die Schulzeit fort. Studienfachentscheidungen werden zunehmend im Familienrat getroffen und so zur gemeinsam verantworteten Entscheidung, externe Beratungskompetenz wird mitunter beigezogen, Chancen und Risiken hochgerechnet. Dies unterscheidet die heutige Gesellschaft fundamental von derjenigen, als im Zuge des Runs auf die Universitäten eine ganz auf Autonomie drängende Studentengeneration sich von ihren Eltern abwandte und ihre Studienfachentscheidungen eigenverantwortlich vornahm. In einem derartigen Klima wie heute haben es Randfächer naturgemäß schwer, ist doch der Wert eines Abschlusses mit geringer Marktgängigkeit nur äußerst schwer abzuschätzen. Sich gar dem rationalen Diskurs entziehende Elemente wie der für Theologen zentrale Berufungsgedanke (vocatio interna) verhallen oder werden belächelt. In diesem Zusammenhang ist es darum entscheidend, wie sich ein Dienstherr mit Anstellungsmonopol präsentiert, und zwar in seiner Außendarstellung wie durch seine interne Kommunikation; auch hier kommt der Pfarrerschaft in den Gemeinden eine zentrale Rolle zu!

Exkurs II: Kirche der Freiheit

In diesem Zusammenhang muss zumindest am Rande auf den EKD-Reformprozess Kirche der Freiheit eingegangen werden, jenes Reformpapier aus dem Jahre 2006, mit dem die EKD für alle Landeskirchen einen Zukunftsentwurf vorlegte. Zwar wird in diesem Agendapapier dem Pfarrberuf eine, wenn nicht gar die Schlüsselrolle für die Zukunftsfähigkeit von Kirche nominell zugewiesen (S. 71-75). Andererseits findet sich Generalkritik am Pfarrerstand, werden Alternativmodelle zum Pfarrberuf von Landeskirchen erwogen (Schnellausbildungen, neue Zugänge zum Pfarrberuf), durch die das Theologiestudium wiederum infrage gestellt wird und unklar bleibt, inwieweit der Package Deal künftig noch halten wird oder nicht. Gerade auch die entscheidende Frage, zu welcher Art von Organisation (hierarchisch oder dezentral, Top-down oder Bottom-up) Kirche umgebaut werden soll und wird, bleibt unbeantwortet.

Und schlussendlich zu bedenken ist die Kernaussage aus dem Vorwort von »Kirche der Freiheit«4, wonach die Evang. Kirche im Jahre 2030 ein Drittel ihrer Mitglieder und die Hälfte ihrer Finanzkraft eingebüßt hätte, eine Kapitulationserklärung an die gesellschaftliche Entwicklung, die ebenfalls potentielle Interessenten geradezu abschrecken muss. Denn wer wird sich in weitgehende »Pfadabhängigkeit« zu einer Organisation begeben, die sogar in ihrer externen Kommunikation konzediert, ein harter Schrumpfkurs sei das einzig mögliche Szenario? Wer so agiert, der schreckt potentielle Bewerber in jeder Hinsicht ab. Denn jedermann wird daraufhin schlussfolgern, dass in einer derart dauerhaft unter enormem Druck stehenden Organisation (Stichwort Pensionslasten) harte Verteilungskämpfe drohen. Ähnliches ließe sich für die Vielzahl an Fundraising-und Stiftungsprojekten sagen: Wenn einer (noch) steuer- und damit beitragsfinanzierten Organisation zum Ausgleich drohender Unterfinanzierung keine anderen Konzepte einfallen, dann muss es schlecht um sie bestellt sein. Die EKD wäre von daher gut beraten, die fatalistische Kernthese aus ihrem Agendapapier offiziell zurückzuziehen und echte Visionen einer zukunftsfähigen und zukunftswilligen Kirche zu entwerfen!

Dem amerikanischen Ökonomen Albert O. Hirschman verdanken wir die wegweisende Studie »Abwanderung und Widerspruch«. Die Kernthese dieser Untersuchung besagt, dass es in unter Druck geratenen Organisationen, gerade wenn sie keine Pfadgerechtigkeit mehr walten lassen, zwei Ausweichstrategien der Mitarbeiterschaft gibt: Fluchtverhalten (Eskapismus) derjenigen, denen sich eine Alternative bietet, oder Widerstand, artikuliert oder verborgen in der Hoffnung, die Organisation möge ihre Fehler korrigieren. Auf unsere Fragestellung bezogen heißt dies, Kirche muss jetzt rasch erkennen, dass sie nicht falschen Paradigmen nachrennen darf, sondern – letztlich im Eigeninteresse – Pfadgerechtigkeit walten lassen muss. Denn selbst wenn es Kirchenleitungen und Synoden schaffen, Kirche in eine marktförmige Organisation betriebswirtschaftlich umzuwandeln (und somit ihre verbindlichen Zusagen an die Pfarrerschaft aufzukündigen), entsteht ein enormer Flurschaden im Motivations- und auch im Mitgliederbereich, weil die Folgeschäden ideeller wie materieller Art durch die verprellten Schlüssel-Berufsgruppen eventuelle Gewinne an anderer Stelle bei Weitem übersteigen.

9. Konsequenzen

Bei realistischer Betrachtungsweise sollte allen Beteiligten klar sein: Es wird ein schwieriges Unterfangen, qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen. Mit Hochglanzbroschüren und hehren Worten wird wenig auszurichten sein. Es gilt, wie auch sonst im Leben: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen, sprich: am Umgang mit der jetzt im aktiven Dienst stehenden PfarrerInnengeneration wird sich entscheiden, wie viele junge Menschen für das Studium wie für den Pfarrberuf gewonnen werden können.

Darüber hinaus sei den Kirchenleitungen und insbesondere der EKD empfohlen, ein klares Bekenntnis zur Beibehaltung des Package Deals abzugeben und nicht nur für einen »Beruf an sich«, sondern auch für konkrete Rahmenbedingungen, unter denen die nachfolgende Generation ihn ausüben wird, folgende Eckdaten »bekenntnishaft« verbindlich anzugeben:

– Das Gemeindepfarramt bleibt zentrales kirchliches Amt und wird nicht zur austauschbaren Dienstleistung.
– Pfarrbezirke bleiben überschaubar, weil pastorales Wirken vor allem Beziehungsarbeit ist.
– Das Bottom-up-Prinzip des Protestantismus verlangt dezentrale Kirchengemeinden und keine zentralisierte Top-down-Organisation (presbyterial-synodales Prinzip).
– Kirche bleibt in der Fläche präsent und honoriert die Bereitschaft, dort pfarramtlich zu wirken.
– Die EKD bekennt sich erneut zu den zentralen protestantischen Kernaussagen über das eine pastorale Amt (CA V und CA VII), die Freiheit der Verkündigung und die Unabhängigkeit (Weisungsfreiheit) des Dienstes.
– Das öffentliche Dienstrecht (Beamtenstatus) wird beibehalten.
– Die Pfarrhäuser werden zeitgemäß modernisiert.
– Vor allem anderen aber wird endlich die Grundfrage geklärt, ob man entweder Gemeindepfarrstellen künftig wieder als Amt anzuerkennen bereit ist (d.h. Verzicht auf Versetzungen, Weisungsbefugnis, äußere Eingriffe) oder ob man stattdessen von kirchlicher Dienstleistung von Angestellten sprechen will, dann aber unter Garantie von 38,5 Wochenstunden, Überstundenausgleich, Urlaubsanspruch, freien Tagen, Verzicht auf Aufstellungspredigten etc.

Eine Strategie, die aus beiden Systemen die jeweiligen Nachteile für die Pfarrerschaft herauspickt, wird scheitern.


Literatur:

EKD (Hg.), Kirche der Freiheit, Perspektiven für die Evangelische Kirche im 21. Jh., Hannover 2006
EKD (Hg.), In die landeskirchlichen Listen eingetragene Studierende der ev. Theologie, Hannover 2012
Hirschman, Albert O., Abwanderung und Widerspruch. Reaktionen auf Leistungsabfall bei Unternehmungen, Organisationen und Staaten, Tübingen 1974
IWS Marburg, Antworten – Fragen – Perspektiven. Ein Arbeitsbuch zur Pastorinnnen- und Pastorenbefragung in der ev.-luth. Landeskirche Hannovers, Hannover 2005
Kamann, Matthias, Protestanten in Deutschland droht Pfarrermangel, Die WELT, 18.9.2012
Karle, Isolde, Der Pfarrberuf als Profession, Eine Berufstheorie im Kontext der modernen Gesellschaft, Stuttgart 2008
Wolfes, Matthias, Theologiestudium und Pfarramt, Hannover 2000


Anmerkungen:

1 Matthias Wolfes, Theologiestudium und Pfarramt, Hannover 2000.
2 So immerhin ein Kirchenamts-Präsident auf einer öffentlichen Tagung in Loccum.
3 U.a. Antworten – Fragen – Perspektiven, 23.
4 Ebd., 7.

 

Über die Autorin / den Autor:

Pfarrer Andreas Dreyer, Jahrgang 1962, Vorsitzender des Hann. Pfarrvereins, stellv. Vorsitzender des Hann. Pastorenausschusses, Mitglied im Vorstand des Pfarrverbandes sowie der Gesamtpfarrvertretung der Konföderation evang. Kirchen in Niedersachsen, Gemeindepastor in Landesbergen (bei Nienburg).

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 2/2013

15 Kommentare zu diesem Artikel
16.02.2019 Ein Kommentar von Martin Schindel Ich kann dem Autor nicht folgen - selbst sehr unzufriedener und über meine Kirche äusserst ärgerlicher Landpfarrer, sehe ich die Dinge doch etwas anders. Für meine Wahrnehmung ist der - gut recherchierte und sachlich völlig richtige - Beitrag des Kollegen aus der Sicht eines Pfarrers geschrieben; die Sicht eines Abiturienten, einer Konfirmanden ist völlig anders, glaube ich. Wir haben - als evangelische Kirche - weitgehend unser Milieu verloren; letztes Aufbäumen waren die vielen, die (wie ich) aus der Friedensbewegung der Achtziger in die Pfarrämter drängten, weil wir die Gesellschaft, die Kirche, den Glauben verändern wollten. Aus diesem Milieu stammten die meisten Studierenden in den Achtzigern - diese gesellschaftlichen Bewegungen gibt es in dieser Form aber nicht mehr. Und Kirche wird - grösserenteils zurecht - von Jugendlichen als irrelevant in der öffentlichen Diskussion erlebt. Und: Die wenigen, die evangelische Theologie studieren mit dem Ziel, PfarrerIn zu werden, stammen heute größerenteils aus dem evangelikalen Milieu - mit der Aussicht auf solche KollegInnen hätte ich 1984 auch nicht Theologie studiert, sondern gleich Soziologie und Philosophie. Wir haben - als ev. Kirche - seit wenigstens 30 Jahren das intellektuelle Bürgertum verloren, aus dem der Grossteil der Studierenden stammte, auch schon in den Fünfzigern und Sechzigern. Wir hatten sehr viele Jahre dieser Bevölkerungsgruppe nichts zu bieten - und sollten uns darum nicht wundern, dass sie gegangen sind, und ihre Kinder auch. Wenn wir als Kirche weiterhin den einzigen Schwerpunkt legen auf die individuelle Seelsorge, wenn es keine Möglichkeit gibt (wie bislang), nicht geeignete KollegInnen aus Gemeinden auch gegen ihren Willen zu entfernen, wenn wir es nicht schaffen, grundlegend umzusteuern - dann wird es uns gehen wie der SPD: Wir schauen noch ein paar Jahre lang unserem eigenen Untergang zu, und dann macht der letzte das Licht aus. Wir sind selbst verantwortlich dafür!
23.01.2019 Ein Kommentar von O Trefflich analysiert, leider sehe ich nach wie vor keine wirkliche Bewegung bei der EKD zu dem Thema außer irgendwelche merkwürdig anmutenden Kampagnen. Ob diese junge Leute begeistern können? Vielleicht sind die Zeiten der Staatskirchen auch einfach vorbei...
23.01.2019 Ein Kommentar von O Trefflich analysiert, leider sehe ich nach wie vor keine wirkliche Bewegung bei der EKD zu dem Thema außer irgendwelche merkwürdig anmutenden Kampagnen. Ob diese junge Leute begeistern können? Vielleicht sind die Zeiten der Staatskirchen auch einfach vorbei...
16.11.2014 Ein Kommentar von Pfarrer in Württemberg Die Fakten liegen seit Jahren auf dem Tisch und A. Dreyer hat sie gezielt und gut zusammengefasst. Die beigefügten Kommentare haben die zu ergänzenden Dinge ergänzt. Vielen Dank dafür, nur der Artikel ist jetzt bald zwei Jahre alt... ... und irgendwie bekommt man in der täglichen Praxis den Eindruck, man sei bei Büchners "Dantons Tod". Die Wahrheit ist laut heraus in den Raum geschrien, aber es ändert sich nichts. Doch: Kirche zentralisiert sich zusehens und die Aufgabenfülle wächst täglich ... Schade, wie wenig ernst echte Probleme und Nöte bei Kirchenleitungen genommen zu werden scheinen. Aber wie sagt mein Schwager immer: "Was schimpfst Du? Dein Laden denkt und plant doch in Äonen!"
19.05.2014 Ein Kommentar von Bernd Kehren Wenn ich mir die Diskussionen der letzten Jahre in der ev. Kirche im Rheinland anschaue, dann bleiben vier Faktoren unberücksichtigt: Zum einen die Bevölkerungsstatistik, zum anderen die Wohlstandsentwicklung, zum dritten die fehlende Personalplanung und zum vierten fehlendes wirtschaftliches Denken. Die Wohlstandsentwicklung führte dazu, dass Kirche eine ganze Zeit lang in einem erheblichen Maße Personal einstellen konnte. Im Rheinland spricht man daher vom "dagobertinischen Zeitalter". Die Bevölkerungsstatistik macht in Nachhinein deutlich, warum in den geburtenstarken Jahrgängen so viele Theologiestudierende eingestellt werden konnten. Mangelndes wirtschaftliches Denken führte dazu, dass zunächst einmal niemand genau nachrechnete, welche Kosten dieses Einstellungen irgendwann einmal im Blick auf Pensionen hervorrufen würden. Ob man mit der steigenden Lebenserwartung und den damit verbundenen steigenden Kosten für die Beihilfe rechnen konnte, möchte ich hier nicht behaupten. Allerdings hatte sich eingebürgert, auf die bösen großen internationalen Firmen zu schimpfen, die aufgrund finanzieller Notlagen und wirtschaftlicher Entwicklungen Arbeitnehmer entlassen mussten. Diesen Vorwurf wollte man sich nicht machen lassen. Man hätte sich ja auch an Josef in Ägypten orientieren können: Der legte in den guten Jahren zurück, um später nicht nur selber durch die schlechten Jahren kommen, sondern auch anderen Bedürftigen dabei helfen zu können. Die Kirche machte es genau anders herum: Sie schimpfte auf eine Wirtschaft, die auf hemmungslose Expansion und wirtschaftliches Wachstum setzte, und traf gleichzeitig wirtschaftliche Entscheidungen, die genau dieses wirtschaftliche Wachstum zur Voraussetzung hatten. Beispiel aus meinem Heimatstadt: Jahrelang wurden die Gelder für die Baurücklage für das "Haus der Kirche" als zentralem Verwaltungsgebäude in der Innenstadt in den Gemeinden der drei Essener Kirchenkreise für die Jugendarbeit ausgegeben. Zweifellos ein guter Zweck. Als dann die Baurücklage für die Renovierung dieses Hauses gebraucht wurde, war sie nicht mehr im nötigen Umfang da. Das Haus musste verkauft werden. Seitdem wird das nötige Verwaltungsgebäude teuer gemietet. Ebenso wurde mit der Pensionsrücklage verfahren. Man sah es als unsozial an, riesige Summen anzuhäufen, aus denen einmal die Pensionen bezahlt werden können, gab einen Teil dieses Geld für gute Zwecke in der ganzen Welt und der eigenen Kirche aus und vertraute darauf, dass die wirtschaftliche Entwicklung, der Heilige Geist oder sonst wer den Fehlbetrag (sofern man sich darüber überhaupt Rechenschaft ablegte) schon ausgleichen könnte. Dass die Kirche einmal zahlenmäßig abnehmen könnte, dass die Zinsentwicklung nicht immer steigen würde, dass man das zweckgebundene Geld einmal brauchen würde: Daran dachte man nicht. Und weil es keine Personalplanung gab, fiel auch niemandem auf, wie viele junge Theologen die Presbyterien in einem überregional nicht koordinierten Wahlverfahren in Pfarrstellen wählten, und wie viele längst gewählte und auf Lebenszeit verbeamtete Pfarrerinnen und Pfarrer keine Pfarrstelle mehr abbekamen. Weil man sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollte, den man der Wirtschaft in vergleichbaren Situationen machte, wurden diese Menschen auch nicht nach drei Jahren in den Ruhestand versetzt, sondern durch Beschäftigungsaufträge bis an die Pensionsgrenze gebracht. Damit trugen sie zu einem erheblichen Teil zur Entlastung der PfarrstelleninhaberInnen bei: Pro Kirchenkreis bis zu vier zusätzliche Theologinnen! Zwar gab es bei jedem dritten Stellenwechsel ein Stellenbesetzungsrecht der Landeskirche; dieses wurde aber entweder nicht wahrgenommen oder aber durch das wählende Presbyterium so lange unterlaufen, bis das Landeskirchenamt entnervt aufgab und der Wahl des Wunschkandidaten zustimmte. Auf diese Weise wurden nicht nur wesentlich mehr Pfarrerinnen und Pfarrer auf Lebenszeit verbeamtet, als es das System Landeskirche langfristig verkraftete, es geschah auch noch in einem relativ kurzen Zeitraum. Das bedeutet: Alle diese PfarrstelleninhaberInnen würden auch innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums von wenigen Jahren mit ihrer Pensionierung wieder aus dem Dienst ausscheiden. Mit anderen Worten: Die Kirche ging durch diese übermäßigen Verbeamtungen finanzielle Verpflichtungen ein ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, wann und wie sie diese finanziellen Verpflichtungen würde ausgleichen können. Nach außen steigerte dies (neben der gesellschaftlichen Situation: Friedensbewegung, Kirchentage...) die Attraktivität des Pfarrberufes und trug zu zu einem Höchststand an Theologiestudierenden bei. Die Lage spitzte sich unaufhaltsam zu, ohne dass man dies genügend deutlich merkte. Daher nahm die Personalabteilung der Landeskirche immer noch Interessierte auf die Liste der Theologiestudierenden auf, stellte immer noch fleißig Vikarinnen und Vikare ein, verbeamtete sie auf Probe und gab ihnen damit das Versprechen, sie auch einmal zunächst auf Widerruf und dann auf Lebenszeit zu verbeamten. Diese Problematik ist schon explosiv genug. Wenn dann aber eine drastische Verlängerung der Lebenszeit hinzukommt, gleichzeitig die Zinsen für die (zu niedrigen) Rücklagen auf ein Niedrigniveau sinken, wird die Lage katastrophal. Wie hat die Kirche im Rheinland reagiert? Zunächst hat sie die Kosten für die Pfarrerinnen und Pfarrer für die Gemeinden transparent gemacht: Ein nennenswerter Anteil der Pfarrerkosten wurde nicht mehr durch eine anonyme allgemeine Pfarrbesoldungspauschale gedeckt, sondern den Gemeinden direkt in Rechnung gestellt. Die Gemeinden reagierten darauf mit einer Welle von Pfarrstellenstreichungen. Das war ein Schock für die Vikarinnen und Vikare. Die Landeskirchen reagierten unterschiedlich. Die benachbarte westfälische Landeskirche machte einen drastischen Schnitt, der zum Teil zu erheblichen Härten führte. Immerhin ermöglichte das den immer noch relativ jungen Theologinnen und Theologen, beruflich umzusteuern. Damit sank bereits die Attraktivität des Theologiestudiums beträchtlich. Die rheinische Kirche ging einen anderen Weg, richtete auf fünf Jahre befristete Sonderdienststellen ein, mit denen Pfarrstellen weitere entlastet und besondere Projekte angestoßen werden sollten. Das entschärfte die Situation eine Zeit lang, entlastete die Gemeinden und Kirchenkreise zwar nicht finanziell, aber doch in ihrer Arbeit, ließ aber die Betroffenen immer älter werden. Nur zum Teil gelöst wurde das Problem des ungesteuerten Zugangs zum Pfarrberuf. Ein Zeit lang ging das Konzept auf; für einige Jahre konnten bis zu 85 Prozent eines Jahrgangs in Pfarrstellen oder einen weiteren Sonderdienst vermittelt werden. Dann spitzte sich die Lage wieder zu. Mangels wirtschaftlichen Denkens wurde immer noch kein fester Schnitt gezogen. Aus den immer noch scheinbar unermesslichen (und doch jetzt schon zu geringen) Rücklagen wurde durch Vorruhestandsregelungen die Quote von 85 Prozent gehalten. Die rheinische Kirche war immer noch nicht in der Lage, die nötige wirtschaftliche Entscheidung Entscheidung zu treffen, den Betroffenen die Wahrheit zu sagen und den nötigen Schnitt zu machen. Jetzt kamen zwei verhängnisvolle Wirkungen zusammen: Durch die für die Gemeinden finanziell transparentere Pfarrstellenfinanzierung wurden Pfarrstellen abgebaut und durch die Vorruhestandsregelungen war der Pfarrstellenmarkt zusätzlich auf mehrere Jahre leer gefegt. Wieder wurde das Theologiestudium unattraktiver. Jetzt kam der dritte Schritt: Zum ersten Mal wurde ein versicherungsmathematisches Gutachten in Auftrag gegeben. Nun wurde deutlich, dass einerseits die Pensionskasse durch ein mehrere hundertmillionenschweres strukturelles Defizit belastet war und dass andererseits der PfarrerInnenmangel durch die inzwischen gealterten Sonderdienstlerinnen nicht aufgefangen werden kann: Sie würden bei Eintritt des Mangels selber das Ruhestandsalter erreichen. In der Folge wurde beschlossen, das Sonderdienstprogramm sofort zu stoppen, ohne dass die Betreffenden eine reelle Chance auf eine Pfarrstelle bekommen sollten. Die Not war für die Landeskirche so groß, dass sie einen jahrelangen Einstellungsstopp und einen linearen Abbau der Pfarrstellen erwog. Dann fiel den zuständigen Ausschüssen auf, dass in den nächsten Jahren weniger Menschen pensioniert würden als bei einem linearen Pfarrstellenabbau nötig wäre: dies würde nur zum Aufblähen des Wartestandes führen. Seitens des theologischen Nachwuchses wurde vorgerechnet, dass von den ca 1950 Gemeindepfarrstellen (Stand: ca 2004) bei einem entsprechenden Abbau im Jahre 2030 nur noch ca 500 besetzt wären. Mit spitzem Griffel wurde berechnet, dass es möglich sein sollte, jedes Jahr 20 Personen ins Pfarramt zu lassen, zunächst durch überplanmäßige sogenannte mbA-Stellen ("mit besonderem Auftrag"). Zugleich wurden harte Maßnahmen zur Verringerung der Personenzahl im Wartestand getroffen. Die Attraktivität des Pfarrberufes und die Bereitschaft zum Theologiestudium dürfte damit ihren absoluten Tiefpunkt erreicht haben. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die Verletzungsgeschichte der betroffenen Theologiestudierenden, die nicht mehr ins Vikariat kamen, ebenso wie die Verletzungsgeschichte der betroffenen VikarInnnen und SonderdienstlerInnen, die nach erfolgreichem Abschluss der theologischen Ausbildung und des Probediensts keine Pfarrstelle mehr bekommen konnten. Was hätte die Kirche einem Unternehmen in der freien Wirtschaft angesichts der eklatanten wirtschaftlichen und personalplanerischen Maßnahmen nicht alles ins Stammbuch geschrieben! Was _hat_ sie nicht alles alles entsprechenden Firmen etwa in der Stahlkrise ins Stammbuch geschrieben. Hat sie es besser gemacht? Aus der Not heraus hat die rheinische Kirche endlich nachgerechnet, um die nötigen wirtschaftlichen und personalplanerischen Entscheidungen treffen und sie umsetzen zu können. Als ein davon selbst Betroffener ist es bitter zu erleben, wie diese Entscheidungen von einigen Veröffentlichungen im Pfarrerblatt und anderswo mit der alten sozialromantischen Leier infrage gestellt werden. Stattdessen solle die Kirche ihr Handeln noch einmal _theologisch_ bedenken. Der Rheinischen Kirche kann man sicherlich alles vorwerfen, nicht aber, dass sie zu wenig theologisch oder sozial gedacht habe. Das Problem ist viel mehr: Sie hat zu wenig gerechnet - sie hat nicht wirtschaftlich gedacht. Sie hat das Gleichnis vom Kornbauern zum Vorbild genommen ohne daran zu denken, dass vielleicht auch Josef in Ägypten ein theologisch und sozial verantwortetes Vorbild sein könnte. Die Kirche hat durch ihre unterfinanzierten Pensionszusagen in den guten Zeiten einen Kredit aufgenommen, den sie nun in wirtschaftlich schlechteren Zeiten nur mit äußerster Mühe und dem Abbau wichtiger und erfolgreicher Arbeitsbereiche zurück zahlen kann. Inwieweit sich die Entwicklung dieser Fehlentscheidungen und der Versuche, sie zu korrigieren, auf andere Landeskirchen übertragen lässt, kann ich nicht beurteilen, dazu fehlt mir der Überblick. Sicherlich hat diese Entwicklung einer der großen Landeskirchen der EKD auch Folgen für die anderen Landeskirchen. Ob die Prognosen für 2030 alle stimmen? Wer will das sagen? Fest steht aber jetzt schon, dass die Kinder, die bis jetzt nicht geboren wurden, im Jahre 2030 auch keine Kirchensteuer zahlen werden. Fest steht schon jetzt, dass ein großer Teil jener der treuesten Kirchenmitglieder im Rentenalter bis 2030 verstorben sein und ein weiterer Teil das Rentenalter erreicht haben wird. Fest steht auch, dass die Bindungen an die Kirchen lockerer geworden sind und die Zahl der Kirchenaustritte eher steigen werden, erst recht, wenn Kirche ihre Angebote unter öffentlicher Anteilnahme zurückfahren muss. Damit lassen sich reelle Szenarien für die Kirchenfinanzierung hochrechnen. Und es gibt genügend biblische Gleichnisse und Geschichten, die zu sorgfältigem Rechnen und wirtschaftlich verantwortlichem Handeln auffordern. Wer von den lauten kirchlichen Sozialromantikern macht sich endlich einmal daran, _darüber_ theologisch reflektiert nachzudenken? Fazit: Wirtschaftliche und personalwirtschaftliche Fehlentscheidungen und die Folgen der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland haben zumindest einige Landeskirchen in der EKD in eine tiefe Krise und das (Voll-) Theologiestudium auf einen Tiefpunkt geführt. (Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass auch andere Berufszweige wie Kirchenmusiker, Küster, Sozialarbeiter, Verwaltung ebenfalls bluten mussten.) Die betreffenden Landeskirchen unternehmen größte Anstrengungen, diese Krisen halbwegs heil zu überstehen. Der Mangel an ausgebildetem theologischen Personal lässt sich inzwischen zahlenmäßig im Zeitablauf relativ genau bestimmen. Damit lässt sich auch eine relativ sichere Aussage über den kommenden Bedarf in seinem Zeitablauf machen. Das vor uns liegende Tal wird den Pfarrberuf sicher noch etwas anstrengender machen. Dennoch ist und bleibt er einer der schönsten und freiheitlichsten Berufe, die man sich denken kann. Warum sollte nicht das Wunder gelingen, mit einer transparenten Darstellung des Bedarfs einerseits und der schönen Seiten des Berufes andererseits dazu beitragen, dass junge Menschen wieder die Berufung hören? Ein transparenter und ehrlicher Umgang mit den Ursachen ist die Voraussetzung dafür, dass mögliche Interessenten für den Pfarrberuf der Bedarfsrechnung für die nächsten Jahre Glauben schenken. Nachtrag: Auch dieses Tal wird bald durchschritten sein. Hoffentlich denken die Verantwortungsträger daran, dass auch nach den dann kommenden guten Jahren auch wieder schlechte Jahre kommen können. Damit sich dieses selbst verschuldete Desaster nicht wiederholt.
21.04.2013 Ein Kommentar von Ein Gemeindepfarrer aus der EKHN In ungeschminkter Weise analysiert Andreas Dreyer die Situation und gibt ein realistisches Bild der Lage. Danke für diesen Artikel! Hinzu kommt allerdings noch etwas: In unserer Landeskirche Hessen-Nassau praktizierte man 2009 / 2010 die Übertragung des Gemeindepfarramtes auf zehn Jahre zu begrenzen; aber auch "Altfälle" mit einst unbefristen Inhaberschaftsübertragungen waren betroffen. Man durfte sich beim Verbleibenwollen auf der Stelle für weitere fünf Jahre der Weiterbeschäftigungsentscheidung durch den Kirchenvorstand stellen. Mal abgesehen davon, dass der Kirchenvorstand nicht der „Aufsichtsrat“ über die Arbeit der Pfarrperson ist, hat er schon gar nicht die Arbeitgeberfunktion, die ihm hier zufiel. Das geheime „Wahlverfahren“ war so angelegt, dass jede Enthaltung den „Nein-Stimmen“ zugerechnet wurde und jede nicht anwesende Person auch als „Nein-Stimme“ gewertet wurde. Falls es dann zu einer „Abwahl“ kam, musste der Kirchenvorstand zudem keinerlei inhaltliche Begründung für seine Abwahlentscheidung vorbringen. Nur durch ein Verfahren beim kirchlichen Verwaltungsgericht konnte dieses unselige Gebaren gestoppt werden. Die Richter sahen darin einen eklatanten Verstoß gegen die Fürsorgepflicht der Kirchenleitung. Zur Stabilisierung oder Steigerung der Nachwuchszahlen hat dieses Verfahren in keinster Weise beigetragen – im Gegenteil: Viele Nachwuchsinteressierte oder junge PfarrkollegInnen beklagten zu Recht die daraus entstehende Abhängigkeit von Kirchenvorstandsmeinungen oder –interessen, die eine unabhängige Amtsführung konterkarierte. Die Situation einer Abwahl wäre oder war mit weiteren Problemen behaftet: Reputationsverlust der Pfarrperson mit entsprechend schlechteren Ausgangssituationen bei Neubewerbungen, existentielle Konsequenzen nicht nur für die Pfarrperson, sondern auch für die ganze Familie durch Umzug und damit evtl. Schulwechsel der Kinder, Arbeitsplatzverlust des Ehepartners, finanzielle Einbußen etc. Da kann man verstehen, dass damals viele gescheut haben, den Gemeindepfarrdienst anzutreten oder ihre Gedanken darauf gerichtet haben, wo oder wie sie ihn weiterführen.
19.04.2013 Ein Kommentar von Hans-Eberhard Dietrich Deutsches Pfarrerblatt 2/2013 „..und wir dachten, wir hätten ein Amt errungen“. Beitrag von Andras Dreyer Scharfsinnig und belesen stellt Andreas Dreyer das Wegbrechen des Pfarrernachwuchses in der EKD dar. Man sollte aber einen weiteren Mosaikstein hinzufügen: Die durch den Wartestand und die Ungedeihlichkeit im Pfarrerdienstrecht ausgehende Rufschädigung. Sie war freilich bisher noch nie Gegenstand irgendeiner Untersuchung. Warum wohl nicht? Diese Rufschädigung war 60 Jahre lang ein Tabuthema. Die Betroffenen trauten sich nicht darüber zu reden, die Kollegen schwiegen verschämt und redeten nur hinter vorgehaltener Hand darüber. „Es muss ja was dran sein, wenn ein Pfarrer seine Stelle verliert und keine Gründe genannt werden, der muss doch Dreck am Stecken haben“, so des Volkes Meinung. Erst mit Beginn des neuen Jahrhunderts wurde dieses Tabu dank des Mutes des Deutschen Pfarrerblatts gebrochen. Die Betroffenen versteckten sich nicht mehr, wehrten sich juristisch, suchten zum Entsetzen der Kirchenleitungen die Öffentlichkeit. Das hatte allerdings zur Folge, dass das Ansehen nicht nur der Kirche sank, sondern auch die Attraktivität des Pfarrberufs schwand. Wer ergreift schon einen Beruf, bei dem er schutzlos Mobbing ausgesetzt ist? Der in dieser Zeitschrift geführte Diskurs zum Wartestand führte allerdings nicht zu einer Korrektur. Der Staat, bei dem die Kirche in der Zeit des Dritten Reiches ihr Gesetz weitgehend abgeschrieben hatte, beeilte sich nach dem Krieg rasch, diese Bestimmungen aufzuheben, während die Kirche jetzt erst recht flächendeckend den Wartestand einführte und bis heute munter fortschreibt. Hatte es sich doch geradezu als ideales Instrument der Stellenbewirtschaftung (siehe z.B. Dt.PfBl. 2/2010 „Wartestand – ein unrühmliches Kapitel kirchlicher Personalplanung“) herausgestellt und es wird sich in Zukunft dazu eignen, die fragwürdigen Ziele einer „Kirche der Freiheit“ durchzusetzen.
17.03.2013 Ein Kommentar von Sauerberg Als Pastor mit Praxiserfahrung seit 1983 ein paar Anmerkungen zum Artikel: gut beobachtet, der Autor hat hingesehen: Residenzpflicht empfinde ich auch als Problem. Und niemand geht da ernsthaft heran, obwohl die Pastorate für Gemeinden sicher auch kein lohnendes Geschäft sind. Unfair auch, dass es immer wieder Ausnahmen gibt, die aber nicht rechtlich verbindlich geregelt wurden, sondern nach Gutsherrenart hingemauschelt. Dienstzeit: Es ist eine Profession, die wir betreiben. Dienstzeitregelungen nähmen dem Beruf ein Teil seines Charakters (und es gibt auch säkulare Professionen, die ihren Alltag selbst organisieren müssen). Aber um Arbeitsverdichtungen entgegen zu wirken, sollte es ein paar Eckpunkte geben: Notfallseelsorgebereitschaft für 24 Stunden für einen Kirchenkreis z.B. durch freien Tag ausgleichen. Gehalt: Keine Abkoppelung vom öffentl. Dienst. Keine Sonderopfer Pfarramt mit moralischer Attitüde einfordern. Schluss mit Teilzeitpfarrstellen auf Gemeindebene. Wo professionell ohne Dienstzeitregelung gearbeitet wird, kann es keine Teilzeit geben. Das ist schlicht Ausbeutung. Das Studium der Theologie selbst: es ist merkwürdig irrelevant geworden, weil es sich abschottet. Wer heute an der Uni erhofft, das die Theologie den Dialog zu den Sciences sucht, zu Fragen von Physik, Neurowissenschaften, Psychologie, sieht sich enttäuscht. Wenn ein junger Mensch lernt: "Gott ist eine Hirnfunktion", und die Wissenschaft, die von Gott reden will, nimmt das nicht einmal zur Kenntnis, ist das keine Werbung, diese Wissenschaft noch ernst zu nehmen.
09.03.2013 Ein Kommentar von Ein Pastor i. R. Wir haben auch die evangelische Jugend verloren, an die Evangelikalen und an die Freikirchen. Die Bibelschulen haben einen wachsenden Zulauf, während das Hochschulstudium bei Christenmenschen unter dem Generalverdacht der Erlernung des Unglaubens steht. Man bedenke nur den Auszug der landeskirchlichen Gemeinschaften aus dem Gottesdienst und den Gemeindehäusern und die Errichtung eigener Zentren mit Parallelveranstalltungen! Viele Jugendliche mußten seit Jahrzehnten miterleben, wie ihre Diakone, Kirchenmusiker, und Pfarramtssekretärinnen zusammengestrichen, herabgestuft oder gar weggestrichen wurden. Nun sind die Pastoren dran! Alles Aufgrund authoritärer Verordnungen von "Oben", äußerst undemokratisch, normales Arbeitsrecht ignorierend. Die Landeskirchen sind ein undemokratischer, authoritärer, das geltende Arbeitsrecht mit den Füßen tretender und die Ortsgemeinden verachtender Betrieb geworden, an denen MacKenzie und Co mehr gefragt sind, als Bibel und Gebet! Wer heute Theologie studiert, muß sich große Sorgen um seine Zukunft machen und fragen, ob er sich einen solchen Arbeitgeber zumuten will, der ihm nach gelungenem Studium nicht kennen will, oder in unterbezahlte langjährige und rechtlose Hilfsarbeter Positionen zwingt.
04.03.2013 Ein Kommentar von Daniel Renz Der Artikel beschreibt treffend die aktuellen Schwierigkeiten unserer pfarramtlichen Praxis, keine Frage. Nur: Geht der Nachwuchs-Rückgang vor allem darauf zurück? Sooo materialistisch-berechnend denken doch nicht mal wir "Jüngeren" (der Kommentarschreiber ist 30 und seit zwei Jahren Pfarrer z.A.). Und ohne eine Art innere Berufung ging es doch auch in früheren Jahrzehnten nicht. Meine spontane These: Der Pfarrberuf ist schlicht unanschaulich geworden für Jugendliche. Und da kommt man dann nicht unbedingt auf die Idee, Theologie zu studieren …
22.02.2013 Ein Kommentar von Karin Becker Endlich! Danke!
20.02.2013 Ein Kommentar von Gottfried Rösch Im Pfarrersblatt geht es um den Pfarrersblick, ist ja auch wichtig. In dem Artikel sind gute Beobachtungen. Aber es gibt eben auch andere Faktoren. Demographie heißt, dass die Eltern der heutigen 20-jährigen in der BRD oft aus einem anderen Land kommen (30%? bei den noch jüngeren 50%?). Lösung von Fachkräftemangel geht nur über Förderung von Zugewanderten! Sind wir, Kirche, da überhaupt offen dafür? Oder muss man zum Pfarrer richtiger, gebürtiger Deutscher. Schlesier und Sudetendeutsche haben dann wieder Theologie studiert, ja. Mit großem Gewinn für die West-Kirchen. Konfessionslose, Muslime oder Andersreligiöse werden nicht Pfarrer. Russlanddeutsche, Schätzung liegt bei 3-5 Millionen, fühlen sich oft nicht wirklich aktiv dazugehörig. Wurden sie eingeladen? Wurde ihr Nachwuchs aktiv gefördert? Ich kenne einen, der in Petersburg studiert hat, ordinierter lutherischer Pfarrer, der seit 12 Jahren als ungelernter Arbeiter in Bayern lebt. Ein anderer ging letztes Jahr zurück in die Ukraine. Was bieten wir deren Kindern?! Ist die Kirche eine migrationsfreie Zone?! Dann ist sie in absehbarer Zeit in der BRD keine relevante Größe mehr, und Bildung mit Horizont wird man woanders suchen. Schlimmstenfalls wird die Kirche sogar reaktionär, und es sammeln sich bei ihr die, die nicht von Migranten belästigt werden wollen. Schutzraum für Nationale ...
19.02.2013 Ein Kommentar von Karl Reicherter, Pfr.i.R. Eine sehr umfassende Analyse der Komponenten, die zur nachlassenden Attraktivität des Pfarrberufes geführt haben. Meines Erachtens müssten in diesem Zusammenhang aber auch der Wartestand und die Ungedeihlichkeitsverfahren - nach neuem Sprachgebrauch: Verfahren weggen nachhaltige Störungen -, die in einigen Landeskirchen üblich waren und sind genannt werden. Sie haben mit zu einer Verunsicherung beigetragen.
19.02.2013 Ein Kommentar von Ingrid Overath Ich, geb. 1938, verheiratet mit einem Emeritus, möchte nur 2 Dinge anmerken. 1. Ich habe es, vom ersten Tag der Pensionierung meines Mannes an, genossen, endlich in einem Privathaus zu wohnen und nicht andauernd ans Telefon oder an die Haustür springen zu müssen. Von den Erwartungen, die ich als Pfarrfrau zu erfüllen hatte, mal ganz zu schweigen. Aber ich wusste ja als Pastorentochter, was auf mich zu kam. 2. Ich habe mich ziemlich geärgert, als wir auf unser für einen Hauskauf angespartes Vermögen doch ziemlich hohe Vermögenssteuern zu zahlen hatten, während ein eigenes Haus von gleichem Wert steuerlich viel günstiger angesetzt worden wäre. Ja, die Residenzpflicht! Außerdem war die Miete für das Pfarrhaus auch nicht niedrig. Als Pensionär erhielt mein Mann 1998 monatlich sogar gut 100 DM mehr als für seinen aktiven Dienst, als die Mietsumme einbehalten wurde und für den Mietwert Steuern zu zahlen waren. Dennoch ist einer unserer 3 Söhne Pfarrer geworden. Er verdient allerdings wesentlich weniger als seine beiden Brüder - Diplomingenieur und IT-Dezernent - die auch noch sehr viel kürzer studiert haben. Er hofft, dass er seinen 3 Kindern eine angemessene Ausbildung ermöglichen kann und dass ihn nicht Altersarmut dereinst erwartet. Es gibt anscheinend doch noch andere Gesichtspunkte, die die Berufswahl bestimmen, als die in dem obigen Artikel angeführten. Ingrid Overath.
18.02.2013 Ein Kommentar von Grit Belkot Ein sehr interessanter, mutiger, fortschrittlicher gut recherchierter Artikel. Gerade bei uns auf dem Lande ( Niedersachsen) werden soviele Gemeinden zusammengefasst, das die Pastoren/innen, das alles gar nicht mehr schaffen können, der persönliche Kontakt geht verloren. Geistliche Führer haben eine Vorbildfunktion, gerade auf dem Lande, wo die soziale Kontrolle noch funktioniert, deswegen stehen sie sehr unter Druck und Beobachtung.Übrigens fasst auch die katholische Kirche hier weiträumig ihre Gemeinden zusammen, was zur Folge hat, das vielerorts das Gemeindeleben schlichtweg erstirbt. Sternsinger gabs hier dieses Jahr gar nicht mehr, nur noch auf Vorbestellung im katholischen Pfarramt.Glückwunsch Gerr Dreyer, sehr gelungener Artikel. Hoffentlich nehmen sich die Verantwortlichen das mal zu Herzen.
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