Pilgern ist »in«, aber es ist zugleich zu einer Projektionsfläche unterschiedlichster Wünsche und Vorstellungen geworden, die mit der historischen Pilgerpraxis und -motivationslage nichts zu tun haben. Eine theologische Analyse des Phänomens der Pilgerschaft wird deshalb tiefer ansetzen müssen. Klaus Nagorni präsentiert biblische, mystische und frömmigkeitsgeschichtliche Einsichten und benennt Anknüpfungspunkte für ein protestantisches Verständnis des Pilgerns.


»Das Leben ist eine experimentelle Reise, die unfreiwillig unternommen wird. – Reisen? Existieren ist reisen genug.« (Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe)


1. Renaissance des Pilgerns?

Pilgern ist angesagt. Nicht nur – und nicht einmal überwiegend – in kirchlichen Kontexten taucht Pilgern seit längerer Zeit als attraktives Thema auf, das Junge wie Alte buchstäblich auf die Beine bringt. Der Büchermarkt produziert eine Fülle von Handreichungen und Erfahrungsberichten von und über Pilgerreisen. Touristikfachleute und Wirtschaftministerien bemühen sich um den Ausbau von alten und die Entwicklungen von neuen Pilgerwegen. Evangelische Landeskirchen und katholische Diözesen setzen das Thema auf ihre Agenda und suchen den Kontakt zu Tourismus- und Wanderverbänden.
Eine alte Tradition erlebt ihre Renaissance. Es ist durchaus von einer gewissen Logik, dass nach der Thematisierung von »heiligen Zeiten« – wie in der Debatte um den Sonntagschutz – und »heiligen Orten« – wie in der Konzipierung einer Kirchenraumpädagogik – auch die »heiligen Wege« ins Zentrum des Interesses rücken.
Aber handelt es sich wirklich um eine Renaissance? Gegenüber der mittelalterlichen Pilgerpraxis mit ihren konkreten, durchaus pragmatischen Motiven, sind heutige Begründungen zu Pilgerreisen oft deutlich von persönlichen Interessen und Deutungen bestimmt.1 Vieles an subjektiver Sinngebung scheint möglich, das mit der ursprünglichen Pilgerpraxis kaum vereinbar ist – von Motiven einer Wiedergewinnung des verlorenen Verhältnisses zur Erde bis hin zu konstruktivistisch anmutenden Definitionen, bei denen das moderne Bewusstsein aus sich selbst heraus erklärt, was es unter Pilgern verstehen möchte. Pilgern wird auf diese Weise zur Projektionsfläche unterschiedlichster Wünsche und Vorstellungen.
Demgegenüber ist es hilfreich, einen Blick auf die historische Pilgerpraxis zu werfen. Der Historiker und Fachmann für den Pilgerweg nach Santiago de Compostela, Klaus Herbers, ist den Motiven mittelalterlicher Pilgerreisender nachgegangen2. Er nennt neben Erwartungen von Wundern, insbesondere Heilungen von körperlichen und seelischen Gebrechen, als starkes Motiv den Ablass und die Befreiung von Kirchenbußen und zeitlichen Sündenstrafen. Auch entledigten sich nicht selten die Städte derjenigen Bevölkerungsgruppen, die den sozialen Frieden gefährdeten, indem sie diese auf kirchlich oder weltlich verordnete Buß- oder Strafpilgerfahrten schickten.
Neben religiösen Motiven, bei denen die imitatio Christi eine maßgebliche Rolle spielt, erwähnt Herbers eine Reihe außerreligiöser Motive. Manche Pilgerreise sei bedingt durch Fluchtmotive, etwa vor der Pest, durch den Gewinn von Sozialprestige oder ökonomische Interessen wie die Verbindung von Pilgerfahrt und Handelsreise. Schon früh sei eine Tendenz zu verzeichnen in Richtung einer »geistlichen Pilgerfahrt«, bei der es weniger auf den real bewältigten Pilgerweg angekommen sei, sondern spirituelle Werte im Vordergrund standen. Der Abschluss dieser Entwicklung ist in gewisser Weise im Ratschlag Martin Luthers zu sehen, der empfahl, lieber nicht nach Compostela zu pilgern, weil man nicht wisse, ob dort »sant Jacob oder ain todter hund oder ein todts roß da ligt, ... las raisen, wer da will, blaib du dahaim«.3
Ein protestantisches Verständnis des Pilgerns wird sich der Komplexität des historischen Pilgerwesens ebenso bewusst sein müssen wie der theologischen Kritik Martin Luthers. Die Aufgabe besteht darin, sich die Aspekte von Kontinuität und Differenz zwischen dem mittelalterlichen und einem zeitgemäßen evangelischen Verständnis des Pilgerns bewusst zu machen.


2. Die neue Lust am Gehen

Die neue Lust am Pilgern tritt zeitgleich auf mit einer neuen Lust am Gehen. Beides ist Folge einer zunehmenden Virtualisierung unserer Lebenswelten und des damit einher gehenden Erfahrungsverlustes. Nicht nur die Literatur zum Thema Pilgern ist darum beträchtlich, sondern auch die zum Thema Gehen und Wandern4. Das Internetportal »Wanderbares Deutschland« präsentiert sich als »Plattform rund um das Wandern in Deutschland«. Kongresse wie die WALK 21, zuletzt in Toronto und Barcelona, informieren über Trends und Ansätze zur Förderung des Zufußgehens im Alltag. Und selbst der ADAC legt Wanderkarten für seine Mitglieder auf.
»Dass alles besser gehen würde, wenn man mehr ginge«, war schon die Meinung von Johann Gottfried Seume, der die theologische Krise, in die er beim Studium der Theologie in Leipzig geriet, so bewältigte, dass er eine Fußreise von Leipzig nach Syrakus unternahm. Sein Reisebericht aus dem Jahr 1802 »Spaziergang nach Syrakus« hat ebenfalls eine Neuauflage erfahren.5 Das Zitat von Seume macht deutlich, dass die Wiederentdeckung des Pilgerns, speziell auch im protestantischen Bereich, keineswegs so überraschend ist, wie es manche Äußerungen zu diesem Thema vermuten lassen. Auch hat die neue Lust am Pilgern ihre Wurzeln keineswegs nur in der Anknüpfung an katholische Pilgerfrömmigkeit.
Die Lust am Gehen teilte Johann Gottfried Seume mit den Handwerksburschen des 18. und 19. Jh. wie auch mit dem Lebensgefühl der deutschen Romantik, wo das Wanderermotiv eine bedeutende Rolle spielte. Und noch die Jugendbewegung des beginnenden 20. Jh. sang bei ihrem Zug in die Natur Wanderlieder wie »Aus grauer Städte Mauern, ziehn wir hinaus ins Feld« (vgl. »Die Mundorgel«). Allerdings relativiert auch hier der geschichtliche Hintergrund die Wanderidylle. Denn bis weit ins 19. Jh. hinein fehlte dem Wandern jeder Hauch von Romantik. »Viele Berufsgruppen waren aus ökonomischem Zwang auf ständige Fußmärsche von Ort zu Ort angewiesen. Tagelöhner und Kleinhändler, Spielleute und fahrende Künstler mussten sich Kundschaft oder Arbeitgeber erwandern. Gerade die Handwerksburschen waren keineswegs aus Spaß an der Freude auf der Walz, wie manches romantische Volkslied glauben machen will. Ihnen ging es nicht um das Unterwegssein, sondern um das Ankommen. An einem Ort, der Arbeit und Einkommen sicherte.«6
Deutlich ist, dass die bereits im mittelalterlichen Pilgerwesen angelegte Internalisierung der Reise im Protestantismus dominant wird. Die äußere Reise, die bestimmt ist durch das Gegenüber von heiligem Ort und heiligen Gegenständen, zu denen der Fahrensmann sich in ein Verhältnis setzt, wird tendenziell zu einer inneren Reise des Individuums, das dazu nicht unbedingt mehr selbst auf große Fahrt gehen muss. Das nicht nur im protestantischen Raum einflussreiche Erbauungswerk des englischen Predigers John Bunyan (»Pilgerreise«) stellt das menschliche Leben in allegorischer Weise dar. Das ganze Leben erscheint als Pilgerreise. Wo das geschieht, wird die reale Pilgerreise sekundär. Es findet eine Biographisierung der Reise statt, wie sie in der heutigen Literatur über das Pilgern weithin verbreitet ist. Dabei besteht die Gefahr, dass dem Glaubenden, dem das extra nos der Gnadenzuwendung Gottes gilt, ein wortwörtliches Erfahrungsfeld dieses extra nos entzogen wird. Das Reisen, auch das Pilgerreisen, steht in der Gefahr, zu einem im Wesentlichen nur noch profanen und selbstbezüglichen Unternehmen zu werden.7
Manfred Josuttis hat darauf hingewiesen, dass dem Protestantismus heilige Zeiten, heilige Räume, heilige Personen, heilige Handlungen in dem Sinne fremd sind, »dass all diese Phänomene durch Weiheakte aus ihrem sozialen Kontext ausgegrenzt werden müssen.«8 Allerdings sei mit dieser Position die faktische Spannung zwischen theologischer These und anthropologischer Realität nicht schon verschwunden. Das Dilemma zwischen dogmatischer Behauptung einerseits und praktischem Verhalten andererseits bleibe bestehen.
Was im Blick auf den evangelischen Gottesdienst richtig ist, gilt ebenso für ein evangelisches Verständnis vom Pilgern: »Christlicher Gottesdienst heute kann nicht zurück in die archaische Sphäre heiliger Wirklichkeit, kann sich aber auch nicht auflösen in ein funktionierendes Institut zur politischen, pädagogischen oder therapeutischen Psychohygiene. Gottesdienst findet in der Gegenwart statt an der Grenze zwischen verlorener Sakralität und drohender Profanität, in den Trümmern des Tempels.«9 Auch eine protestantisch reflektierte Pilgerpraxis ist eine solche Gratwanderung an der Grenze von Sakralität und Profanität, von heiligen und unheiligen Wegen. Es stimmt ja: Pilgern vermittelt auch sinnliche Erfahrungen. Es zeigt aber gleichzeitig die Grenze aller sinnlichen Erfahrung auf, in dem auf das zu verweisen ist, was jenseits aller Erfahrung liegt. Eine Theologie des Pilgerns hat darum teil an beidem: am Reiz wie an der Grenze der Erfahrung. Pilgern einfach nur als »Wandern plus« zu definieren, ist eine theologisch ungerechtfertigte Simplifizierung, solange dieses plus theologisch nicht näher bestimmt wird.10


3. Pilgern als Gegenwartsphänomen

Es fällt auf, dass das entscheidende Buch zum Pilgerboom keine kirchliche Handschrift trägt, sondern von einem Entertainer und Komiker verfasst wurde, dem man vieles, am allerwenigsten aber einen Beststeller zum Thema Pilgerreise nach Santiago de Compostela zugetraut hätte. Hape Kerkelings Bestseller »Ich bin dann mal weg«, trägt aber nicht nur einen einprägsamen Titel, der mittlerweile zum geflügelten Wort geworden ist. Er macht auf unterhaltsame und doch ernsthafte Weise deutlich, um was es heute bei diesem Thema gehen könnte. Dabei verbinden sich Elemente einer traditionellen Interpretation des Pilgerns mit persönlichen Erlebnissen und Urteilen eines säkularen Zeitgenossen von heute.
»In unserer nahezu entspiritualisierten westlichen Welt«, analysiert Hape Kerkeling am Ende seines Buches, »mangelt es leider an geeigneten Initiationsritualen, die für jeden Menschen eigentlich überlebenswichtig sind. Der Camino bietet eine echte, fast vergessene Möglichkeit, sich zu stellen. Jeder Mensch sucht nach Halt. Dabei liegt der einzige Halt im Loslassen. Dieser Weg ist hart und wundervoll. Er ist eine Herausforderung und eine Einladung. Er macht dich kaputt und leer. Restlos. Und baut dich wieder auf. Gründlich. Er nimmt dir alle Kraft und gibt sie dir dreifach zurück. Du musst ihn alleine gehen, sonst gibt er sein Geheimnis nicht preis.«11
Die Erfahrung eines biographischen Bruchs ist für Kerkeling das auslösende Moment. Irgendwo hat er gelesen, »dass Menschen sich seit vielen Jahrhunderten auf die Reise zum heiligen Jakob machen, wenn sie, wörtlich und im übertragenen Sinn, keinen anderen Weg mehr gehen können«.12 Wie für viele Pilger steht auch für ihn die existentielle Krisenerfahrung am Anfang: »Da ich gerade einen Hörsturz und die Entfernung meiner Gallenblase hinter mir habe, zwei Krankheiten, die meiner Einschätzung nach großartig zu einem Komiker passen, ist es für mich allerhöchste Zeit zum Umdenken – Zeit für eine Pilgerreise.«13
Als wesentliches Motiv, das über die Zeiten hinweg den auslösenden Impuls zum Pilgern darstellt, ist der Bruch mit der Alltagsidentität benannt, der Wunsch nach Verwandlung. Auch in der neuzeitlichen Sinngebung für das Pilgern findet sich dieses Moment immer wieder – die Suche der Antwort auf die Frage: wer bin ich eigentlich? Die Antwort soll durch das Gehen des Pilgerweges gegeben werden: Wandlung durch Wandeln lautet das Konzept.


4. Brüche und Aufbrüche

In dem unter Touristikern viel beachteten Buch »Reiselust« hat der Tourismusforscher Christoph Hennig sich auch dem Thema Pilgerreisen gewidmet. Reisen sind darum so verlockend, weil sich in ihnen die großen kollektiven Träume der Menschheit materialisieren. »Die Bewegung, die Reisen grundlegend charakterisiert«, schreibt Hennig, »ist universell verbreitet und in allen Kulturen nachweisbar: der Impuls, die Ordnungsstrukturen des Alltags zu verlassen und in andere Wirklichkeiten einzutreten«14. Reisen, Ritual und religiöse Erfahrung stehen in einem engen Zusammenhang. Die Verbindung rührt »aus dem Bruch mit dem gewöhnlichen Leben her, der gleichermaßen die Reise wie das spirituelle Erleben kennzeichnet. In beiden Formen wird der Alltag transzendiert und im Licht einer anderen Weltsicht neu interpretiert«15.
Beide, Reisen wie spirituelles Erleben, kennen Übergangsrituale, die einem bestimmten Schema folgen: Nach Aufbruch und Abschied folgt die Phase des Wegs und der Umwandlung, die zuletzt mit der Phase der Wiedereingliederung abgeschlossen wird. An der Gestalt Abrahams, der aufbricht in das verheißene Land, wird der enge Zusammenhang exemplarisch sichtbar.
Über das Pilgern schreibt Hennig: »In der Pilgerreise sollen der Bruch mit der Alltagswelt und das Erreichen eines heiligen Zieles eine innere Erneuerung und das ›Heil‹ bringen. Im Begriff der recreatio, der ›Neu-Erschaffung‹, kommt diese Vorstellung klar zum Ausdruck. Die Trennung von der heimischen Umgebung führt zu einer Schwächung der bisherigen Identität; auf dem harten Weg der Fremde wird der Pilger gleichsam ein unbeschriebenes Blatt, bereit für die Begegnung mit dem sacrum, das ihn verwandeln und heilen soll. Wie in den Übergangsriten muss sich auch auf der Pilgerfahrt der Gläubige von der Alltagsumgebung lösen, um bereit zu werden für den verändernden Kontakt mit den übernatürlichen Kräften.«16
Pilger machen sich auf den Weg, um etwas Anderes zu suchen. Sie wollen sich verändern lassen durch das Fremde, das Andere, das Heilige, das ihnen unterwegs oder am Ziel ihres Weges begegnen soll. Ihnen geht es darum, sich verwandeln zu lassen, um verwandelt wieder nach Hause zurückzukommen. Wenigstens dem Anspruch nach steht das am Anfang jeder Pilgerreise. Grundsätzlich gilt nach wie vor, dass der Pilgerreisende gerade aufbricht, weil ihm der Alltag nicht mehr genügt oder zu eng wird. Er bricht auf zu neuen Ufern und tut damit genau das, was etymologisch in dem Wort Reise steckt: to arise, aufbrechen, um den Reiz des Neuen und Anderen zu erfahren. Dass diese religiösen Motive allerdings begleitet oder auch überlagert sein können von sehr weltlichen Gründen, galt schon für die klassischen Pilgerreisen des Mittelalters17. Das dürfte heute kaum anders sein.


5. Selbstvergewisserung durch Erfahrung

Zentrales Motiv beim Pilgern ist der religiöse Erfahrungsgewinn. Damit ist der Nerv getroffen, der Kerkelings Buch gerade auch für jüngere Menschen interessant macht. Die Abstraktheit vieler Lebensbezüge in der Ausbildungs- und Berufswelt macht ja auch vor der religiösen Lebenswelt nicht Halt und lässt Sinnfragen neu aufbrechen.
»Ich frage mich die ganze Wanderung über, was mich eigentlich so glücklich macht?«, fragt der Pilger Kerkeling an einer Stelle, wo er gerade die vielen Anstrengungen des Weges beschrieben hat, die schweren Beine und die große Hitze des Tages, »nichts macht mich glücklich! Denn ich denke nichts, mich besorgt nichts und eigentlich treibt mich auch nichts besonders an.«18 Es ist diese Kontrasterfahrung der Leere, der absolute Gegenentwurf zur verplanten Alltagswelt, der ein Glücksgefühl erzeugt. Die Mystiker aller Zeiten wussten etwas davon, dass sich in der Erfahrung des Nichts die Begegnung mit dem Göttlichen ankündigt. Angelus Silesius sprach von der »zarten Gottheit«, die ein »Nichts und Übernichts« sei, die Verneinung des Gewohnten und Gewöhnlichen. Ihr entspricht als menschliche Haltung eine Bewegung, die bemüht ist, sich dieser Erfahrung zu öffnen: »Geh hin, wo du nicht kannst; sieh’, wo du siehest nicht; Hör, wo nichts schallt und klingt, so bist du, wo Gott spricht.«19
Nicht nur die wandelnden Philosophen der Antike, die Peripatetiker, kannten die lösende Kraft des Gehens. Auch der glaubende Mensch der Gegenwart braucht die Vergewisserung durch Erfahrung. Er findet sie im Akt des Pilgerns. Schon im AT ist die Wallfahrt Ausdruck religiös motivierten Reisens, eng verknüpft mit dem jüdischen Festkalender. Auch im NT wird an diese Tradition angeknüpft – so, wenn die Eltern Jesu mit ihrem zwölfjährigen Sohn zum Tempel nach Jerusalem aufbrechen. Eine der zentralen Ostergeschichten ist eine Weggeschichte, die die fundamentale Erfahrung vermittelt, dass Jesus lebt. Die Emmausjünger erleben auf dem Weg die verwandelnde Kraft einer Begegnung, die sich im Nachhinein als Begegnung mit dem auferstanden Christus darstellt.
Schon der biblische Befund belegt: Ein Glaube ohne eine sich sinnlich vermittelnde Glaubenserfahrung bleibt leer und abstrakt. Dabei ist es offensichtlich so, dass man dem Heiligen auf dem Weg leichter begegnet als an Ort und Stelle. Der Weg hat Offenbarungscharakter. Die Schutzlosigkeit und Ausgesetztheit des Wanderers in einem offenen Raum und einer nicht definierten Zeit, sein Status als Fremder und Gast, kann zum Einfallstor der Transzendenz werden20.
Deutlich ist: Wer sich auf Pilgerschaft begibt, kommt den Glaubenserfahrungen der Bibel, die ja im Wesentlichen Erfahrungen eines wandernden Gottesvolkes sind, näher als der religiös fest Verortete. Jesus selbst offenbart sich als wandernder Gottessohn (s. dazu die Abbildung »Emmaus« von Karl Schmidt-Rottluff).
Ist darum aber schon der Weg das Ziel, wie es eine geläufige Redensart gerne unterstellt? Für manche eher dem Zeitgeist verpflichtete Pilger der Moderne mag es so sein. Der Weg ist das Event. Das Ziel ist eher sekundär. Für den Pilger im klassischen Sinn gilt das sicher nicht. Für ihn trifft zu, was der iro-schottische Missionar Columban im 6. Jh. formulierte: »Das Ende der Straße ist unsere wahre Heimat. Lasst uns nicht die Straße mehr lieben als das Land, zu dem sie führt.« Die Mühsale des Weges sind zu ertragen, weil sie im Blick auf die zu erwartende Herrlichkeit des Zieles vorläufig sind. Nach wie vor ist der religiöse Pilger auf der Suche nach dem Heiligen und weiß, dass er in der Immanenz nur Spuren davon entdecken wird. Letztendlich ist und bleibt er »Gast auf Erden« wie Paul Gerhardt dichtet: »Ich bin ein Gast auf Erden und hab’ hier keinen Stand; der Himmel soll mir werden, da ist mein Vaterland« (EG 529,1).
Die Heimatlosigkeit des Pilgers in dieser Welt ist aber nicht zu verwechseln mit Ziellosigkeit. Auch eine Pilgerreise nach Santiago de Compostela erfüllt erst dann ihren Sinn, wenn der Pilger das Ziel seiner Reise tatsächlich erreicht. Das schließt nicht aus, dass es in einem geistlichen Sinn für den pilgernden Christen kein wirklich letztes Ziel auf Erden gibt, sondern nur eines, das allen menschlichen Zielen transzendent ist und »im Himmel« liegt. Irdische Ziele stehen unter dem Vorbehalt, dass der Mensch ein Gast auf Erden ist und erst im Reich Gottes zu seiner Erfüllung kommt. Die Heimatlosigkeit des Christen ist begründet in einer Sicht menschlicher Existenz, wie sie im Wort des Wanderpredigers Jesus zum Ausdruck kommt: dass die Füchse Gruben und die Vögel unter dem Himmel ihre Nester haben, der Menschensohn jedoch nichts, wohin er sein Haupt legen könne (Lk. 9,58).
Ein Doppeltes bleibt festzuhalten: Pilgern in theologischem Sinn genügt es nicht, einen Weg zu erkunden, um auf und mit ihm gewisse Erfahrung zu machen. Erst das Ziel gibt dem Weg seine Attraktivität. Zugleich gilt: jedes irdische Ziel ist letztlich vorläufig. In ihm scheint das letzte Ziel menschlichen Lebens auf, das innerweltlich nicht zu realisieren ist. Der Mensch als Pilger bleibt auf ein letztes Geheimnis hin angelegt.
Schnell gelangt man über die phänomenologische Bestimmung des Pilgerns auf das Feld theologischer Auslegung. Sie unterscheidet letztlich das Pilgern von anderen Formen körperlicher Fortbewegung – des Vagabundierens, des Flanierens, des Wanderns –, wenngleich es auch nicht wenige gemeinsame Schnittstellen gibt.


6. Anknüpfungspunkte für protes­tantische Pilgerschaft

Es sind unterschiedliche Akzentuierungen und Ausformungen, an die ein protestantisches Verständnis vom Pilgern heute anknüpfen kann. Sie tauchen auch in der aktuellen einschlägigen Literatur auf und lassen sich so systematisieren:

Der existentiell-metaphorische Ansatz: Das Leben als Reise
In einer anregenden Skizze hat der leider zu früh verstorbene Praktische Theologe Henning Luther die Metapher des Reisens auf den Erziehungsprozess angewendet. Aufbrüche, Übergänge, Begegnungen, Wegweiser, Rückkehr gibt es hier wie dort. In diesem Zusammenhang stellt Luther eine Verbindung her zwischen dem Reisen im Allgemeinen und dem Pilgern im Besonderen. Reisend mache der Mensch Erfahrungen, die ihn über sich hinausführen. »Reisen heißt Fremdheit erfahren, eine fremde Welt und sich fremd in der Welt … Während der Auswanderer vielleicht eine neue Heimat gewinnt, gehört der Reisende nie ganz dazu. Vieles, dem er begegnet, bleibt ihm – auf unterschiedliche Weise – fremd … Insofern ist jeder Reisende ein Pilger, ein Peregrinus.«21
Die Weltfremdheit des Pilgers ist Ausdruck der Erfahrung, dass er hier keine bleibende Stadt hat (Hebr. 13,14). Die Distanz zur Welt bedeutet allerdings nicht Flucht. Sein Fernweh überspringt die Welt nicht als Jammertal, sondern entzündet sich an ihr, um schließlich eine bislang unbetretene Heimat zu finden. Besonders ist sein Verhältnis zu der Zeit. »Verglichen mit der linearen, messenden, zielgerichteten Zeit erfährt der Reisende etwas wie Zeitlosigkeit. Die Welt breitet sich aus … Gleichwohl bestimmt die Reise nicht nur die gefüllte Zeit des Augenblicks (›trunkenes Glück‹) und die zeitlose Gleichzeitigkeit, sondern gerade auch das vorwärts treibende Moment.«22
Luther ist interessiert an den aus der Reise- bzw. Pilgermetapher sich ergebenden biographischen Anknüpfungspunkten, die das Verständnis von Bildungsprozessen ebenso dynamisieren würde wie das Verständnis von Theologie. Dieser Ansatz wird unterstützt durch Überlegungen, die sich aus der Theorie des Rituals ergeben.

Der liturgisch-ritualtheoretische Ansatz: Pilgern als Kasualie
Wie persönlich und individuell unterschiedlich die Motive für eine Pilgerreise auch sind, die Reise selbst folgt immer einem bestimmten Muster: Bruch mit der Alltagswelt/Aufbruch – Wegerfahrungen/Veränderung der Identität – recreatio/Wiedereingliederung in den Alltag.23 Der Wunsch nach Verwandlung steht am Anfang der Reise und begleitet sie.
Aus den Überlegungen der Ritualtheorie, wie sie Hennig im Blick auf das Thema Pilgerschaft ausgeführt hat, ergeben sich Ansätze zu einer Liturgie des Pilgerns, die sich festmacht an den verschiedenen Stationen des Unterwegsseins: Abschied nehmen, Aufbrechen, Unterwegs sein, Ankommen. Die verschiedenen Stationen sind Knotenpunkte verdichteter Erfahrung, die sich anbieten zu liturgischer Ausgestaltung. Wer aufbricht, bittet zuvor um den Reisesegen. Die reiche Liturgie des Segnens – von biblischen Segensformen und Segensgeschichten bis zu modernen Segenformulierungen – kann hier ein weites Anwendungsfeld finden. Die Strukturierung des Tages nach Stundengebeten wie das Innehalten auf dem Weg zu kurzer Andacht und Besinnung gehören genauso in diesen Zusammenhang wie die Feier der Mittagsstunde und der mit ihr verbundenen Mahlzeit. Es sind die Zäsuren, die sich aus dem Rhythmus des Laufens ebenso ergeben wie aus der zeitlichen Struktur der Tageszeiten, die für theologische Deutung und liturgische Gestaltung offen sind.
Anfang, Mitte und Ende des Weges sind markante Punkte, an denen sich das große Heilsgeschehen in die persönlich zurückgelegte Strecke des Pilgerweges eintragen und so vergegenwärtigen lässt. Auf diese Weise kann Liturgie die Aufmerksamkeit dafür schulen, wie »die große Ewigkeit« den eigenen Lebensweg berührt.24 Die Behauptung allerdings, protestantisches Pilgern sei eher auf den Weg als auf ein Ziel gerichtet25, wird man nicht gelten lassen können. Dem widersprechen deutlich anders lautende Befunde im evangelischen Kirchengesangbuch. Es fällt dabei auf, wie wenig bislang die Liedtexte Gerhard Tersteegens »Kommt, Kinder lasst uns gehen ... zur Ewigkeit zu wandern« (EG 393,1), »Mein Leben sei ein Wandern zur großen Ewigkeit« (EG 481,5) und Paul Gerhardts »Ich bin ein Gast auf Erden« (EG 529,1) mit ihrer Wegmetaphorik Impulse gegeben haben für ein evangelisches Verständnis vom Pilgern.

Der christologische Ansatz: Augenblicke seiner Gegenwart
Nach dem Zeugnis des NT erschließt sich die gute Nachricht vorrangig im Gehen. Jesus ist der Wanderer, der – anders als Füchse und Vögel – kein warmes Nest sein eigen nennt und nichts hat, wo er sein Haupt hinlegt (vgl. Mt. 8,20). Seine Jünger teilen mit ihm diese nomadische Existenz.
Für ein protestantisches Verständnis vom Pilgern ist die Emmausgeschichte zentral. Es ist eine klassische Wandergeschichte: Zwei gehen und reden miteinander. Aber obwohl die Beiden gehen, kommen sie nicht weiter, denn »ihre Augen wurden gehalten«. Erst mit dem Fremden, der sich ihnen zugesellt, bekommt ihr Denken und Fragen eine neue Qualität. Die eigenen Erlebnisse werden ab jetzt mit einer neuen und anderen Perspektive konfrontiert. Schließlich ergibt sich am Ende des Tages und am Ende der gemeinsam zurückgelegten Wegstrecke die Situation der Mahlzeit. Erst jetzt, wo nicht nur Fragen und Erfahrungen geteilt werden, sondern auch Brot und Wein, »wurden ihre Augen geöffnet«. Den Emmausjüngern erschließt sich die Botschaft der Auferstehung. Der Weg Jesu, sein Auftrag und seine Auferstehung, teilt sich den Jüngern im Akt des Gehens mit. Am Ende des Weges steht die Feier der Gemeinschaft, die zur Feier seiner Gegenwart wird.
Der christologische Aspekt trifft ein Verständnis des Pilgerns, der es befreit vom Gedanken einer unangemessenen Verdienstlichkeit und der über die Mahlfeier einen nachvollziehbaren Zugang zu Person und Auftrag von Jesus Christus schafft.

Der schöpfungstheologische Ansatz: Mit allen Sinnen
Das Lob des Schöpfers kommt denen über die Lippen, die auf ihren eigenen Füßen die Schöpfung durchstreifen und ihre Schönheit entdecken: »Wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet und die Erde ist voll seiner Güter« (Ps. 104,24).
Die Anwesenheit des Schöpfers in seiner Schöpfung erschließt sich über die Sinne, allerdings nicht in romantischer Naturverklärung, sondern so, dass der Mensch erkennt: der, der »Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn« (EG 361, 1), ist derselbe wie der, der den Weg jedes Einzelnen begleitet.
Der Blick in die Natur ist weit davon entfernt zu einem Gottesbeweis zu werden. Aber er leitet an zum Gebet, um über den Wegen des Lebens den Weg zu Gott zu finden: »Herr, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige!«(Ps. 25,4)
Der schöpfungstheologische Ansatz scheint auf den ersten Blick direkt anschlussfähig zu sein für die Motive der neuen Wanderbewegung. Aber auch hier kommt es darauf an, den theologischen Unterschied von Naturerleben und Schöpfungserfahrung in seiner Bezüglichkeit wie in seiner Unterschiedlichkeit zu beachten.

Der ekklesiologische Ansatz: Das wandernde Gottesvolk
Dass Kirche das wandernde Gottesvolk sei, ist eine dogmatische Fundamentalaussage, die theologisch richtig, aber praktisch nur selten »erfahren« wird. Das Unterwegssein durch die Zeiten bedarf darum einer realen Erfahrungsbasis. Die Praxis des Pilgerns für Einzelne wie für Gemeindegruppen ist geeignet, dieses spirituelle Erfahrungsdefizit zu beheben.
Vermutlich liegt hier auch der Schlüssel dafür, dass die Angebote der Urlauberseelsorge überproportional gut angenommen werden.26 Menschen, die unterwegs sind, erschließt sich die Botschaft vom wandernden Gottesvolk und dem mitgehenden Gottessohn direkter und leichter als denen, die bodenständig sind. Mit gutem Grund wird im Zukunftspapier der EKD »Kirche der Freiheit« der kirchlichen Tourismusarbeit darum ein besonderer Platz eingeräumt.27


7. Zusammenfassung: Zehn Thesen

1. Hinter der heutigen Pilgerpraxis steht der Wunsch nach körperlicher und spiritueller Erfahrung in einer zunehmend abstrakter werdenden Lebenswelt. Eine breite Literatur wendet sich dem Phänomen des Pilgern aus unterschiedlichen Perspektiven zu: kirchenhistorisch, kulturgeschichtlich, religionssoziologisch, meditativ-erbaulich, touristisch. Dabei wird auch deutlich, wie leicht Pilgern zur Projektionsfläche unterschiedlichster Bedürfnisse und Erwartungen wird.
2. Ähnlich wie bei der Frage, ob es im Protestantismus heilige Orte und heilige Zeiten gibt, geht es beim Thema Pilgern um die Frage: Gibt es im Protestantismus heilige Wege? Die Anknüpfungspunkte für ein zeitgemäßes protestantisches Verständnis vom Pilgern können nicht in der mittelalterlichen Pilgerpraxis liegen, sondern sind biblisch-christologisch und reformatorisch zu begründen.
3. Dem Gottesdienst im Alltag der Welt entspricht protestantischerseits eine Pilgerfrömmigkeit, die nicht festgelegt ist auf bestimmte Pilgerrouten, sondern die Gott auf allen Wegen finden kann. Damit verträgt sich durchaus der Gedanke, dass es historisch und spirituell besonders erprobte Wege gibt. Um Pilgern qualifiziert theologisch begreifen und gestalten zu können, ist der ritual-theoretische Ansatz hilfreich: Pilgern als Kasualie.
4. Pilgern ist analogiefähig. Im Blick auf den Pilgerweg wird der eigene Lebensweg durchsichtig. Es sind zu unterscheiden: die große Reise – »mein Leben ist ein Wandern« zur großen Ewigkeit – und die vielen kleinen Reisen, in denen sich einüben lässt, was ich brauche, um die große Reise bestehen zu können. Ein bislang nicht gehobener Schatz sind die Pilger- und Weglieder des Evangelischen Gesangbuchs!
5. Pilgern vermittelt Glaubenserfahrungen über Begegnungen: mit anderen Menschen, mit der Natur, mit sich selbst, mit Gott. Es hat teil an den Chancen wie an den Grenzen einer Theologie der Erfahrung. Es erdet den Glauben und führt über alles Irdische hinaus.
6. Pilgern verhilft einerseits zu einer Form präsentischer Existenz: »Sorget nicht um den morgigen Tag.« Pilgern setzt andererseits das befristete menschliche Leben in ein Verhältnis zur Ewigkeit28. Pilgern erprobt so das Gastsein auf Erden29 und sensibilisiert für andere Menschen, die auch auf dem Weg zu Gott sind.
7. Pilgern als ökumenische Aktivität verbindet die Konfessionen. In protestantischem Verständnis folgt es nicht mehr der Absicht, ein frommes Werk zu vollbringen, um so dem Heiligen näher zu kommen. Es ist Ausdruck der Zweckfreiheit, einer Dialektik von Absichtslosigkeit und Zielgerichtetheit (»und nichts zu finden, das war mein Sinn«).
8. Verschiedene Versuche, die »Reinheit« des Pilgers von touristischer Vermarktung abzuheben, sind verständlich, haben aber schon im Mittelalter zu nichts geführt. Pilgern war immer eine komplexe Form religiöser Praxis, die ambivalent und somit hinterfragbar war. Der touristische Anknüpfungspunkt sollte heute nicht von vorne herein zurückgewiesen, sondern auf seine Chancen befragt werden30.
9. Nicht zu unterschätzen ist in Zeiten wirtschaftlicher Krisen, dass Pilgern unter ökonomischen Gesichtspunkten billiger ist als andere touristische Reiseformen. Es vermittelt so gut wie gratis den Austritt aus dem Alltag und den Eintritt in ein geistliches Lebensmuster. »Man muss wie Pilger wandeln/frei, bloß und wahrlich leer/viel sammeln, halten, handeln/macht unseren Gang nur schwer«31.
10. Pilgern löst nicht nur Probleme, es kann auch – wie jede Reise – in neue Krisenerfahrungen hineinführen. Es verschafft Distanz zum Alltag und eine neue Sichtweise auf die alltägliche Routine: »und sieh ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.« (Ps. 139,24)
Der gegenwärtige Pilger-Boom belebt einen alten Gedanken neu: dass Wandeln und Wandlung zusammengehören. Wer auf Pilgerwegen wandelt, darf die begründete Hoffnung haben, dass sich auch nach innen etwas verwandelt. In dem Wort Lebenswandel sind diese beiden zusammengehörigen Seiten spiritueller Praxis noch zu erkennen. Gegen die römisch-katholische Ablasspredigt behauptete einst Martin Luther, dass das ganze Leben eine Umkehr sei. Pilgern ist eine Möglichkeit, diesem Gedanken konkrete Gestalt zu verleihen. Pilgernd wird der Zusammenhang von Wandel und Wandlung – gut evangelisch – am eigenen Leibe erfahrbar.
Das Verhältnis von einer Pilgerreise auf einem konkreten Pilgerweg nach Santiago, Rom oder Jerusalem und dem Verständnis des ganzen Lebens als einer Pilgerreise ist dabei spannungsreich und dialektisch zu begreifen. Das Eine vermag das Andere durchsichtig zu machen. Das Pilgern auf den Wegen des irdischen Lebens kann zur Einübung werden für das »Wandern zur großen Ewigkeit«. Umgekehrt leuchtet das himmlische Ziel dem irdischen Wanderer als Orientierungsmarke in der Gegenwart auf. Dieses Ziel erinnert Menschen daran, seien sie nun auf den alltäglichen oder außeralltäglichen Wegen und Pilgerwegen unterwegs, dass ein Mensch und Christ hier keine bleibende Stadt hat, sondern die zukünftige sucht (Hebr. 13,14). Denn schließlich ist das ganze Leben eine Reise.32


Literatur in Auswahl:

Bischof, Rudolf / Gasperi, Klaus: Das kleine Buch zum Pilgern. Texte und Impulse fürs achtsame Gehen, Innsbruck 2005
Buber, Martin: Der Weg des Menschen nach der chassidischen Lehre
Clotz, Paul Martin: Unterwegs mit Gott. Ökumenische Pilgerwege. Gießen 1998
Deichgräber, Reinhard: Und unterwegs wirst du ein anderer Mensch. Vom Wunder der Wandlung, Brunnen Verlag Gießen, 2. Aufl. 1999
Engelsberger, Gerhard: In der Bibel unterwegs. Reisegeschichten. Evangelische Gesellschaft, Stuttgart, o.J.
Gerland, Manfred: Faszination Pilgern. Eine Spurensuche, Leipzig 2009
Hennig, Christoph: Reiselust. Touristiker, Tourismus und Urlaubskultur, Frankfurt 1997
Hennig, Christoph: Der Wunsch nach Verwandlung. Mythen des Tourismus (hrsg. Evangelische Akademie Baden), Herrenalber Forum 29, Karlsruhe 2001
Herbers, Klaus: Jakobsweg. Geschichte und Kultur eine Pilgerfahrt, München 2007
Josuttis, Manfred: Der Weg in das Leben. Eine Einführung in den Gottesdienst auf verhaltenswissenschaftlicher Grundlage, Gütersloh 2000
Kässmann, Margot (Hg.): Mit Leib und Seele auf dem Weg. Handbuch des Pilgerns in der hannoverschen Landeskirche, Lutherisches Verlagshaus GmbH, Hannover 2007
Kuhlmann, Helga / Leutzsch, Martin / Schroeter-Wittke, Harald (Hg.): Reisen. Fährten für eine Theologie unterwegs, Münster 2003
Lienau, Detlef: Sich fremd gehen. Warum Menschen pilgern, Ostfildern 2009
Luther, Henning: Das Leben als Reise, in: Erk, Wolfgang (hrsg.), Radius Almanach 1991/92, Stuttgart 19991, 63-77
Pilgern in Deutschland, MERIAN live! mit einem Vorwort von Dr. Wolfgang Huber etc.
Nagorni, Klaus: Aufbruch und Wandlung. Über den Zusammenhang von Reisen und Religion, DPfBl 7/2000
Nagorni, Klaus / Ruh, Hans (Hg.): Pilgerwege. Zur Geschichte und Spiritualität des Reisens, Evangelische Akademie Baden, Herrenalber Forum 34, Karlsruhe 2003
Nagorni, Klaus: »Mich trägt die Sehnsucht fort in die weite Ferne«, Evangelische Akademie Baden, Herrenalber Forum 55, 2008
Müller, Peter: Die Seele laufen lassen. Pilgertage und spirituelle Wanderungen, Kösel-Verlag GmbH & Co., München, 2. Aufl. 2005
Tworuschka, Udo: Heilige Wege. Die Reise zu Gott in den Religionen, Frankfurt 2002
Die Kunst des Wanderns. Ein literarisches Lesebuch (Hg. Alexander Knecht), München 1997
»... ich bin ein Fremdling überall.« Publikation zum Wanderer-Zyklus (Hg. Sabine Borris), Berliner Philharmonisches Orchester, 1997


Anmerkungen:

1    So etwa Jens Gundlach: »Wenn ich sage, ich gehe los und will pilgern, dann ist das schon pilgern«, in: Margot Kässmann (Hg.), Mit Leib und Seele unterwegs, Hannover 2007, 45.
2    Klaus Herbers: Warum macht man sich auf den Weg? in: Pilgerwege. Zur Geschichte und Spiritualität des Reisens, Hans Ruh/Klaus Nagorni (Hg.), Evangelische Akademie Baden, 2003, 9ff.
3    Martin Luther: Kritische Gesamtausgabe, Bd. 10, Weimar 1905, 235.
4    Vgl. dazu exemplarisch Wolfgang Büscher »Berlin – Moskau zu Fuß«, Berlin 2003, »Deutschland, eine Reise«, Berlin 2005, oder auch Roger Willemsen »Deutschlandreise«, Frankfurt 2006.
5    Johann Gottfried Seume: Spaziergang nach Syrakus, Frankfurt und Leipzig 2001.
6    Christiane Krautscheid: »Und jeder Schritt des Wanderers ist bedenklich, in: »... ich bin ein Fremdling überall«. Publikationen zum Wanderer-Zyklus. Berlin 1997.
7    Manfred L. Pirner: Auf der Suche nach der Unschuld des Auges. Von inneren und äußeren Reisen, in: Reisen. Fährten für eine Theologie unterwegs, Münster 2003, 42.
8    Manfred Josuttis: Der Weg in das Leben. Eine Einführung in den Gottesdienst auf verhaltenswissenschaftlicher Grundlage, Gütersloh 1991, 107.
9    Ebd., 108.
10    Vgl. dazu verschiedene Beiträge in Margot Kässmann (Hg.), Mit Leib und Seele unterwegs.
11    Hape Kerkeling, Ich bin dann mal weg. Meine Reise auf dem Jakobsweg, München 2006, 342ff.
12    Ebd., 13.
13    Ebd.
14    Christoph Hennig, Reiselust, Touristiker, Tourismus und Urlaubskultur, Frankfurt 1997, 73.
15    Ebd., 79.
16    Ebd., 80.
17    S. dazu Klaus Herbers, Pilgerreisen, 29ff.
18    Hape Kerkeling, 317.
19    Angelus Silesius: Der Himmel ist in dir, Köln 1982, 72.
20    »Gastfrei zu sein, vergeßt nicht, denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt« (Hebr. 13,2).
21    Henning Luther: Das Leben als Reise. In : Wolfgang Erk (Hg.): Radius Almanach 1991/92, Stuttgart, 63-77.
22    Ebd., 76.
23    Grundlegend dafür Arnold von Gennep: Übergangsriten. Frankfurt, Studienausgabe 1999.
24    Vgl. Jochen Klepper: »Der du allein der Ewge heißt und Anfang, Ziel und Mitte weißt...« (EG 64,6).
25    Simone Wustrack: Pilgern – eine alte Tradition in neuer Zeit, in: Pilger – Wege – Räume, Hannover 2005, 69.
26    Vgl. »Fern der Heimat: Kirche. Urlaubs-Seelsorge im Wandel«. Ein Beitrag der EKD zu einer missionarischen Handlungsstrategie, Hannover 2005.
27    Kirche der Freiheit. Perspektiven für die Evangelische Kirche im 21. Jahrhundert, Hannover 2006, 14ff.
28    Gerhard Tersteegen: »Mein Leben sei ein Wandern zur großen Ewigkeit« (EG 481).
29    Paul Gerhardt: »Ich bin ein Gast auf Erden« (EG 529).
30    Vgl. das beispielhafte Kooperationsprojekt »Heilige Orte, sakrale Räume, Pilgerwege. Möglichkeiten und Grenzen des spirituellen Tourismus«, Hrsg. Ministerium für Wirtschaft und Arbeit in Sachsen-Anhalt, 2006.
31    Gerhard Tersteegen, EG 393,4.
32    S. dazu: Das Leben ist eine Reise. Kirche und Tourismus: Impulse – Modelle – Bausteine. Hg.: Evangelischer Arbeitskreis Freizeit–Erholung–Tourismus in der EKD, Hannover 2004.

Über die Autorin / den Autor:

Pfr. Klaus Nagorni, Jahrgang 1948, Studium der Theologie in Bethel, Marburg und Heidelberg, Studentenpfarrer in Freiburg, Auslandspfarrer auf den Balearen, seit 1990 Studienleiter an der Evang. Akademie Baden, seit 2001 geschäftsführender Direktor.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 8/2010

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