Paul Gerhardts Liedtexte sind unbestritten von einer starken und vielschichtigen Psychologie durchzogen. Jürgen Loest verbindet sie mit seinen Erfahrungen aus der Notfallseelsorge und entdeckt problematische, aber auch befreiende Seiten in Gerhardts Poesie.1


1. »Ich danke zuvörderst für alle seine Güte und Treue«

1676: Paul Gerhardt verfasst ein »Testament«2: »Nachdem ich nunmehr das 70. Jahr meines Alters erreicht, auch dabei die fröhliche Hoffnung habe, daß mein lieber frommer Gott mich in kurzem aus dieser Welt erlösen und in ein besseres Leben führen werde, als ich bisher auf Erden gehabt habe: so danke ich ihm zuvörderst für alle seine Güte und Treue, die er mir von meiner Mutter Leibe an bis auf jetzige Stunde an Leib und Seele und an allem, was er mir gegeben, erwiesen hat.«
Nur neun Jahre ist es her, da stand er allein. Arbeitslos. Er war selbst daran schuld. Denn stur war er, wenn es um das Bekenntnis ging. Dem König war das zu weit gegangen. Obwohl er und auch seine Frau die Lieder Gerhardts schätzten, wurde er entlassen. Diese Situation hatte Gerhardt zu verantworten. Aber das Andere? Seine Frau Anna Maria musste er beerdigen. Mit 48 Jahren hatte er spät geheiratet. Eine Tochter der Familie, bei der er als Hauslehrer angestellt war. Vier der fünf Kinder starben früh. Nur Paul Friedrich war übrig geblieben.
1668: 61 Jahre alt, entlassen, die Frau tot, 4 Kinder tot, mit dem sechsjährigen Paul Friedrich allein, seine verwitwete Schwägerin versorgt den Haushalt. Mit der Restfamilie und einer riesigen Bibliothek kommt er nach Lübben. Auch die Schwägerin stirbt, ebenso noch die letzte verbliebene Schwester. Das Familiennetz durch den Tod zerstört. Eine Situation, die er aus den Anfängen seines Lebens kannte: als er 12 war, starb der Vater, zwei Jahre später die Mutter. Und dennoch, fast wie eine Lebensbilanz, sagt er: »Ich danke zuerst für Gottes Güte und Treue.« Er spricht von der fröhlichen Hoffnung auf einen lieben frommen Gott, der in ein besseres Leben führen wird.
Wie ein Glaubenshaus aus Liedern trägt, habe ich bei einer alten Aussiedlerin erlebt. 16 Schwangerschaften, 8 Kinder geboren, 3 beerdigt. Verhungert, Unfall, Krankheit, der Mann gestorben, das Augenlicht wird schwächer. Wenn sie auf das Leid zu sprechen kam, sagte die alte Frau immer: »Wen Gott liebt, den züchtigt er.« Sie lebte in ihren alten Liedern. »Wenn das Kleinchen reinkommt« – sie lachte und zeigte auf ihren Ur-Urenkel. Die großen Trecker hat sie gefahren in Russland. Am Sterbebett sagt mir ein junger Arzt, sie würde nicht mehr viel mitbekommen. Ich stimme ein Lied aus dem »Geistlichen Liederschatz« an. Bei der vierten auswendig gesungenen Strophe steht er staunend am Bett. Bei ihr wie bei Gerhardt: ein Glaubenshaus aus Liedern, das mir selbst in einigen Teilen vertraut, in anderen fremd ist. Aber ich spüre, wie in diesem Haus aus Liedern für diese Menschen (!) der Tod an Kraft verliert.


2 »Das geht heute nicht mehr!« – zum Traditionsproblem

»Glaubenshäuser« können wir wie Kirchen betreten. Manches berührt uns, anderes bleibt fremd. Die alten Lieder wären keine Hilfe mehr, sagen viele. Meine Erfahrung aus Seelsorge, Gemeinde, 17 Jahren Grundschulunterricht ist eine andere.

2.1. Geistliches Singen?
Ohne die Melodien von Crüger und Ebeling, ohne die Choralsätze Bachs, wären mir Gerhardts Gedichte nicht vermittelt worden. Oft helfen die Melodien meinem Verstand über manche textliche und gedankliche Schwierigkeit hinweg. J.G. Ebeling schreibt, dass »ein gutes, geistreiches Lied mit einer angenehmen und wohl disponierten Melodie gleichsam eine doppelte Schnur ist, welche die Andacht und den Eifer des inneren Menschen mit dem äußerlichen desto mehr und fester verbindet«.3 Verbindungen, zumal festere, wachsen durchs Singen. Wenn ich Kinder bei der Taufe sehe, sehe ich große Augen und oft lachende Gesichter beim Singen. Sehe ich sie ein paar Jahre später in der 3. Klasse wieder, ist das weltliche und geistliche Liedgut überschaubar. Es sei denn, sie waren im Chor oder im Kindergottesdienst. Wir haben es nicht mit einem Traditionsabbruch, sondern mit Traditionsverweigerung zu tun.4 Dabei könnte man von Gerhardt wie von Bach in einer Zeit, in der psychische Erkrankungen besonders bei jungen Menschen zunehmen5, viel lernen. Zwei Männer, die Traumata und Trauersituationen kreativ bewältigt haben. Beide waren früh Vollwaisen6, beide hatten viele Kinder und die Frau zu beerdigen, beide Schwierigkeiten im Berufsleben.
Warum überlassen wir nahezu widerstandslos unsere Kinder einem gigantischen Musikmarkt? Das ist auch eine Frage der Freiheit. Unumstrittenes Lieblingslied meiner Grundschüler ist »Die güldne Sonne«, in Bewegung umgesetzt. Die Verknüpfung mit der Bewegung hat auch traumatherapeutisch ihren Sinn. Seelischer Schreck fährt zuerst in die Glieder.7 Und der verspannte Körper hält nicht selten die Seele fest. Beobachten wir es an uns selbst, was geschieht, wenn wir den ersten Vers mit Körperbewegungen meditieren: das Öffnen des Herzens für das herzerquickende Licht, sich hinlegen, aufstehen, das Gesicht, das Herz zum Himmel öffnen.

2.2. »Was heißt »Wonne«?
Fremd ist Kindern und Erwachsenen der Wortschatz. Die Kinder aus meiner 3. Klasse fragten für die erste Strophe der »güldnen Sonne« folgende Worte nach: güldne, Wonne, unsere Grenzen, herzerquickend, Glieder, darnieder. Kinder sind es gewohnt, mit Worten zu kommunizieren, die sie nicht vollständig verstehen: Wlan, Byte etc. Weckt man Neugier und Entdeckerfreude, ist das Betreten eines fremden Sprachhauses spannend. Eine Hürde für die Choralsprache liegt darin, dass Kinder schon früh eine Sprache erleben, die sie in Aktivität versetzen will. Statistisch gesehen hat ein Mensch bis zu seinem 20. Lebensjahr ungefähr 200.000 Werbefilme gesehen.8 Das Ziel: gehen und kaufen. Choräle haben ein eigenes Sprachhaus ganz anderer Qualität.
In einem Konfirmandenseminar haben wir am Sprachhaus gearbeitet. Die Jugendlichen sollten zunächst ihr Sprachhaus malen: die Hauptworte bilden den Boden, die Verben die Wände, Eigenschaftsworte das Dach. Dann baten wir sie in einem zweiten Schritt ein anderes Sprachhaus zu konstruieren: Worte, die Mitgefühl, Nähe, Liebe, Zärtlichkeit, Hoffnung und Verstehen ausdrücken, Träume. Das ist nicht einfach, denn auch viele religiöse Bilder und Worte sind in der Werbung schon so ausgebeutet worden wie einst Kolonialländer, verwüstet zurückgelassen. Nach dieser Übung versuchten wir uns an einem Choral.
Für Gottes Welt brauchen wir eine andere Sprache. Gerhardt wusste darum. Er war beeinflusst von August Buchner, der zu Gerhardts Studienzeit in Wittenberg Poetik lehrte. Nach ihm soll die Dichtung berichten und lehren, das Gemüt bewegen und erfreuen. Sie ist verborgene Theologie, versüßte Arzenei.9 Gerhardt setzt dies um. Ein Beispiel: In der lutherischen Orthodoxie geht es u.a. darum, sich der göttlichen gubernatio anzuvertrauen. Die actiones hominum sind nur dann gerecht, wenn sie mit dem göttlichen Handeln übereinstimmen. Gerhardt: »Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt der allertreusten Pflege des, der Himmel lenkt. Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.« Aus theologischer Lehre entstehen innere Landschaften.

2.3. Eine fremde Gedankenwelt
Ein kurzer Blick auf das Grundgerüst der Theologie, die Gerhardt prägte. Gott hat Welt und Menschen geschaffen. Der Mensch ist durch die Sünde verderbt: Erb- und die Tatsünden. Er hat seine ursprüngliche Gerechtigkeit eingebüßt und verdient Strafe. Dennoch liebt Gott den leidenden reuigen Sünder. »Das letzte Ziel ..., dem die Schöpfung dient und auf das Gottes Sorge in seiner Vorsehung ausgeht, ist das Heil seiner Erwählten.«10 Die Güte Gottes gilt allen Geschöpfen, sie ist unermessliche Liebe.
Eine der zentralen Fragen ist die Frage nach dem Leid. Warum widerfährt guten Menschen vom guten Gott Böses? Das Gedankengebäude der Orthodoxie (Hutter) hat vier Erklärungen:
1. Wegen des Rests der Sünde, die auch Christen in sich tragen. Ziel ist Buße, Glauben, Erneuerung.
2. Weil Gott will, dass die Gläubigen schon hier Ebenbilder des leidenden und auferstehenden Christus werden.
3. Weil Gott gerade, wenn er die Seinen ins Leiden fallen lässt und ihnen wieder heraushilft, seine Allmacht beweist und
4. weil die Gläubigen gerade im Leiden ein wahrhaftiges Glaubenszeugnis geben.11
Gerhardt schreibt sehr oft so, dass der einzelne sich angesprochen fühlt. Zum einen staune ich, wie Gerhardt Leid bewältigt. Aber dann ist mir dieses Glaubenshaus auch fremd. Jedes Unglück hat seinen Sinn. Gerhardt hat es schwer damit, dass das Vaterherze (den Begriff gebraucht hier Gerhardt öfter)12 Leid zufügt: »Ach liebster Vater, wie so schwer/ ist’s der Vernunft zu glauben,/ dass du demselben, den du sehr/ schlägst, solltest günstig bleiben!/ Wie macht doch Kreuz so lange Zeit!/ Wie schwerlich will sich Lieb und Leid/ zusammen lassen reimen.«13 Die Antwort: »Denn das ist allzeit dein Gebrauch:/ wer Kind ist, muss was leiden;/ und wen du liebst, den stäupst du auch,/ schickst Trauern vor den Freuden,/ führst uns zur Höllen, tust uns weh/ und führst uns wieder in die Höh,/ und so geht eins ums ander.«14 Immer wieder dieser Gedanke: Der Vater, der mich liebt, lässt mich leiden. Die Verantwortung dafür trägt der Mensch. Er ist schuld. (»Schau her, hier steh ich Armer, der Zorn verdient hat«15). Unglück dient zur Strafe, zur Buße, zur Besserung. »Und weil ich ja nach deinem Rat/ hie soll ein wenig leiden,/ so laß mich auch in deiner Gnad/ als wie ein Schäflein weiden,/ daß ich im Glauben die Geduld/ und durch Geduld die edle Huld/ nach schwerer Prob erhalte.«16
Wer sich mit seelischen Verletzungen und ihrer Therapie beschäftigt, dem fällt sofort eine Parallele auf: missbrauchte, misshandelte Kinder und ihre Bewältigungsstrategien. Kinder müssen in solchen Situationen ungeheure Anpassungsleistungen erbringen. Nur mit Dissoziationen, Spaltungen und Doppeldenken können sie die Situation ertragen: der liebe Vater fügt Leid zu. Dissoziation, das Auseinanderreißen von Zusammengehörigem und gleichzeitiger Neuordnung ist eine der erstaunlichen Fähigkeiten der Seele, Unerträgliches zu ertragen. Bevor die Seele zerbricht, werden die Bilder, Gedanken, Erfahrungen zerbrochen.
Die Traumaforscherin Judith Lewis Hermann schreibt17 (und ich lade ein, beim folgenden Zitat das Wort »Kind(er)« durch »Mensch(en)« zu ersetzen und das Wort »Eltern« durch das Wort »Gott«): »Absolute Verzweiflung ... kann kein Kind ertragen. Um sich das Vertrauen in die Eltern zu bewahren, darf das Kind die naheliegendste Schlussfolgerung, dass nämlich die Eltern ... gestört sind, nicht ziehen. Es wird alles tun, um eine Erklärung für sein Schicksal zu finden, die seine Eltern von jeder Schuld und Verantwortung freispricht.« (142) »Unweigerlich kommt es zu dem Schluss, dass das Böse in ihm selbst der Grund für den Missbrauch ist. Missbrauchte Kinder stürzen sich früh auf die­se Erklärung und glauben fest daran, weil sie sich so den Glauben an einen Sinn, Hoffnung und Macht bewahren können: wenn das Kind böse ist, dann sind die Eltern gut.« (145)
Gerhardt: »Kinder, die der Vater soll ziehn zu allem Guten, die gedeihen selten wohl ohne Zucht und Ruten. Bin ich denn nun Gottes Kind, warum will ich fliehen, wenn er mich von meiner Sünde auf was Guts will ziehen?«18
Judith Lewis Hermann schreibt: »Manche (Kinder) greifen zu Bildern von Exkrementen, um ihr inneres Selbstbild zu beschreiben.« (147)19 Paul Gerhardt: »Wir sind an bösen Wunden krank, voll Eiter, Striemen, Kot und Stank.«20 »Wasch ab all unsern Sündenkot«.21
Manche Opfer erzählen, dass sie die Nähe und Zärtlichkeit der Misshandler suchen.22 Das Gedankengerüst von Gerhardts Theologie ist dem von misshandelten Kindern sehr ähnlich. Menschen können damit überleben. Allerdings können auch schwere Krankheitsfolgen und seelische Verwerfungen die Folge sein. Ein Beispiel unter vielen: das Phänomen unerklärlicher körperlicher Wunden, die nicht heilen wollen.23
Auch in der Seelsorge sollte man mit solchen Denkmustern vorsichtig sein. Die alte Frau von der Wolga sagt zu mir nach vielen Kindertoden: »Wen Gott liebt, den züchtigt er«. Als ihre Enkelin ein Kind verliert, versucht sie sie mit ihrer Lebensweisheit zu trösten. Die heult nur und schreit: »Wie kann man nur so gefühllos sein!« Was als gefühllos wahrgenommen wird von der Enkelin, ist nicht gefühllos. Die Frau hatte ein Deutungsmuster, das ihr half. Manches, was man als demütiges Ertragen einordnet, ist nur möglich, weil die Seele gelernt hat, zu trennen.
Ich halte diesen Teil des Gerhardtschen Glaubenshauses für sehr problematisch und in Theologie und Seelsorge für nicht oder nur unter größter Vorsicht aktivierbar, wenn es vorher schon vertraut war.24 Das ändert nichts an manchmal demütigem25 Erstaunen darüber, welches Leid er und andere bewältigt haben.


3. Zugänge zu Freude und Trost

3.1. Innere Bilder und ihre heilsame Kraft
»Wie von treuen Müttern in schweren Ungewittern die Kindlein hier auf Erden mit Fleiß bewahret werden.« »Breit aus die Flügel beide« – Gerhardt setzt Bilder frei, schickt die Seele auf Reisen. In der Behandlung seelischer Verletzungen haben psychodynamische imaginative Verfahren an Gewicht gewonnen.26 Bevor man sich den Verletzungen zuwendet, versucht man Kraftquellen und Gegenbilder zu finden. Eine der hilfreichen Übungen ist die Übung des »inneren Gartens«.27 Die Seele gestaltet sich einen Garten, in den sie sich zurückziehen kann. Gerhardt hat genau dies getan. Erfahrbare Welt, innere Welten, biblische Bildwelten verbinden sich bei ihm zum inneren Garten. »Geh aus, mein Herz, und suche Freud.« Nach den Verwüstungen des 30jährigen Krieges war die Anlage von Gärten ein Stück reales Wieder-ins-Leben-Holen des paradiesischen Gartens. Der Kurfürst ließ Linden pflanzen, einen Lustgarten.28 Orte, um für einen Augenblick den Alltag zu vergessen. Wie viele Glucken konnten im 30jährigen Krieg ungehindert ihr Völklein ausführen? Berg, Hügel Tal und Felder schallten eher von Klage und Kriegsgeschrei wider, denn vom Gesang der Nachtigall. Die Schafe weideten nicht, sie wurden geschlachtet. Reale Friedensbilder, Hoffnungsbilder, Träume mischen sich. »Wenn die Schwälblein ihre Jungen speisen, sind die Tulpen verblüht. Myrten und Weinstöcke wachsen in ›märkisch Sibirien‹ überhaupt nicht.«29 Die Tierwelt ist die der Psalmen. Gerhardts innerer Garten öffnet sich zum himmlischen Garten hin.
Solche Grundübungen (innerer Garten, innerer sicherer Ort) gehören zu wichtigen Elementen im Rahmen von Traumaberatungen. Unser Gesangbuch ist voll davon: Luther (vielleicht in der Pestzeit am Bett seiner schwangeren Frau (mit der Laute?): »Ein feste Burg«30; Nicolai in Unna während der Pestzeit: »Wie schön leuchtet der Morgenstern«31. Innere Ruheorte. Es ist sicher manchmal nicht leicht, Kindern und Jugendlichen in einer unüberschaubaren Flut äußerer Bilder Wege zu inneren Bildwelten zu öffnen. Aber wenn Kinder von den Eltern keine Choräle, sondern »Ballermann«-Lieder lernen, muss sich auch die Kirche dieser pädagogischen Verantwortung stellen.

3.2. Worte, wenn die Worte fehlen
Gerhardt war nicht der, der trotz Trauer immer fröhlich weitergesungen hat. Aus der Zeit nach dem Tod seiner Frau am 5.3.1668 ist ein dreistrophiges Lobgedicht auf einen Menschen überliefert. Viele Lieder entstanden vor dem Verlust der eigenen Kinder. Einige Strophen lassen aber die Verzweiflung, die er selbst erlebt hat, spüren: 1659 – in der Erfahrung eigener Kinderbeerdigungen – schreibt er ein Kindertotenlied für eine kleine Elisabeth32: »Ach, es ist ein bittres Leiden/ und ein rechter Myrrhentrank,/ sich von seinen Kindern scheiden/ durch den schweren Todesgang!/ Hier geschieht ein Herzensbrechen,/ das kein Mund recht kann aussprechen.«33 Seufzer der Seele, stille Klagen des Herzens34, die Höhle, da der Kummer plagt; »Gott, der uns zerrissen/ mit ergrimmtem Angesicht,/ und uns, da er uns geschmissen,/ sehr erbärmlich zugericht«35, »Wie lang, o Herr, wie lange soll/ dein Herze mein vergessen?/ Wie lange soll ich Jammers voll/ mein Brot mit Tränen essen?/ ... Wie lange soll die Trauerhöhl in Sorgen ich besitzen?«36 Gram zerwühlt das Herz.37 Vor Augen habe ich eine alte Frau: Im Krieg war das Haus vor ihren Augen abgebrannt. Sie erlebte mit, wie ihr Mann bei einem Unfall ums Leben kam. Die Folgen waren bis ins Alter spürbar: Zittern, Angst, nächtliches Schreien. Wenn sie keine Sprache mehr hatte38, redete sie in Gerhardt-Versen: »Was ist mein ganzes Wesen/ von meiner Jugend an/ als Müh und Not gewesen?/ Solang ich denken kann,/ hab ich so manchen Morgen,/ so manche liebe Nacht/ mit Kummer und mit Sorgen/ des Herzens zugebracht.«39 Bei dieser alten Frau passierte aber auch etwas anderes: »Du meine Seele, singe«. Im Schlaf sang sie Choräle ohne aufzuwachen.
Das Lied ermöglicht Gerhardt eine Art Selbstgespräch40 mit sich und seinem Herzen (»Wie lange soll der Sorgen Stein/ mich und mein Herze pressen?/ Wie lange soll ich armes Kind der Seelen Ruh entbehren?«41), zwischen sich und seinem Mund (»Heb dich weg, verlogner Mund!«42), ein Gespräch zwischen Seele und Gott (»Ach lieber Gott, ach Vaterherz, mein Trost von so viel Jahren, wie lässt du mich so manchen Schmerz und große Angst erfahren?«43), Kampfgespräch mit dem Feind des Lebens (»Nun erfahr ich schnöder Feind, wie dus habst mit mir gemeint.«44). Er ermutigt sich selbst (»Erhebe dich, betrübtes Herz«,45 »Schwing dich auf zu meinem Gott, schüttle deinen Kopf und sprich: Fleuch du alte Schlange!«46).
Eine Erfahrung in der Seelsorge ist der Abbruch der Kommunikation in schwierigen Situationen. Menschen sind in sich selbst zerrissen, spüren einmal, dass der Schmerz im Herzen sitzt, und wie man dann, als wäre alles nur ein böser Traum, weiterlebt. Das Lied gibt eine Möglichkeit zur inneren Kommunikation. In der Gemeinde ermöglicht es eine geschützte Kommunikation: man singt, schaut sich an, merkt wie der eine, die andere noch nicht mitsingen mag, singt einen Vers für ihn. Natürlich sind uns manche der alten Texte fremd. Ist das neue Liedgut eine Alternative? Es dominiert seit fast 25 Jahren den Konfirmandenunterricht, den Schulunterricht, den Kindergottesdienst, die Jugendarbeit. Für meinen Arbeitsbereich finde ich fast nichts: plötzlicher Kindstod, Selbstmord, Unfalltod, Überleben mit schweren Verletzungen, die Erfahrungen der Rettungskräfte, zerbrochene Familien, die Situation in der Arbeitswelt47, vorgeburtliche Diagnostik, Situation auf der Intensivstation. Man kann Gerhardt-Liedern die alte Sprache vorwerfen. Aber er hat sich im Lied seelsorgerlicher Fragen angenommen, zu denen das moderne Kirchenlied schweigt.

3.3. »Hab ich doch Christus noch«
»Erscheine mir zum Schilde.« »Hab ich doch Christus noch«. Die innige Verbindung zum leidenden Jesus, formuliert manchmal in der Sprache der Liebesdichtung, gibt Gerhardt Halt.48 »O Haupt voll Blut und Wunden«. Die Passionsfrömmigkeit ist mir lange fremd geblieben. In den letzten 15 Jahren hatte ich viel mit Tod und Unfällen zu tun49 und weiß, dass man den Tod schmecken kann. Ich hatte nach einem Kollektivsuizid (eine Mutter mit ihren zwei Kindern, eins überlebte) Mutter und Säugling aus einem Autowrack zu bergen, das dreimonatige hatte sie sich auf den Bauch geschnallt. »O Haupt voll Blut und Wunden« habe ich dann vor mir. Zu wissen, dass in diesem blutigen Chaos Jesus gegenwärtig ist, dass er sich darauf hat festnageln lassen, dass Himmel und Erde, die Beziehungen zwischen Gott und Mensch und Menschen hier nicht auseinander fliegen, gibt mir Halt.50 In bestimmten Augenblicken mache ich für mich ein Kreuzeszeichen: »Erscheine mir zum Schild, zum Trost in meinem Tod, und lass mich sehn dein Bilde in deiner Kreuzesnot.« Als meine Kinder klein waren, ist es mir oft nach Einsätzen bei plötzlichem Kindstod passiert, dass ich noch nachts an die Kinderbetten gegangen bin und still für mich noch einmal »Breit aus die Flügel beide« gesungen habe.
Warum wir die Passionsfrömmigkeit verlieren, Kreuze aus Klassenzimmern mit höchstrichterlichen Urteilen entfernt werden sollen und wir andererseits unseren Kindern die Computerspiele kaufen, die erfunden wurden, um die Hemmschwelle zum Töten zu senken51, ist mir ein Rätsel. Der seelische Mülleimer wird beworben, die Kraftquellen werden stehen gelassen.
Im Gekreuzigten findet Gerhardt Trost für Leib und Seele. »Mein Lebetage will ich dich/ aus meinem Sinn nicht lassen,/ dich will ich stets gleich wie du mich,/ mit Liebesarmen fassen./ Du sollst sein meines Herzens Licht/ und wenn mein Herz in Stücken bricht,/ sollst du mein Herze bleiben.«52 Selbstsicherheit ist das nicht. Ich lese es eher als Selbstermutigung.

3.4. Achtsamkeit, Dankbarkeit, Herzkohärenz
Viele Techniken und Verfahren in Psychologie, Meditation, Esoterik, die uns heute neu erscheinen, sind uralt, oft verstoßene oder vergessene »Kinder« christlicher Frömmigkeit.
- Achtsamkeit53: Sich selbst, sein Umfeld achtsam wahrzunehmen, ist eine der Anfangsübungen, um einer aus dem Gleichgewicht gekommenen Seele wieder ins Gleichgewicht zu helfen. Im Lied »Nicht so traurig, nicht so sehr« ermutigt Gerhardt die Seele, den Körper wahrzunehmen, die Augen, jeden Finger, jedes Körperteil. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf das Herz und das Blut in den Adern54. Darauf, dass wir unsere Sinnen noch brauchen können, Zung und Lippen regen55. »Heb dein Haupt, schau überall/ hier unten und dort oben,/ wie Gottes Sorg auf allen Fall/ für dich sich hab erhoben:/ dein Brot, dein Wasser und dein Kleid/ war eher noch als du bereit,/ die Milch, die du erst nahmest,/ war auch schon, als du kamest.«56
- Dankbarkeit57: Einige psychodynamische Verfahren beginnen mit dem Erlernen von Dankbarkeitsübungen. Für Gerhardt ist dies eine der wesentlichen psychosomatischen Kraftquellen: »Ich singe dir mit Herz und Mund«, »Ich will mit Danken kommen«, »Ich weiß, dass mein Erlöser lebt«.58
- Herzkohärenz: »Schwing dich auf zu meinem Gott«; »Erhebe dich, betrübtes Herz«; »Du meine Seele, singe«; »Auf, auf, mein Herz, mit Freuden«, »Fröhlich soll mein Herze springen« »Geh aus, mein Herz, und suche Freud« – immer wieder redet Gerhardt sein Herz an. Er umgibt sein Herz mit Aufmunterung, mit guten Gedanken, lässt es im Paradies wandern. Die Beziehungen zwischen Herz und Gehirn sind unmittelbar spürbar.59 Wir wissen heute, dass Wohlbefinden, Mitgefühl, Dankbarkeit zur Kohärenz des Herzschlags, Bremsen und Beschleunigung, beitragen. Schon die Erinnerung an ein gutes Gefühl kann den Übergang von einem chaotischen zu einem kohärenten Herzschlag auslösen. Untersuchungen und Studien mit Herzmeditationen zeigen die Wirkung auf Stoffwechsel und EKG. In England und den USA durchliefen fast 6000 leitende Angestellte großer Industrieunternehmen und Regierungsbehörden Herzkohärenzschulungen60. Gerhardts Lieder sind in diesem Punkt von beeindruckender Aktualität. Man spürt das, wenn man die Lieder nicht zu schnell singt, sondern sich Zeit nimmt, einzelne Bilder einige Minuten zur Entfaltung kommen zu lassen.


4. Schluss

Ich erlebe eine um sich greifende Sprachlosigkeit, wenn es um Trost und Hoffnung, aber auch um den Ausdruck des Schmerzes geht. In einem Konfirmandenseminar sprachen wir mit Jugendlichen darüber. Trostbriefe zeigten guten Willen, aber mehrheitlich Ratschläge wie: »Gönn Dir etwas Gutes! Geh mal mit einer Freundin shoppen! Du musst etwas anderes sehen!« Liegt es vielleicht auch daran, dass wir nicht erzählen, was uns getröstet hat? Gibt es noch so etwas wie ein Familiengedächtnis der tröstenden Erfahrungen? So erzähle ich zum Schluss zwei.
Als Grundschüler habe ich in Burgdorf61 zum ersten Mal Bachs Weihnachtsoratorium mitgesungen. »Wie soll ich dich empfangen« ist der erste Choral. Er hat mich ganz eigenartig berührt. Erst viel später habe ich gemerkt, dass Bach hier die Melodie von »O Haupt voll Blut und Wunden« verwendet hat. Mit der Gesangbuchmelodie habe ich mich nie richtig anfreunden können. Als mein Vater 90 Tage im Koma lag, sangen wir auf der Intensivstation mehrstimmig. Nach einer Zeit sammelten sich die Schwestern und hörten zu. Irgendwann kam der Arzt von nebenan: »Einen dürfen Sie noch. Aber dann ist gut. Wenn Sie singen, steigt bei dem Patienten nebenan immer der Blutdruck!« Mein Vater hat es übrigens gehört. Er sagte später: »Das war vielleicht blöde. Ich wollte den Bass mitsingen und konnte nicht.«
Viele der Choräle sind mit meinem Vater verbunden, weil er sie mit mir gesungen hat. Auf meinem Schreibtisch stehen Dinge, die mich erinnern an Momente des Trostes. Mein Kuscheltier gehört dazu. Mit ihm verbindet sich der Geruch meines Vaters, seine Stimme und abends das Lied »Breit aus die Flügel beide«: »Auch euch, ihr meine Lieben,/ soll heute nicht betrüben/ kein Unfall noch Gefahr./ Gott lass euch selig schlafen,/ stell euch die güldnen Waffen/ ums Bett und seiner Engel Schar.« Ich habe das am Bett meiner Kinder gesungen und auch nach dem Tag, an dem wir einen kleinen Kindersarg in die Erde gelegt hatten. Aber besonders verbinde ich eine Situation damit: Wir hatten zuhause jahrelang gekämpft: Selbst haftender Handwerksbetrieb. Jahrelang kein Urlaub. Alles versucht. Irgendwann war klar: Es ist Schluss. Die Stimmung abends war grässlich. Ich war damals gerade im Examen, schrieb meine Examensarbeit und bereitete mich auf die Prüfungen vor. Instinktiv habe ich mich an jenem Abend an das Klavier gesetzt, das jetzt im Ueffelner Pfarrhaus steht und die beiden Verse im Bach-Satz gespielt und gesungen. Und mein Vater, der sie mit mir gesungen hatte, abends mit fester Stimme, konnte nicht mehr singen, ihm liefen die Tränen. Als ob sich eine große Spannung löste – und sich trotz allem eine tröstende Hand in den Nacken legte.


Anmerkungen:

1    Vortrag in Stift Börstel zum Paul Gerhardt-Jahr. Für den Druck verändert und gekürzt. Außer der angegeben Literatur verweise ich auf: E. Axmacher (2001): Johann Arndt und Paul Gerhardt  Studien zur Theologie Frömmigkeit und geistlichen Dichtung des 17. Jahrhunderts, Tübingen (Mainzer hymnologische Studien, Bd. 3); M. Gebel (2007): Die Welt und ihre Kinder. Das Motiv der Menschenwelt in Paul Gerhardts geistlicher Dichtung, Hannover.
2    Chr. Bunners (1994): Paul Gerhardt. Weg – Werk – Wirkung, München/Berlin, 359f.
3    Zit. n. S. Grosse (2001): Gott und das Leid in den Liedern Paul Gerhardts, Göttingen (Forschungen zur Kirchen- u. Dogmengeschichte; ed. A.M. Ritter e.a. Bd. 83), 238.
4    Auf eine Nachfrage  im Religionspädagogischen Institut, wie im Kirchenmusikzentrum unserer Landeskirche nach gutem Unterrichtsmaterial zur Pädagogik des Chorals oder der Kirchenmusik Bachs für Grundschule und Konfirmandenunterricht, erhielt ich die Antwort: »Da haben wir nichts!« Ein KMD unseres »Kompetenzzentrums« sagte mir in einer Podiumsdiskussion: »Bach muss aus unseren Gottesdiensten weichen«.
5    Unter vielen Untersuchungen: J. Lademann e.a. (2006): Psychische Erkrankungen im Fokus der Gesundheitsreporte der Krankenkassen, in: Psychotherapeutenjournal 2/2006, 123-129.
6    Bach hatte bis zu seinem 10. Lebensjahr vier Geschwister zu begraben, war mit 10 Jahren Vollwaise, hatte zehn seiner Kinder zu beerdigen. Und schreibt eine tröstende Musik, die über Religions- und Kulturgrenzen hinweg verstanden wird. Beispiele: Bachs Johannespassion in Teheran. Dazu: Musik verbindet die Kulturen, Kirchenbote Osnabrück Nr. 36, 7.9.2008. Oder R. Mawicks Bericht über das Bach-Kollegium Japan: Die Engel von Kobe (in: Chrisma plus 12/2000, 62-67.
7    K. Mosetter/ R. Mosetter (2003): Kraft in der Dehnung, Düsseldorf, 15f.
8    Eine Seite, die Kinder direkt warnt und informiert: www.kinderkampagne.de.
9    Grosse, 199.
10    Grosse, 55.
11    Grosse, 60.
12    »Ach lieber Gott, ach Vaterherz, mein Trost von so viel Jahren, wie lässt du mich so manchen Schmerz und große Angst erfahren« (9,10); »Das ewge Vaterherz sendet Jammer« (8,14). Die Angaben für die Choräle beziehen sich auf: Paul Gerhardt: Geh aus mein Herz – Sämtliche deutsche Lieder (ed. R. Mawick), Leipzig 2006.
13    »Ach treuer Gott, barmherzigs Herz«.
14    »Ach treuer Gott, barmherzigs Herz«.
15    »O Haupt voll Blut und Wunden«, V. 4.
16    »Ach treuer Gott, barmherzigs Herz«, V. 13.
17    J.L. Hermann (1993): Die Narben der Gewalt, München, 142.
18    »Schwing dich auf zu deinem Gott«, V. 14).
19    »Wir sind an bösen Wunden krank, voll Eiter, Striemen, Kot und Stank« (»Wie ist so groß«, V. 17). »Wasch ab all unsern Sündenkot« (»Nach dir, o Herr, verlanget mich«, V. 17).
20    »Wie ist so groß und schwer die Last«, V. 17.
21    »Nach dir, o Herr, verlanget mich«, V. 17. Für den psychologischen Zusammenhang: M. Huber (2003): Wege der Traumabehandlung, 129ff; Hermann: Die Narben der Gewalt, 135ff. S. a. »Sollt ich meinem Gott nicht singen«, V. 9.10 (Paul Gerhardt: Geistliche Lieder, Stuttgart 1991, 120): Die Strafen und Schläge dienen dazu, dass der liebe Freund (Gott) mich zu ihm bringt. V. 9. Bagatellisierung: Gott nimmt die »Rut« und nicht das »Schwert«. Die Selbstbezeichnungen in »Wie ist es möglich, höchstes Licht«, V. 2.3: Ich bin Erd, Staub, Gras, Laub, Mad, Wurm.
22    J. Ph. Reemtsma (1997): »Im Keller«, Hamburg, 178. Reemstma beschreibt, wie er sich danach sehnt, dass der Entführer ihn in den Arm nimmt.
23    M. Kütemeyer (2008): Die dissoziative Wunde – ein Erinnerungssyndrom seelischer Traumatisierung, in: Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft, Psychologische Medizin, Kröning, 2/2008, 27-39; ebenso die Dissertation von B. Eisenführ: Psychische Traumatisierung als Einflussfaktor auf die Entstehung von Wundheilungsstörungen; im Internet unter: http://hss.ulb.uni-bonn.de/2009/1779/1779.htm.
24    Eine Theologie des Protestes entwickelt: D.R. Blumenthal (1993): Facing the abusing God. A theology of protest. Louisville. Bedenken sollte man auch Endgerichtsbilder. Vgl: J. Loest (1999): »Gericht nach den Werken« oder »Vollendung Christi« – eine Codeanalyse zu den Gerichtskonzeptionen des Mt und Paulus, in: R. Reuter/W. Schenk: Semiotica Biblica, Hamburg, 66-107.
25    Demut im Sinne der paulinischen Briefe meint: die Kompetenzen anderer anerkennen.
26    Ein Beispiel: L. Reddemann (2006): Imagination als heilsame Kraft.
27    M. Huber (2005): Der innere Garten, Paderborn.
28    Für das Folgende sehr schön: Petra Bahr (2007): Paul Gerhardt – »Geh aus mein Herz«, Freiburg 99ff.
29    Bahr, 105.
30    Beachte die Sprache, Bilder und Theologie in den Briefen an Spalatin (19.8.1527) und an Amsdorf (1.11.1527). Vgl.: Martin Luther: Die Briefe (in: K. Aland: Luther Deutsch Bd. 10, Stuttgart 1959, 183ff).
31    Nicolais Lied ist eine Imagination mit allen Sinnen. Er »wohnt« auf dem Friedhof (bis zu 30 Beerdigungen am Tag). In der letzten Strophe mit der körperlichen Verankerung des »Klopfens in die Hände«. Der Strophenbau lässt sich bildlich als Kelch abbilden: nicht den Kelch des Leids trinken, sondern den der Freude. In V. 4 heißt es: »Nimm mich freundlich in dein Arme, dass ich warme werd von Gnaden«, im Gesangbuch: »Herr erbarme dich in Gnaden«. Näheres zu Lied und Umständen in: »Die Pest, der Tod, das Leben – Philipp Nicolai – Spuren der Zeit«, Unna 1997.
32    Gerhardts erste Tochter trug ebenfalls diesen Namen.
33    »Leid ist mirs in meinem Herzen« – auf den Tod der kleinen Elisabeth Heintzelmann, Tochter des Diakons an St. Nikolai in Berlin Johannes Heintzelmann 1659.
34    »Gib dich zufrieden«, V. 5.
35    »Kommt ihr traurigen Gemüter«, V. 2.
36    »Wie lang, o Herr«, V. 1.2.
37    »Auf den Nebel folgt die Sonne«, V. 3.
38    Die Störung des Broca-Sprachzentrums (mir fehlen die Worte) ist nach Traumata häufig zu beob­achten.
39    »Ich bin ein Gast auf Erden«, V. 2.
40    Die Fähigkeit zu dissoziieren, kann in der Traumatherapie auch kreativ genutzt werden.
41    »Ach, Herr wie lange willst du mein«, V. 1.2.
42    »Auf den Nebel folgt die Sonne«, V. 6.
43    »Barmherziger Vater«, V. 9.
44    »Auf den Nebel folgt die Sonne«, V. 5.
45    »Erhebe dich betrübtes Herz«, V. 1.
46    »Schwing dich auf zu meinem Gott«, V 1.2.
47    Das neuste Gesangbuchlied im EG Hannover zur Arbeitswelt: EG 638 (1698!!) für den Bergmann.
48    Vgl. dazu Grosse, 252ff.
49    Ich bin aktiver Feuerwehrmann. Als Seelsorger habe ich neben der Arbeit im Gemeindepfarramt in den letzten Jahren über 80 Todesnachrichten überbracht, viele Unfall-, Suizid- und Kindstodsituationen betreut.
50    Die Erfahrung, weder kämpfen noch fliehen zu können wie am Kreuz, ist oft Geburtsstunde eines Traumas.
51    S. D. Grossman (1995): On Killing: The Psychological Cost of Learning to Kill in War and Society; s.a.: Warum töten wir?, in: Die ZEIT 39/1999.
52    »Ein Lämmlein geht«, V. 5.
53    S. dazu u.a.: M. Huber (2005): Der innere Garten, Paderborn.
54    »Merkt auf, Himmel«, V. 7.
55    »Lobet den Herren, alle die ihn ehren«.
56    »Du bist ein Mensch«, V. 7.
57    Ein Beispiel: R. Hanswille und A. Kissenbeck (2008): Systemische Traumatherapie: Konzepte und Methoden für die Praxis, 173, raten sie zu Achtsamkeits-und Dankbarkeitsübungen.
58    Paulus redet in seinen Briefen vom Dankgebet über 60mal, etwa doppelt so häufig wie vom Bittgebet.
59    Es geht einem ans Herz. Schon im amerikanischen Bürgerkrieg beschrieb der Militärarzt Jacob Mendes Da Costa 1871 das »irritable heart«, das »soldiers heart« (Da Costa-Syndrom).
60    Zu den Untersuchungen: S. Schreiber (2004): Die neue Medizin der Emotionen, München.
61    In St. Pankratius (Burgdorf/Hann.). Kantor Gerhard Reich verdanke ich ungemein viel.

Über die Autorin / den Autor:

Pastor Jürgen Loest, Jahrgang 1958, Pastor und Traumafachberater, 1986-1990 an der Pauluskirche Bremerhaven, 1990-2010 in der St. Mariengemeinde Ueffeln (Bramsche), seit 2010 Pastor an St. Lamberti Hildesheim, aktiver Feuer­wehrmann, seit 15 Jahren Notfallseelsorger und Fachdienstleiter Feuerwehrseelsorge der Kreisfeuerwehr Osnabrück, 2006 Verleihung des Feuerwehr-Ehrenkreuzes in Silber durch den Deutschen Feuerwehrverband.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 9/2010

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