Am 19. April 2010 jährt sich der Todestag Philipp Melanchthons zum 450. Mal. Von Melanchthon her können Frömmigkeit, Bildung und Religion nicht als Privatsache begriffen werden, sondern haben Bedeutung für das öffentliche Leben. Konrad Fischer bekommt den Reformator als anregende Leitfigur auch unserer gegenwärtigen Debatten um das Verhältnis von Religion und Gemeinwesen in den Blick.1


Eine Episode aus jüngster Vergangenheit: Im Januar 1934 ist Dietrich Bonhoeffer Auslandspfarrer in London. Gesprächspartner und Freund ist George Bell, Bischof von Chichester und Präsident des in Genf ansässigen Ökumenischen Rats der Kirchen. Als in Deutschland unter dem verschärften nationalsozialistischen Druck die innerkirchlichen Auseinandersetzungen eskalieren (Bethge, Bonh. 396), bereitet der von Bonhoeffer bestens unterrichtete Bischof eine briefliche Intervention bei Reichsbischof Müller vor. Bonhoeffer äußert dazu (mit Schreiben an Bell v. 17. Jan. 1934; BW 13, 81): Ihr Brief sollte mit einer äußerst drastische Missbilligung der von Reichsbischof Müller verfolgten Politik und einer ebenso nachdrücklichen Billigung und Unterstützung der bekennenden Kirche unmittelbar an den Reichspräsidenten von Hindenburg gerichtet sein, und zwar an ihn als ein [wrtl.] »membrum praecipuum« der evangelischen Kirche.

Membrum praecipuum
»Exponiertes Glied« der Kirche – die Formel stammt von Philipp Melanchthon (und gehört, nebenher gesagt, zum Bekenntnisgut der evangelisch-lutherischen Kirche). Sie findet sich bei Melanchthon eingebettet in den Zusammenhang, in welchem angesichts der tiefgreifenden Umwälzungen des Reformationszeitalters und der damit einhergehenden Ordnungs- und Organisationserfordernisse das Verhältnis von geistlichem Auftrag und obrigkeitlicher Verantwortung ordnungspolitisch neu zu justieren und auch rechtlich auf eine neue tragfähige Basis zu stellen war. Hier ist Melanchthon mit der Lehre von der Sorgfaltspflicht der weltlichen Obrigkeit für die Belange der Religion, auf Lateinisch: cura religionis, und der besonderen Verantwortung der politisch exponierten Glieder der christlichen Gemeinde der, wie es der Staatskirchenrechtler Johannes Heckel formulierte, »geistige Ahnherr des deutschen Staatskirchenrechts« geworden.
Auf die Fraglichkeiten, aber auch auf die bleibenden Orientierungen, die sich mit dieser Ahnherrschaft verbinden, werde ich am Ende noch ein wenig eingehen. Nur dass der Hinweis auf diese kleine Episode aus der Hochzeit des Kirchenkampfes aufs beste zu verdeutlichen vermag, wie eng sich im Werk Melanchthons persönliche Frömmigkeit und Öffentlichkeitsanspruch des Evangeliums miteinander verbinden. »Zwiefältig lehrt uns der Heilige Geist: Öffentlich im Dienst der Verkündigung, persönlich aber im Herzen«, notiert er in seiner Auslegung des Johannes­evangeliums (CR 15, 320 zu Joh. 14,26). »Deshalb muss unter den Menschen das Evangelium öffentlich ausgehen, und muss der Dienst am Evangelium öffentlich geschehen, und deshalb müssen öffentliche Versammlungen sein, denn durch den Dienst des Evangeliums hat Gott sich selber öffentlich gemacht (patefecit)« (vgl. l. pr. De Eccl., MSA 2.2, 475).
Ich will diese Formulierungen nicht überdehnen. Aber ich möchte darauf aufmerksam machen, in welchem Umfang und mit welchem Nachdruck sich hier der Öffentlichkeitsanspruch des Glaubens, der Öffentlichkeitsanspruch der Kirche und ich sage jetzt absichtsvoll pointiert: der Öffentlichkeitsanspruch Gottes zur Geltung bringen. Die Bühne, auf der Gott sich sichtbar machen will, ist die Welt. Und wie aber sollte er in ihr sichtbar werden, wenn nicht in der Wahrnehmbarkeit des Glaubens, wenn nicht in der Öffentlichkeit des ergehenden Wortes, wenn nicht im öffentlichen Handeln der Kirche? Religion ist niemals Privatsache. Religion ist ein eminent, ein wesenhaft öffentlicher Sachverhalt. Das lässt sich an Melanchthon wie an keinem anderen lernen und studieren.
Es wird mir also im Folgenden darum gehen, die innere Klimax zu verdeutlichen, in der sich bei Melanchthon persönliche Frömmigkeit auf öffentliche Verantwortungsübernahme hin entfaltet, wie anders die Frömmigkeit der Einzelnen auf die Bereithaltung des öffentlichen Raums für die Belange der Religion angewiesen bleibt. Ich werde deshalb zunächst einige Spezifika des melanchthonischen Frömmigkeitsverständnisses zur Sprache bringen. In einem zweiten Schritt wende ich mich der Funktion und Wertigkeit des Bildungsdenkens im Werk Melanchthon zu, um dann im dritten und abschließenden Schritt ein paar Überlegungen anzubieten zu der Frage, ob und in welcher Weise der oben angesprochene reformatorische Traditionsbegriff der cura religionis in unserer Gegenwart unter den Bedingungen des religionsneutralen Staates und der pluralistisch verfassten Gesellschaft fruchtbar gemacht werden kann.


I. Frömmigkeit

Der Begriff liegt nicht im Trend. häufiger kann man heute von Spiritualität sprechen hören. Beides, Spiritualität und Frömmigkeit, wird gegenwärtig wechselweise und mit verschwimmenden Bedeutungsinhalten gebraucht, und dennoch sind beide Begriffe gewissermaßen sprachatmosphärisch und also in ihrer inhaltlichen Tendenz charakteristisch unterschieden.
Der Herkunft nach ist Spiritualität bzw. spiritualis die Latinisierung der griechischen Eigenschaftsbestimmung pneumatikos, von Paulus geprägt und in Entgegensetzung zur Sphäre des Fleischlich-Welthaften (sarkikos) häufig benutzt in Wendungen wie der von den »geistlichen Gaben« (Röm. 1,11), den »geistlichen Dingen« und »geistlichen Menschen« (1. Kor. 2,13), der »geistlichen Speise« (1. Kor. 10,3f), dem »geistlichen Auferstehungsleib« (1. Kor. 15,44). Pneumatikos / spiritualis meint insoweit ursprünglich die mit dem Geist Gottes begabte, vom Geist durchdrungene und ihrer Wesensqualität nach ins Geistliche verwandelte Existenz, Zuständlichkeit und Verfasstheit. Personen wie Sachen und Sachverhalte können hier gleichermaßen in den Blick treten. Das hat sich einigermaßen verbreitert. Heute kann man von spirituellen Menschen, spirituellen Orten, spirituellen Situationen reden und von mancherlei Spiritualität mehr. Das bringt den Begriff in die Gefahr, bis ins Ungefähre eines irgendwie bewussten oder auch nur behaupteten Transzendenzbezugs verflüchtigt zu werden. Michael Plathow hat ihn kürzlich, wie ich meine: zutreffend, als modernen »Containerbegriff« charakterisiert.
Anders der Wortgebrauch bei Melanchthon. Bei ihm erscheint das Stichwort spiritualis in scharfer, geradezu exklusiver Eingrenzung auf das Heilswerk Gottes. Gott selber ist rein geistlichen Wesens, eine essentia spiritualis. Spiritualis, geistlich, ist auch der Vorgang, in welchem das Evangelium den Glauben stiftet. »Da hauchen«, erklärt Melanchthon, »der ewige Vater und der Sohn dir den heiligen Geist ins Herz und verbinden dich mit sich selbst«. Damit hebt »die Erleuchtung zur Erkenntnis Gottes in uns an, aber der heilige Geist gibt den Gemütserregungen Stoßrichtung und Gepräge« [addit motus; CR 24, 921].
Es wird in diesen wenigen Sätzen merkbar, wie für Melanchthon der Glaube immer auf seine existenzielle Spitze hin zu begreifen ist. In seinem Zentrum steht die von Christus her gnadenhaft zugesprochene und erfahrene Vergebung der Sünden: »Das kann einer leicht sagen, dass Gott die Vergebung der Sünden gewährt, nämlich irgendwelchen anderen Leuten. So gehen auch die Teufel mit dem Bekenntnis um. Aber das Evangelium fordert einen wahrhaften Glauben, einen, der aus dem Vertrauen in die Barmherzigkeit Gottes um des Sohnes willen lebt. Ein solcher Glaube findet seine Ruhe im Sohn Gottes und spricht: Ich glaube, dass die Vergebung der Sünden auch mir zuteil wird, MIR« (MSA 6, 138).

Meditatio spiritualis
Diese im Glauben erfahrene Vergebung der Sünden bildet gewissermaßen das Fundament in der personalen Heilsereignung des Glaubens. »Wir lehren«, so formuliert die von Melanchthon im Jahr 1530 zu Augsburg verfasste Bekenntnisschrift in ihrem zweiten Artikel, »dass nach Adams Fall alle Menschen, so naturlich geborn werden, […] von Mutterleib an voll boser Lust und Neigung seind und kein wahre Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott von Natur haben können.« Und wenn also Melanchthon seine Studenten eindringlich zu einer regelmäßigen geistlichen Betrachtung (meditatio seu cogitatio; CR 24, 620) der Schrift ermahnt, so meint er diejenige meditatio spiritualis, »wo wir in der Betrachtung des gekreuzigten Christus vor dem Zorn Gottes erschrecken und zugleich durchflutet sind von der überwältigenden Fülle seiner Barmherzigkeit.« (ebd. 622).
Seit seinen frühen deutschen Texten [Unterscheidt 1522] gibt Melanchthon diese meditatio spiritualis mit dem Wort Frömmigkeit wieder: »Dieses ist nun gottliche Fromkeit in uns, die Christus in uns wirket […], das ist, wenn unser Herz vom heiligen Geist bewegt wird, dasz es erschrickt vor dem groszen Zorn Gottes von unsrer Sunden wegen, und ergreift die Gnade und Verzeihung der Sunden durch Christum, und empfahet also Trost, und gewinnt ein sicher, frohlich herzhaftige Zuversicht zu Gott, dasz es sich muthiglich Gott ergibt in allen Anstoszen, und versieht sich Gutes zu Gott, und merkt, dasz er allenthalben ein Aufsehen auf uns hat« (CR 1, 525). Das Erschrecken, der Trost, die Gotteszuversicht und »dass er allenthalben ein Aufsehen auf uns hat«, das sind die Koordinaten, innerhalb deren sich für Melanchthon das Wesen der Frömmigkeit ausmachen lässt. Nicht weit davon, wie ich finde, wird 300 Jahre später Friedrich Schleiermacher diese Koordinaten auf die Formel konzentrieren: »Das Gemeinsame aller noch so verschiedenen Äußerungen der Frömmigkeit […] ist dieses, dass wir uns unsrer selbst […] als in Beziehung mit Gott bewusst sind«.
Was hier gleichsam nur in abstrakten Worten beschrieben werden kann, gewinnt Farbe an einem Begebnis aus der Biographie Melanchthons, das uns in, wie ich finde, geradezu ergreifender Weise das persönliche Frömmigkeitserleben Melanchthons nahe bringt. Am 21. August 1529 berichtet er seinem Freund Kaspar Adler (Casparus Aquila), Pfarrer zu Saalfeld, brieflich vom Tod seines Sohnes Georg: »Dieser ganze Sommer ist bei uns unter unaufhörlichen Schmerzen und Traurigkeiten dahingegangen. Mein kleiner Sohn, der mir in Jena geboren worden ist, ist gestorben. Nichts in diesem Leben ist mir je näher und lieber gewesen als dieses Kind. Sein Verlust bedeutet mir einen Schmerz, für den ich keine Worte zu finden vermag« (CR 4, 969f.).
Und ich flechte hier ein: Die beschränkte Überlebensperspektive der Neugeborenen und das vorzeitige Sterben von Kindern, das bis ins späte 19. Jh. flächendeckend und ausweislich der Kirchenbücher mancherorts noch bis in die 50er Jahre des 20. Jh. – jedenfalls im ländlichen Raum – in nicht geringem Umfang die Lebenswirklichkeit der Menschen mitbestimmte (und in manchen Armutsländern heute noch mitbestimmt), darf von uns Nachgeborenen auf keinen Fall als stumm hingenommene Schickung klein geschrieben oder als geduldig getragenes Kismet einer an Schicksalsschläge gewohnten Zeit verharmlost werden. »Ach, es ist ein bitt­res Leiden / Und ein rechter Myrrhentrank / Sich von seinen Kindern scheiden / Durch den schweren Todesgang / Hier geschieht ein Herzensbrechen / das kein Mund recht kann aussprechen«, heißt es in einem erfahrungsgesättigten Vers Paul Gerhardts aus dem Jahr 1659 (Cr-S 121,2).
Aber zurück zu Melanchthon: Zwanzig Jahre nach dem Tod des Söhnchens Georg (also im Jahr 1549) beschreibt Melanchthon gelegentlich eines Trostbriefes an seinen Freund Aepinus zu Hamburg eine mit der seinerzeitigen Traurigkeit verbundene und offenbar lebenslang wirksame Frömmigkeitserfahrung. In, wie sich vermuten lässt, bewusster formaler Anspielung auf Paulus in 2. Kor. 12 verfremdet er seinen Bericht zum Erlebnis eines Dritten. Er schreibt: »Ich erinnere mich an einen Freund. Dem starb sein Kind. In unsäglichen Schmerzen befangen, umgetrieben in tiefer Traurigkeit, stieß er unvermutet auf die Stelle des Psalms, an der es heißt: ‚Er hat uns gemacht, und nicht wir selbst, zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide’ (Ps. 100,3). Kaum dass er’s las, durchfuhr ihn der Hinweis auf die Fürsorge Gottes bis auf den Grund seiner Seele, so, als wäre, sagte er, unterm Lesen augenblicklich in seinem Herzen ein göttliches Licht entzündet worden. Von da an fand er zu einer maßvollen Ruhe des Gemüts.« Es ist dies nicht das einzige Mal, dass Melanchthon von diesem Trauer- und Trostereignis berichtet. In einem nahezu 15 Jahre umspannenden Zeitraum kommt er immer wieder darauf sprechen, ein Beleg für die Nachhaltigkeit des geschilderten Ereignisses. (Stelle: CR 7, 429; weitere Berichte von dieser Erfahrung in MBW 2471 CR 3, 1069 [1540]; MBW 3344 CR 5, 196 [1548]; MBW 7460.1 CR 8, 257 [1554] [Alles nach Jung, Frömmigkeit und Theologie, 57 Anm. 74)].

Ver-ostung der Seele
Gerne füge ich an dieser Stelle eine Bemerkung ein, die nach meiner Überzeugung über Melanchthon hinaus in Bezug auf das ministerium verbi, also auf den Dienst der Verkündigung insgesamt in Ansatz zu bringen ist: Wo das Wort der Schrift in der Kraft des heiligen Geistes am Werk ist, da wirkt es nicht nur eine das Herz ergreifende Deutung menschlichen Ergehens und Befindens sub specie Dei (vgl. Hebr. 4,12); da wird es also nicht nur, wie Paulus das in Röm. 8 beschreibt, in der vom Heiligen Geist wahrgenommenen Stellvertreterschaft zur Entzifferung unseres Seufzens vor Gott. Vielmehr stiftet sich in ihm zugleich ein Neues, eine neue Ausrichtung der Seele, eine Orientierung, eine – ins Deutsche gebracht – Ver-ostung und Wendung dem Licht, dem Ort der Auferweckung, der Stadt Jerusalem entgegen. Unterm Wort der Schrift, so interpretiere ich die eben geschilderte Situation aus dem Leben Melanchthons, begreift die Trauer das tote Kind nicht mehr bloß als totes, nicht mehr bloß als Leichnam und nicht mehr bloß als corps in diesem unsäglichen englischen Sinne. Vielmehr wird es kraft Wortes nunmehr als Kreatur aus der Hand eines fürsorgenden Schöpfers, Schäflein in der Herde Gottes und unverlierbares Glied am Leibe Christi bewusst. Die Traurigkeit der Welt, welche, wie die Schrift sagt, den Tod wirkt, wandelt sich nach Gottes Willen in eine solche zur Seligkeit (2. Kor. 7,10). Denn wo das Wort zur Wirkung kommt, da ereignet sich ein unableitbar Neues (Jes. 42,6; 2. Kor. 5,17; Apk. 21,5).
Wobei jetzt von der seelsorglichen Dimension im Frömmigkeitsentwurf Melanchthons zu sprechen wäre. Nicht allerdings so, dass er, Melanchthon, der Seelsorger wäre (der er natürlich auch ist). Gott selber ist der Seelsorger. Im Opfer Christi leistet Gott selbst an uns den Dienst der Erbarmung. Deshalb ist für Melanchthon jeder Gottesbegriff verfehlt, der an der in Christus offenbar gewordenen Barmherzigkeit vorübergeht. Und gerne merke ich an dieser Stelle noch an: Der Begriff Theologie (was zu deutsch nichts anderes bedeutet als Gottes-wissenschaft oder Gottes-lehre) ist im Schrifttum Melanchthons eigentümlich unterrepräsentiert. An seiner Stelle steht, lebendig und geradezu lebensprall in diesem wunderbaren Sinn, in welchem Schleiermacher von der Gottseligkeitswissenschaft zu sprechen wusste, bei Melanchthon die pura doctrina evangelii, die reine Lehre des Evangeliums, nur freilich nicht als Be-lehrung im Sinne dogmatistischer Besserwisserei, sondern als diejenige Lehre und doctrina, von der es im Ps. 25,4 heißt: »Herr, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige.«
Man merkt: Wo so gesprochen und gelehrt wird, da geschieht Lehre, doctrina, immer unter der Gestalt des Gebets. Deshalb gehört neben der consolatio, der Tröstung, die invocatio, die Anrufung Gottes, zu den zentralen Stichworten im Frömmigkeitsspektrum Melanchthons. »Fromm sein und beten, heißt es bei Schleiermacher an bestimmter Stelle, ist ein und dasselbige« (Fischer, Gegenwart Christi, 29 Anm. 82). Das trifft auf Melanchthon in einem äußersten Maße zu. Doctrina, Lehre, ist Vermittlung von Glaubensgut, Gebet und Anbetung in einem. Sie ist selber gottesdienstlicher Vollzug. Und so sind alle, die des Amtes zu walten haben, nicht nur als Pfarrerinnen und Pfarrer, sondern als diejenigen Glieder der Kirche, denen als Ältesten die reine Lehre des Evangeliums anvertraut ist, so sind also auch diese Hohe Synode und die in ihr als membra praecipua ecclesiae Versammelten, zugleich auch Lehrerinnen und Lehrer, als Älteste pastores und doctores, Hirten, Lehrerinnen und Lehrer zugleich.


II. Doctrina – Lehre

Das Wort Bildung hat erst auf das Ende des 18. Jh. hin seine heutige Ausprägung erfahren. Die Unschärfen, die sich bei seiner Übersetzung in benachbarte europäische Sprachen ergeben, signalisieren die besondere Aura des Begriffs. Bis auf den heutigen Tag eignet dem Wort eine quasireligiöse Unterströmung, die sich seiner Herkunft aus den Entwicklungen der spätmittelalterlichen Mystik ebenso verdankt wie dem Erbe des frühneuzeitlichen Humanismus und der umwälzenden Neugestaltung des Unterrichtswesens im Zeitalter der Reformation. Melanchthon spricht, wenn er Bildung meint, von eruditio / Entrohung, ein Begriff, der in bezug auf das Menschenbild strukturell in die Nähe jener Lehre von der Ursünde führt, von der ich oben bereits zu sprechen hatte. Wo es am Wort Gottes mangelt, da herrscht die Sünde; und wo es an eruditio, an Entrohung oder, für heute zu sprechen, an Bildung mangelt, da herrscht die ruditas, die Rohheit, die nicht erst dort um sich greift, wo die Christusbotschaft nicht bekannt ist, sondern dort bereits, wo die von Gott dem Menschen eingestiftete natürliche sittliche Erkenntnis übergangen und missachtet wird. So nämlich, wie Christus Ziel und Ingebriff des Evangeliums ist, so ist die sittliche Erkenntnis Ziel und Ingebriff der Bildung. Das eine ist auf das andere konvergent, und zwar so sehr, dass Melanchthon beide, pietas und eruditio, Frömmigkeit und Bildung, nahezu gleichgewichtig als diejenigen Zielpunkte des Lebens benennen kann, auf die alles andere hinzuordnen ist (CR [Suppl.] 31, 373). »Wenn also einer«, bemerkt er dazu, »sich sein persönliches Heil und, wie es sich gehört, das öffentliche Wohl angelegen sein lässt, so soll er alle seine Kräfte daran wenden, eine solide und umfassende Bildung zu erwerben.« (ebd.)2
Grundlegendes Dokument für Melanchthons Bildungsdenken ist neben der bahnbrechenden Wittenberger Antrittsvorlesung, mit der er 1518 als eben berufener 21jähriger Griechischprofessor den Zusammenhang von Bildung, Sittlichkeit und öffentlichem Wohl programmatisch entfaltet hatte (Mel. dt. 61) und neben der kaum weniger bedeutenden Rede, die er 1526 anlässlich der Einweihung der Nürnberger Lateinschule hielt (ebd. 100) – Urbild unserer bis heute bestehenden humanistischen Gymnasien –, grundlegendes Dokument also ist die Schulordnung Melanchthons aus dem Jahr 1527.

Die Schulordnung von 1527
In dieser Schulordnung, die in den Territorien der Reformation und am Ende europaweit buchstäblich Schule machte, werden ähnlich wie in der heute geltenden Einteilung nach Primarstufe, Sekundarstufe I und Sekundarstufe II (und so gesehen zugleich als Urmuster des heute heftig umstrittenen dreigliedrigen Schulsystems) die Schüler je nach Leistungsvermögen in drei Haufen eingeteilt. Ziel des Unterrichts ist vor allem die konsequente Einübung der lateinischen Sprache. »Ich bitte und beschwöre nicht nur die Unterrichtenden«, schreibt Melanchthon 1548 in einem Grußwort an die Zwickauer Schuljugend [Hartfelder paed. 63; Fischer, Lateinschule], »sondern auch die Verantwortlichen des Magistrats, welchen die Aufsicht über die Bildung der Jugend obliegt, dass sie auf’s peinlichste darauf achten, dass die Jugend strikte in den Regeln der Grammatik unterwiesen wird.« Denn dies, so fährt er fort, sei die Voraussetzung dafür, komplizierte Zusammenhänge nicht nur zu begreifen, sondern auch selber sachgemäß darstellen zu können.
Ich verknüpfe dieser Ermahnung die These, dass seinerzeit – und das kann auch für die Gegenwart geltend gemacht werden – mit der Beherrschung der lateinischen Sprache zugleich auch, unterschwellig gewissermaßen, die Herausbildung einer verlässlichen und standardisierten deutschsprachigen Kommunikation mit auf dem Spiel stand. Schule, Sprachübung und präziser Umgang mit den Realien des Wissens bildeten nicht nur die Voraussetzung für die Durchschlagskraft der auf persönlichen Glauben und verantwortliche Schriftauslegung abzielenden Reformulierung des Evangeliums durch die Reformation. Sie waren zugleich für die politische und gesellschaftliche Organisation der sich neu formierenden Territorien unabdingbar. Es galt, Bildungsressourcen zu erschließen, um den Anforderungen eines modernen Kirchen- und Gemeinwesens gerecht zu werden. »Es sollen auch die Prediger die leute vermanen, yhre kinder zur schule zu thun, damit man leut aufziehe, geschickt zu lehren ynn der kirchen und sonst zu regiren.« (MSA 1, 265)
Nahezu 30 Jahre und einige Entwicklungsstufen später findet sich dieselbe Ordnung unter der Überschrift »Von den lateinischen Schulen« in der kurpfälzischen Kirchenordnung Ottheinrichs wie folgt bevorwortet: »Es ist bey menigklich rechts gesundts verstands bekentlich, das die schulen nicht allein zur leer der guten nutzlichen kunsten, sonder auch zuerhaltung der notigen ambter inn kirchen, in regimenten vnd im haußhalten dienstlich, nutzlich und nothig sind.« (Hauß-Zier 107). Zu deutsch: Man benötigte Fachkräfte für Kirche, Verwaltung und Finanzwirtschaft.

Heiligkeit der Bildung
Das alles deutet nach erstem Augenschein auf ein rein funktional-instrumentelles Bildungsverständnis: Präzise Schriftauslegung setzt präzise Sprach- und Sachkenntnisse voraus. Konsistente Leitung in Kirche und Gemeinwesen setzt ebenso präzise kulturwissenschaftliche, historische und juristische Kenntnisse voraus. Ökonomischer Erfolg setzt präzise gesellschafts- und naturwissenschaftliche Kenntnisse voraus. Erfolg am Arbeitsmarkt setzt einen hohen Ausbildungsstand voraus. »Bildung ist die Voraussetzung für Wohlstand«, hieß das im jüngst zurückliegenden Wahlkampf unserer Republik. Nur lässt sich Melanchthons Bildungsgedanke darauf keinesfalls reduzieren. »Vor dieser Zeit ist man um des Bauches willen zur Schule gelaufen […] Warum tun wir Gott nicht die Ehre, dass wir um seines Befehls willen lernen?« (MSA 266). Jetzt also wird – und das ist, wenn ich es richtig sehe, in der europäischen Bildungsgeschichte ein Novum – Bildung als eine mit Wort und Gebot Gottes begründete Pflicht neu definiert: »Darümb sollen die Eltern, umb Gottes willen, die kinder zur schule thun und sie Gott dem Herrn zurüsten« [MSA 1, 266.; vgl. Stempel]. Erkennbar bereitet sich hier der Gedanke einer allgemeinen Schulpflicht vor, korrespondiert von der Forderung an die öffentlichen Bildungsträger auf pflichtgemäßen Unterhalt der nötigen Einrichtungen einschließlich der Qualifikation und angemessenen Besoldung des Lehrpersonals. Dem Magistrat der Stadt Soest schreibt Melanchthon im Jahr 1543: »Wisst, dass die rechte Bestellung einer christlichen Schule der höchsten Gottesdienste einer ist« [Haustein 218].
Auf diese Weise treten Bildung und gottesdienstliches Geschehen auf’s dichteste inein­ander. Dabei lässt die Frage von Erfüllung oder Nicht-Erfüllung der elterlichen und obrigkeitlichen Bildungspflicht den Horizont von »nützlich« oder »unnütz« hinter sich und findet sich jetzt geistlich qualifiziert, wofern, wenn Eltern und Gemeinwesen ihre Kinder »Gott dem Herrn zurüsten« sollen, der Vollzug dieser Weisung als gottgefällig, die fahrlässige oder vorsätzliche Verweigerung derselben aber als Versagen und Verstoß gegen die Frömmigkeit, mindestens also als Undankbarkeit gegen Gott, massiver gesprochen, als Sünde zu gelten hat. Stellt man das in moderne Sprachführung ein, so kommen hier Bildungsaufgabe und Bildungsanspruch im Vorschein menschenrechtlicher Verbindlichkeit zu stehen. »Ich muss«, erklärt Melanchthon in einer Rede aus dem Jahr 1536, »auch über die Heiligkeit der Bildung etwas sagen […] Denn dazu insbesondere sind die Menschen erschaffen, dass sie einander über Gott und über das Gute unterweisen. Dafür hat Gott ihnen die Sprache gegeben. Deshalb steht außer Frage, das dasjenige Leben, das sich in Lehren und Lernen entfaltet, das überhaupt Gott wohlgefälligste ist« (CR 11, 301. 314 = Reclam 208. 214).
Es handelt sich um eine akademische Promotionsrede, und gewiss darf hier nicht überzogen werden. Aber es wird schon deutlich, in welchem Ausmaße Bildung in den Vollzug von Frömmigkeit hineingehört. Ja, wäre der Sündenfall nicht dazwischengekommen, so lebten wir bis heute in einer paradiesischen Lerngemeinschaft, »in der die Älteren und Kenntnisreicheren sich mit den Jüngeren in fortwährender Vergnüglichkeit über die Dinge Gottes, über die Natur, über die Unsterblichkeit der Seele, über die Bewegung der Himmelskörper, über die Obliegenheiten des Lebens austauschten« (CR 11, 301 = Reclam 208). Wie gesagt: Man darf hier nichts pressen. Dennoch ist unübersehbar, wie hier Bildungsbereitschaft und Bildungsvollzug als zentrale Lebensäußerung der Frömmigkeit begriffen werden. Wenn deshalb die Bildungsdenkschrift der EKD aus dem Jahr 2003 mit dem Titel »Maße des Menschlichen« unter den Grundmerkmalen evangelischen Bildungsverständnisses formuliert: »Bildung erinnert an die Güter des Lebens als Gottes Gaben, erzieht zu Dankbarkeit, schärft ein, Maße und Grenzen menschlicher Geschöpflichkeit ernst zu nehmen, und ermutigt, in der Kraft des befreienden Evangeliums von Jesus Christus bei allen gesellschaftlichen Aufgaben verantwortungsvoll und hoffnungsvoll mitzuwirken« (DS 64), so bin ich nicht sicher, ob hier nicht doch, viereinhalb Jahrhunderte nach seinem Tod, Melanchthon selber als Schriftführer beteiligt gewesen sein könnte. In seiner Perspektive bleibt verantwortliche Teilhabe am gesellschaftlichen Bildungsgeschehen ein unaufgebbares Kernelement reformatorischer Frömmigkeit.


III. Religionsverantwortung

Von seinen Anfängen an ist reformatorisches Glaubensverständnis ein auf die gesellschaftliche Entwicklung des Humanum insgesamt bezogener Ordnungsentwurf gewesen. Als ich vor 30 Jahren meinen Dienst in der evang. Kirchengemeinde Heddesheim antrat, bezog ich mit meiner Familie ein beeindruckendes, unmittelbar neben der Kirche gelegenes Pfarrhaus. Gute 100 Meter südlich davon das Rathaus; andere 100 Meter in nördlicher Richtung das Schulhaus; direkt gegenüber aber die Polizeiwache; das Ganze ein für den Ordnungsentwurf der Reformation nachgerade symbolisches Ensemble, gewissermaßen eine zu Stein und Straße geronnene reformatorische Kirchenordnung.
Aufgabe der Kirche, sagt Melanchthon, ist die Reinhaltung der Lehre, die Verkündigung des Wortes, die Austeilung der Sakramente, die Pflege von Kultus und Frömmigkeit. Hier lässt sich nichts delegieren. Hier bleibt jede Christin und jeder Christ in unvertretbarer Verantwortlichkeit befasst. »Aufgrund der Taufe ist jedes Glied der Kirche zu Zeugnis und Dienst in der Gemeinde und in der Welt bevollmächtigt und verpflichtet.« So hallt das bis in unsere Tage in der Grundordnung der Evangelischen Landeskirche in Baden nach (Art. 1 Abs. 3 GO). In dieser Grundverantwortlichkeit steht für Melanchthon auch der Fürst, auch das Mitglied des Magistrats, jeder, der in der Leitung des Gemeinwesens Verantwortung zu tragen hat.

Cura religionis
Hieraus entwickelt Melanchthon die Lehre von der cura religionis, der Sorgfaltspflicht der christlichen Obrigkeit für die Belange der Religion. Die Obrigkeit, nach Gottes Willen eingesetzt und mit Vollmacht zur Wahrung der gesellschaftlichen Disziplin versehen, Hüterin von Recht, Sicherheit und gesellschaftlicher Stabilität, hat, so formuliert er es ab etwa der Mitte der 30er Jahre, nicht nur die Aufgabe, das menschliche Miteinander sozialverträglich zu organisieren. Sie ist auch für die Gottesverträglichkeit zuständig, jedenfalls, was die äußeren Bedingungen angeht. Sie ist, abgekürzt gesprochen, Hüterin beider Tafeln des Gesetzes, also nicht bloß der Gebote 4-10, sondern auch der Gebote 1-3. Denn »das Amt der Obrigkeit ist nicht das von Rinderhirten, dass sie lediglich für den Bauch zu sorgen hätte.« Ihr obliegt auch die Fürsorge für den Kultus, und das nun allerdings nicht kraft Funktion, sondern kraft der geistlichen Gewissensbindung der Funktionsträger. Als Hüterin auch der ersten Tafel des Dekalogs hat sie für die Präsenz der reinen Lehre einzustehen.
Die auch fatalen Entwicklungen, die sich unter den Bedingungen des seinerzeit geltenden nonpluralen, monistischen, einspurig repressiven Wahrheitsbegriffs aus dieser Konstruktion ergaben, will ich nicht verschweigen. Der für seine Gesprächsbereitschaft immer wieder gerühmte Melanchthon war gegen aufrührerische Bauern, gegen alles Schwärmerische, Täuferische und Ketzerische von erstaunlicher Schroffheit. Hier hatte selbstverständlich die Obrigkeit einzuschreiten, hier war selbstverständlich bei vergeblichen Bekehrungsversuchen der Tod zu verhängen. Und selbstverständlich hatte Blasphemie als todeswürdiges Verbrechen zu gelten. Da steht Melanchthon völlig im Strom seiner Zeit. Nicht lange hernach haben seine Schüler die Konstruktion der cura religionis, der Religionsverantwortung, vom Gewissen der obrigkeitlichen Person abgelöst und sie an die Funktion gebunden, Geburtsstunde des sog. landesherrlichen Kirchenregiments. Über alle diese Dinge wäre, was ihre Vorgeschichte und Geschichte angeht, noch Vieles zu erläutern. Ich will das jetzt nicht mehr tun. Ich will nur in einem letzten Gedankenschritt die Frage nach Bedeutung und Verbleib der cura religionis aufwerfen.

Öffentliche Religion
1. Von Melanchthon her können Frömmigkeit, Bildung und Religion niemals als Privatsache begriffen werden. Sie bleiben auch unter den Bedingungen der Moderne ein zentraler öffentlicher und öffentlichkeitsrelevanter Sachverhalt. Religion ist wesentlich öffentlichkeitskonstitutiv. Ihr eignet nicht nur die vorhin beschriebene Konvergenz auf das Bildungsgeschehen. Ihr eignet darüber hinaus Konvergenz auf die sittliche Gestaltung des gesellschaftlichen Lebenszusammenhangs insgesamt. Insofern gehört Melanchthons Denken in den Wurzelgrund des Projekts, das für die Gegenwart unter dem Stichwort »Öffentliche Theologie« zu beschreiben ist. Ich erkenne darin für unsere Kirche insgesamt wie für die einzelnen Gemeinden im Rahmen ihrer lokalen und regionalen Verantwortung eine nachdrückliche Ermutigung zur aktiven Teilhabe am öffentlichen Diskurs wie auch das Recht der Kirchen und Religionsgemeinschaften zu einer diskursiven Inpflichtnahme der öffentlichen Hand in Fragen der gesellschaftlichen Leitwerte und Normen.
2. Mit der Lehre von der cura religionis hat Melanchthon seinerzeit diejenige Konstruktion geschaffen, die unter den Bedingungen der Reformation den in kirchlicher Selbstverantwortung wahrzunehmenden Auftrag öffentlicher Religionsausübung mit der Verantwortung des Gemeinwesens für die Ausübung von Religion zusammenzudenken erlaubt. Prinzipiell ist damit Religion als öffentliches Gut gesichert. Ich möchte deshalb vorschlagen, die mit den Stichworten Aufklärung, Französische Revolution, Novemberrevolution und Säkularisierung zu beschreibenden Verschiebungen und Brüche im Verhältnis von Religion, Staat und Gesellschaft nicht einfach als Ab-brüche zu interpretieren. »Die Erhaltung und Förderung von Bildung und Wissenschaft […] und ebenso auch eine – nicht hoheitlich, sondern raumgebend verstandene – Religionspolitik sind Felder, auf und in denen der Staat im Blick auf die Voraussetzungen, von denen er lebt, tätig sein und Sorge [lat.: cura] tragen kann«, notiert der bedeutende Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde in einem seiner neueren Texte [Böckenförde 20023]. In sachlicher Nähe dazu bemerkt Wolfgang Huber: Es »gibt […] eine Pflicht des Staates, die Religion als Lebensmacht wahrzunehmen und sie ohne falsche Parteinahme zu fördern«.4
3. Unter den Bedingungen des neuzeitlichen Pluralismus bleibt als Substrat der melanchthonischen Lehre von der cura religionis die Verantwortung der öffentlichen Hand für die Religionsausübung der Bürgerinnen und Bürger. Das ist nicht nur auf christliche Religion, sondern auf das Kulturgut Religion insgesamt in Ansatz zu bringen. Nach religionsgeschichtlicher und religionssoziologischer Einsicht stehen Wohlergehen der Religion und Wohlergehen des öffentlichen Gemeinwesens untereinander in dichter innerer Wechselwirkung. Eine hohe und organisatorisch wirksame Sensibilität für die religiöse wie für die gesellschaftliche Bedeutung dieser Wechselwirkung – das nenne ich jetzt das über die Grenzen Melanchthons und seiner Zeit hinausgehende innere Anliegen meiner Überlegungen.


Anmerkungen:

1    Vortrag vor der Landessynode der Evang. Landeskirche in Baden, Bad Herrenalb, 20.10.2009.
2    Mit welch spielerischen Feinsinn Melanchthon diese Konvergenz zu zelebrieren wusste, wird auf‘s schönste deutlich, wenn er in Anspielung auf die Warnung des Apostels Paulus vor Nichtsnutzen, die den Bauch zu ihrem Gott machen (Phil. 3,19; vgl. Röm. 16,18), eben nicht die Bibel, sondern einen Vers des Euripides aus dem Satyrspiel »Der Zyklop« zitiert: »Ich scheue keine himmlischen Mächte. Ich opfere allein dem einen, dem größten unter allen Göttern: meinem Bauch.« (MSA 3, 165).
3    Böckenförde, Ernst-Wolfgang: »Der freiheitliche säkularisierte Staat...« In: Susanna Schmidt und Michael Wesell: »Um der Freiheit willen ...«. Kirche und Staat im 21. Jahrhundert. FS für Burkhard Reichert. Freiburg u.a. 2002, 19-23; zit. 21.
4    Huber, Geist der Freiheit [2007] 28.

Über die Autorin / den Autor:

Pfarrer Dr. theol. Konrad Fischer, Jahrgang 1943, bis zum Eintritt in den Ruhestand 2008 Melanchthonbeauftragter der Badischen Landeskirche (in Zusammenarbeit mit der Europ. Melanchthonakademie Bretten); Texte und Publikationen unter: www.KonradFischer.de.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 4/2010

Kommentieren Sie diesen Artikel
Pflichtfelder sind mit * markiert.
Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.
Spamschutz: dieses Feld bitte nicht ausfüllen.