Liebe, die Gräben überschreitet und Grenzen überwindet

Der Prolog
Der Prolog des Johannesevangeliums – Joh. 1,1-18 – bringt das Weihnachtsgeschehen theologisch auf den Punkt: Das Kind, das Maria zur Welt gebracht hat (vgl. Luk. 2), ist der »Logos«, der wahre, ewige und mit dem Vater wesensgleiche Sohn (1,1). Dieser hat in seiner Person und seinem Wesen Gott den Menschen in einzigartiger Weise offenbart (1,18). Darin hat er denen, die an ihn glauben, die Fülle der Gnade (1,16) erschlossen und sich als Heiland der Welt (Luk. 2,11) gezeigt.
Der Prolog des Johannesevangeliums fußt auf einem Christus-Hymnus. V. 1-9 haben den präexistenten Logos (asarkos) zum Thema, V. 10-18 reden vom fleischgewordenen (ensarkos). Zur ursprünglichen Textgestalt gehören Joh. 1,1-5.9-12b.14.16. Der Evangelist hat die kommentierenden Ergänzungen V. 6-8, 12c+13, 15 und 17f hinzugefügt. Joh. 1,6-8.15 kann als Abgrenzung gegenüber dem Täufer, der hier zum Zeugen wird, in der Predigt außer Acht gelassen werden, die Verse 16-18 sollten mit im Blick bleiben.

Der Logos
V. 1 stellt heraus, dass der Logos vor aller Erschaffung von Raum und Zeit existierte. Er gehört also nicht zu dem Geschaffenen. Da der Logos bei Gott ist, ist er in aller Verbundenheit jedoch personal von Gott unterschieden. Insofern kann der Satz »Gott war der Logos« nur bedeuten: Der Logos ist umfassend wahrer und wirklicher Gott.
In V. 3 kommt die Schöpfermacht des Logos zur Sprache, dem sich alles Geschaffene verdankt und ihm darum Lob und Anerkennung schuldet. V. 4f vertiefen mit V. 9 diese Sicht. Als Licht schenkt der Logos den Menschen Leben und Erhellung und widersteht der Finsternis als Gefährdung des Lebens.
Mit V. 10 gerät der Logos in der Welt in den Blick. Die Menschen verweigern sich dem Schöpfer-Logos im Unglauben. Es ist nach V. 10f die ganze Menschheit, die den Logos in Gestalt von Jesus Christus zurückweist. V. 12 benennt nicht eine Ausnahme von der Regel, sondern das Geschenk der göttlichen Erwählung in der Aufnahme des Logos, das im Glauben an Jesus zutage tritt und zu Kindern Gottes werden lässt.
V. 14 ist das Bekenntnis derer, die den Logos aufgenommen haben. Mit dem Ausdruck »Fleisch« (sarx) wird die irdische Vergänglichkeit gesehen. Der Logos hat sich mit seiner Inkarnation der Sterblichkeit preisgegeben. »Ja, zum Tode am Kreuz« (vgl. Phil. 2,8). Und doch bleibt mit der Herrlichkeit (»als des eingeborenen Sohnes vom Vater«) sein göttliches Wesen. »Voll Gnade und Wahrheit« deutet seine Heilsbedeutung für uns.

Die Gnade
Weil Gott Mensch geworden ist, ist vom Menschen zu reden – ganz menschlich. Von unserer Sehnsucht nach Angenommen- und Verstandenwerden. Von der verändernden Kraft der Liebe, die Gräben überschreitet und Grenzen überwindet. Von der Hoffnung auf einen rücksichtsvollen Umgang miteinander. Weil das alles nicht selbstverständlich ist, zeigt sich darin die Gnade, die uns Leben schenkt und unsere Finsternis erhellt. Weil das alles gegen unsere menschliche Natur ist, offenbart sich darin die Herrlichkeit, die unser Leben in einem anderen Licht erscheinen lässt. Weil das alles über das selbst Machbare hinausgeht, kommt darin unser Glaube zum Ausdruck. Am 2. Weihnachtstag wird es den Predigthörer(inne)n gut tun, positive Beispiele menschlichen Miteinanders von Gott zu hören, mit denen sie ermutigt in ihren Alltag zurückkehren können.

Literarisches
Zum Logos: Luise Rinser, Mirjam, Frankfurt/M 1983, S. 76-78; Goethe, Faust (im Studierzimmer), München 1976, Z. 1224-1237

Liedvorschläge
EG 23     »Gelobet seist du, Jesu Christ«
EG 27     »Lobt Gott, ihr Christen«
EG 36     »Fröhlich soll mein Herze springen«
EG 56     »Weil Gott in tiefster Nacht erschienen«

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 11/2008

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