In gewissem Sinne sind Übersetzungsarbeiten Verhandlungssache – wobei Verhandlungen um die angemessene Übersetzung stets weiter gehen und nie an ein Ende kommen, so wenig jedenfalls, wie lebendige Sprache selbst an ein Ende kommt. Ausgehend von dieser Grundeinsicht erläutert Detlef Dieckmann, selbst Übersetzer des Buches Kohelet in der »Bibel in gerechter Sprache«, die vier Kriterien dieses Übersetzungsprojekts und gibt dabei einen exemplarischen Einblick in seine Arbeit.


Übersetzen heißt verhandeln, so lautet die Kernaussage des kürzlich erschienenen Buches von Umberto Eco mit dem Titel »Quasi dasselbe mit anderen Worten«1. Diese Beobachtung, die Eco und sein deutscher Übersetzer anhand vieler Beispiele illustrieren, gilt eher mehr denn weniger für die Übersetzung biblischer Texte. Wer eine Predigtperikope oder einen Text für den Unterricht übersetzt, erfährt unmittelbar: Übersetzen heißt verhandeln – zwischen dem Original und der Übersetzung, zwischen der hebräischen oder griechischen Ausgangssprache und der deutschen Zielsprache, zwischen Wörtlichkeit und Verständlichkeit, zwischen dem Gesagten und dem Gemeinten, zwischen der Welt des Textes und jener der Rezipientinnen und Rezipienten, zwischen dem Wunsch, »nur« zu übersetzen und dem Wissen, dass jede Übersetzung eine Interpretation ist, zwischen der öffnenden Erkenntnis, dass der Bibeltext mehrdeutig ist, und der schmerzlichen Einsicht, dass sich die Übersetzung oft für eine von mehreren Lesemöglichkeiten entscheiden muss. So befindet sich, wer übersetzt, stets in dem höchst spannungsvollen »Zwischenbereich zwischen Text und Auslegung, zwischen Treue und Verrat, Verlust und Gewinn«2.
Die schwierige, geradezu unmögliche Aufgabe der Übersetzerin oder des Übersetzers ist es, all diesen widerstreitenden Parteien gerecht zu werden. Im Folgenden soll dargestellt werden, wie in der »Bibel in gerechter Sprache«3 (BigS) diese Aufgabe bearbeitet wurde. Dabei gehe ich an den vier Kriterien (I–IV)4 entlang, die für die BigS von den Kirchentagsübersetzungen übernommen wurden. Zur Illustration wähle ich vor allem Beispiele aus dem Buch Kohelet/Prediger, das ich für die BigS übersetzt habe. Durch diesen Einblick in die Übersetzungswerkstatt soll deutlich werden, wie die vier Kriterien der BigS dazu dienten, einen Text auszuhandeln, der sowohl dem biblischen Originaltext als auch der heute gesprochenen Sprache gerecht wird. Im Anschluss werde ich dann auf die besondere Frage der Wiedergabe des Gottesnamens (V) eingehen und Gemeinsamkeiten wie Differenzen zwischen denen herausarbeiten, die die BigS befürworten, und denen, die diese Bibelübersetzung kritisieren (VI).


I. Die Übersetzung »soll dem Wortlaut der Bibeltexte in ihrer hebräischen oder griechischen Originalfassung gerecht werden.«

Mit diesem Kriterium wurde vereinbart, dass die neue Bibelübersetzung keine Revision einer bereits bestehenden Bibelfassung sein will. Vielmehr soll die Tradition weitergeführt werden, in der jede Übersetzerin, jeder Übersetzer in Kenntnis der Kommentare und Wörterbücher neu entscheidet, was dem Wortlaut der biblischen Originaltexte nach heutigem Wissensstand am besten entspricht. Damit war zugleich festgelegt, dass keine der bestehenden Bibelübersetzungen verdrängt oder ersetzt werden soll.

1. Geltung des Originaltextes
Was bedeutete dies nun für die Übersetzung des Buches Kohelet? An manchen Stellen war es sehr einfach, den Wortlaut der Originalfassung zur Geltung zu bringen. So heißt es z. B. in Koh. 3, zu Beginn jenes Kapitels, das sowohl in Trau- wie Trauergottesdiensten häufig verwendet wird, in der Lutherübersetzung von 1984:
»Ein jegliches hat seine Zeit,
und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit …«
»Geboren werden«5 ist eine passivische Form, die im Hebräischen mit dem Stamm Nif’al (vgl. Koh. 4,14) oder mit dem Passiv des Qal dargestellt würde. Hier in Koh. 3,2 steht aber eine aktive Form, im Stamm Qal, so dass es in der BigS dem Wortlaut des Originaltextes entsprechend heißt:
»Für alles gibt es eine Zeit –
Zeit für jedes Vorhaben unter dem Himmel:
Zeit zu gebären und Zeit zu sterben«,
also eine Zeit, Leben zu geben, und eine Zeit, das Leben dahingehen zu lassen. Die Übersetzung »gebären«6 ist demnach eine getreue Wiedergabe des biblischen Originaltextes und kein Versuch, eine weibliche bzw. mütterliche Erfahrung in den Text einzutragen, wie man auf den ersten Blick vielleicht denken könnte.

2. Wiedergabe durch Doppelung
Schwierig ist die Übersetzung einer Aussage, die das Buch Koh. wie ein Refrain durchzieht: hakol häwäl – alles ist häwäl. Das hebräische Wort häwäl scheint ursprünglich »Hauch« oder »Dunst« zu bedeuten, wie bei Buber-Rosenzweig durchgehend übersetzt wird: »Dunst der Dünste, alles ist Dunst« (1,2) oder: »Frühe und das Schwarzhaar sind Dunst« (11,9). Doch was heißt das? Wird durch diese Übersetzung deutlich, was Kohelet jeweils meint?
Luther hat sich dafür entschieden, der Septuaginta und der Vulgata zu folgen, und häwäl frei durch »eytel« zu ersetzen, so dass wir auch nach der Revision von 1984 noch lesen: »Es ist alles ganz eitel« (1,2) und: »Kindheit und Jugend sind eitel« (11,9). Nur hat das Wort »eitel« schon lange Zeit einen anderen Klang als noch zu Luthers Zeiten. Wie wir aus dem Deutschen Wörterbuch lernen, bedeutete »eitel« im Frühneuhochdeutschen etwa »leer« , während Jacob und Wilhelm Grimm schon 1862 feststellten: »heute verwenden wir eitel […] von einem der sich seiner vorzüge freut und ihrer bewust wird«7. Um Eitelkeit in diesem Sinne geht es bei Koh. an diesen Stellen aber nicht. Die Bedeutung des deutschen Wortes »eitel« hat sich zwischen dem 16. Jh. und 1862 so verschoben, dass es nicht mehr auf das passt, was Koh. und auch Luther gemeint haben. Deshalb bleibt Koh. und Luther nur treu, wer heute nach einer anderen Übersetzung sucht.
In der ersten Phase meiner Übersetzung habe ich versucht, häwäl konkordant mit »Hauch« oder »Nichts« zu übersetzen. Doch schien das hebräische Wort häwäl in seiner Bedeutungsbreite weit über diese beiden Ersetzungen hinauszugehen, so dass nicht zur Geltung kam, was Kohelet m. E. jeweils meinte. Insofern entsprach diese Übersetzung (=Üb-Ersetzung!) nur auf den ersten Blick, nur formal gesehen dem ersten Kriterium.
In der zweiten Phase meiner Arbeit am Text verwendete ich, wie etwa die »Gute Nachricht«-Bibel, für das hebräische häwäl verschiedene deutsche Begriffe. Doch auch damit war ich unglücklich, weil nun das bei Kohelet so wichtige Leitwort häwäl als solches nicht mehr sichtbar wurde.
Schließlich wies mich eine Übersetzungs-Kollegin auf die französische Schriftsteller/innen-Bibel hin, die durch eine Doppelung der Aussagen Konkordanz mit dynamischer Äquivalenz kombinierte. Dasselbe Experiment wagte ich dann auch in meiner Übersetzung:
»Alles ist häwäl: Alles ist nichts«, heißt es nun in Koh. 1,2, und in 11,9: »Jugend und schwarzes Haar sind häwäl – ein flüchtiges Nichts.« So bleibt der Wortlaut des Originaltextes lesbar und zugleich wird jeweils übersetzt. Alles ist häwäl, alles ist Nichts, absurd, zwecklos, hoffnungslos, unverständlich, alles verweht und vergeht.
Auch in einigen anderen Fällen habe ich versucht, durch Doppelungen das Potential des Originaltextes in der Übersetzung zu erhalten. Dies wird gleich im ersten Vers deutlich: Weil »Kohelet« einerseits ein Eigenname, andererseits eine Funktionsbezeichnung sein könnte (»Versammler«, vgl. Buber-Rosenzweig), versuche ich beides darzustellen, indem ich »Versammler Kohelet« übersetze und dies in einer Anmerkung erkläre (vgl. auch 2,10).

3. Transparenz durch Originalworte in Umschrift und Glossar
Bei vielen wichtigen Begriffen wird die Entscheidung zwischen konkordantem und kontextuellem Übersetzen durch eine Besonderheit der BigS erleichtert: Bei zentralen hebräischen und griechischen Worten haben die Übersetzer/innen die Möglichkeit, in den Innenbund der Seite das Originalwort in Umschrift zu setzen und die jeweilige deutsche Übertragung durch einen kleinen hochgestellten Kreis zu markieren. So konnte ich etwa das hebräische Nomen nefesch mit »oHunger und Durst« (2,24), »oLeben« (3,8), »ohungrige Kehle« (6,3); »oVerlangen« (6,9) oder auch »oSeele« (7,28) wiedergeben und jedes Mal durch den Circellus einen Verweis auf das hebräische Wort nefesch in der Mitte der Buchseiten herstellen. Zu jedem dieser Innenbund-Worte findet sich im Schlussteil der BigS ein Glossar-Artikel, der den jeweiligen Begriff und sein Wortfeld über die Buchgrenzen hinweg philologisch und theologisch erläutert.


II. Die Übersetzung »soll eine gegenwärtig verstehbare Sprache haben.«

Auf den ersten Blick scheinen das erste und das zweite Kriterium, die Wörtlichkeit und die Verständlichkeit, in entgegengesetzte Richtungen zu weisen. Und in der Tat kann eine Übersetzung entweder die Orientierung am Originaltext oder die Ausrichtung an der Zielsprache zu ihrem Hauptkriterium machen. Das zeigen z. B. die – vor allem um Texttreue bemühte – Elberfelder Übersetzung oder die besonders kommunikative »Gute Nachricht«-Bibel. Der Vorteil der einen Übertragung ist der Nachteil der jeweils anderen.
Die BigS hält an beiden Kriterien gleichermaßen fest und vertritt damit die Auffassung, dass im Grunde genommen Wörtlichkeit und Verständlichkeit ineinander spielen, weil das eine nicht ohne das andere zu haben ist. Meine erste, penible und konkordante Übersetzung beweist ebenso wie manche Passagen in der Elberfelder Bibel, dass die Treue gegenüber dem Originaltext dann zum Verrat an ihm wird, wenn der Text so ausgangssprachig übersetzt wird, dass heutige Leser/innen seine Bedeutung nicht mehr erfassen können. Und umgekehrt zeigte mein Versuch, den hebräischen Begriff häwäl allein kontextuell wiederzugeben, dass dabei der Text zwar an Kommunikativität gewinnt, aber seine Transparenz gegenüber dem Ursprungstext verliert. Letztlich wird eine Übersetzung also nur dann dem Originaltext gerecht, wenn sie auch der Zielsprache gerecht wird.
Das bedeutet aber, dass ich mich als Bibelwissenschaftler nicht allein auf eine angebliche philologische oder exegetische Korrektheit zurückziehen kann, sondern dass ich jedes Wort, jeden Ausdruck daraufhin überprüfen muss, ob er von den heutigen Rezipient/inn/en dem Originaltext entsprechend verstanden werden kann.
Genau dieser Blick für die Rezipient/inn/en war ein entscheidender Fortschritt der Luther-Übersetzung gegenüber den früheren deutschen Übersetzungen, die lediglich 1:1-Wiedergaben der Vulgata waren. Luther hat nicht deswegen den Menschen auf den Mund geschaut, weil sich seine Übersetzung den Menschen anbiedern sollte, sondern weil er genau wusste, dass der Sinn des Textes nur dann ankommt, wenn er in der jeweils gesprochenen Sprache verständlich wird. Weil er davon überzeugt war, dass nur so das Wort Gottes seinen Weg in die Ohren der Hörerinnen finden kann, hat er die Freiheit vom übersetzten Original und die Bindung zu ihm in einer unerhörten Weise neu zueinander in Beziehung gesetzt.
Dieser reformatorischen Tradition zu folgen, heißt immer wieder nach der angemessenen Sprache für die Bibeltexte zu suchen, und deswegen hat Luther seine Übersetzungen bis zu seinem Tod stets wieder verändert, und deswegen wird auch seine letzte Bibelübersetzung immer wieder revidiert. D.h.: Der Schrift bleibt nur treu, wer sie – wie Luther – immer wieder neu übersetzt.
»Auch die Bibel in gerechter Sprache ist in dem Moment revisionsbedürftig, in dem sie erscheint«, heißt es daher in der Einleitung dieser neuen Übersetzung (S. 26). Für uns Übersetzer/inn/en hat dies zur Folge, dass wir auch nach der Veröffentlichung der ersten Auflage der BigS 2006 eigene und fremde Ideen sammeln, die unsere Übersetzungen verbessern können. Die ersten Korrekturen sind in die dritte Auflage im Februar 2007 eingegangen, weitere Veränderungen können in der im Herbst erscheinenden CD-ROM-Version der BigS berücksichtigt werden.


III. Die Übersetzung »soll (ein besonders wichtiges Kriterium) eine frauengerechte Sprache haben, d.h., sie soll die in den Texten selbst genannten oder nicht ausdrücklich genannten, aber mitgemeinten Frauen sichtbar machen und ebenso Frauen als heute angesprochen erkennbar machen.«

Auch bei diesem Kriterium geht es darum, den Wortlaut des Originaltextes – und nicht eine vorgefasste Meinung – in eine heute verständliche Sprache zu übersetzen. Im Fokus stehen hier all jene Stellen, an denen Frauen in den biblischen Texten genannt oder mitgemeint sind, aber in früheren Übersetzungen unsichtbar geblieben sind oder unsichtbar gemacht wurden.
Dass dieser Punkt besondere Beachtung verdient, hat mir als Alttestamentler und Hebraist sofort eingeleuchtet. Denn das Hebräische kennt (wie auch das Griechische und das Lateinische) verschiedene Möglichkeiten, Gruppen zu bezeichnen, die aus Männern und Frauen bestehen:
a) Splitting. Wie wir z.B. an der Formulierung »Sängerinnen und Sänger« in Koh. 2,8 sehen, kann die Anwesenheit von Menschen beiderlei Geschlechts im Hebräischen dadurch angezeigt werden, dass sowohl das feminine als auch das maskuline Genus benutzt werden. Ähnliches finden wir im Deutschen, wenn wir von den »Leser/inne/n« oder von den »PastorInnen« sprechen – allerdings sind diese beiden Formen der inklusiven Sprache eher praktisch als ästhetisch und werden daher nirgends in der Übersetzung der BigS benutzt.
b) Generisches Maskulinum. Meist findet sich im Hebräischen aber, nicht zuletzt der Kürze wegen, statt des Splittings das generische Maskulinum. Dabei wird für eine Gruppe, die z. B. aus 99 Frauen und einem Mann besteht, das maskuline Genus benutzt. Wenn etwa in Lev. 6,11 von allem Männlichen »unter den Söhnen Aarons« die Rede ist, dann werden zu den »Söhnen« Aarons offenbar auch Frauen gezählt – obwohl auch die weibliche Form »Töchter« oder neutrale Ausdrücke zur Verfügung gestanden hätten. Da auch an anderen Stellen so verfahren wird, muss ich als Übersetzer bei jeder maskulinen Gruppenbezeichnung fragen, ob hiermit Frauen mitgemeint waren oder nicht.
c) Neutrale Formen. Ähnlich wie das generische Maskulinum funktionieren auch die neutralen Formen, bei denen Menschen beiderlei Geschlechts unter einem Begriff wie »Nachkommenschaft« (sera) zusammengefasst werden. Ob das Genus dieses Sammel-Begriffes, wie hier im Hebräischen, maskulin, oder, wie in dieser deutschen Übersetzung, feminin ist, ist dabei meiner Meinung nach unerheblich – denn diese Begriffe sind unabhängig von ihrem Genus geeignet, Gruppen zu repräsentieren, die aus weiblichen und männlichen Individuen bestehen.
In der heutigen Sprache benutzen wir vor allem in konventionellen Texten wie Reden, Stellenausschreibungen oder neueren Gesetzestexten entweder (a) das Splitting (»Bürgerinnen und Bürger«) oder (c) neutrale Formen (»die Studierenden«). Zum Teil erweist es sich auch als praktikabel, das generische Maskulinum mit einem generischen Femininum abzuwechseln.8 Selten erscheint in unserem Sprachgebrauch allein das generische Femininum, das meiner Meinung nach allerdings genauso wenig gender-fair ist wie das generische Maskulinum, weil bei allen generischen Formen ein Geschlecht sprachlich nicht repräsentiert ist. Durch das generische Femininum können wir Männer nachvollziehen, warum sich Frauen durch das generische Maskulinum ausgegrenzt fühlen: Sie wollen eben nicht nur mitgemeint sein.9
Beim Splitting (a) im Hebräischen liegt es nahe, diese Form ins Deutsche zu übernehmen, um den Text angemessen zu übersetzen. Ebenso würde ich jede neutrale Form (c) erhalten.
Zu entscheiden ist jedoch, wie das generische Maskulinum (b) in jenen Fällen wiedergegeben wird, in denen anscheinend Frauen mitgemeint waren. Für mich scheiden die rein maskulinen oder ausschließlich femininen Formen von Vornherein aus, weil ich bei ihnen nicht voraussetzen kann, dass die Rezipient/inn/en das jeweils andere Geschlecht wirklich mitdenken. Insofern kommen als Übersetzung des generischen Maskulinums (b) nur männlich-und-weibliche (a) oder neutrale Formen (c) in Frage. Denn allein diese Formen machen in der heutigen Sprache deutlich, dass im Originaltext eine Gruppe aus Frauen und Männern gemeint ist.
So muss es in Koh. 4,8 heißen: »Es gibt Einzelne, die niemanden haben, weder ein Kind noch einen Bruder, noch eine Schwester«, denn wer niemanden hat, hat nicht nur keinen Sohn, sondern auch keine Tochter, nicht nur keinen Bruder, sondern auch keine Schwester.
Und auch in Koh. 4,9-12 ist zu fragen: Geht es hier nur um Männer, wie es in der ausschließlich von Männern verfassten Einheitsübersetzung scheint? Wäre dem so, dann würden wir diesen Text wohl kaum für die Trauung von gemischtgeschlechtlichen Paaren verwenden.
In den ersten Übersetzungen dieses Abschnitts habe ich mit dem Wechsel von männlichen und weiblichen Formen experimentiert. Doch dadurch schob sich die Geschlechterthematik in den Vordergrund und verdeckte das, was Kohelet m. E. hier ausdrücken will: Dass es ein Gewinn ist, wenn Menschen – egal welchen Geschlechts – sich gegenseitig unterstützen. Deswegen werden in der BigS nun Genus-neutrale Formen benutzt:
»Es ist gut, wenn zwei zusammen sind, besser als allein […].
In der Tat: wenn sie fallen, können sie einander aufrichten.
Aber ach, wenn jemand fällt,
und es niemanden zum Aufrichten gibt.
Zudem:
Wenn zwei sich schlafen legen, wird ihnen warm.
Wie soll Einzelnen warm werden?
Wenn jemand überwältigt wird,
können zwei dem widerstehen.« (Koh. 4,9-12 BigS)
Ein weiteres generisches Maskulinum findet sich m. E. in Koh. 2,8, wo es in der Luther-Version 1984 heißt: »Ich sammelte mir auch Silber und Gold und was Könige und Länder besitzen«. Wenn ich aber die in Koh. 1,1 angedeutete und von Luther bis in den Titel des Buches mitvollzogene Identifikation des Kohelet mit Salomo ernst nehme und in 1. Kön. 10 lese, dass nicht zuletzt die Königin von Saba Salomo bzw. Kohelet derart reich gemacht hat, dann sind die »Könige« (melakhim) in diesem Vers als ein generisches Maskulinum aufzufassen. Mitgemeint ist dann mindestens eine Königin, und deswegen ist in der BigS zu lesen: »Ich häufte auch Silber und Gold für mich an, die Schätze der Königinnen und Könige«.
Ein umgekehrtes Beispiel für eine gender-faire Übersetzung ist Koh. 1,8. Hier steht im Hebräischen welo jakhol isch ledaber – wörtlich in etwa »und nicht kann ein Mann/ein Mensch Worte machen«. In anderen Zusammenhängen wird isch meist mit »Mann« übersetzt. Doch will Kohelet hier sagen, dass ein Mann nicht sprechen kann? Eine Frau dagegen schon? Ich denke nicht, dass das der Textsinn ist. Vielmehr scheint Kohelet hier eine Wendung zu benutzen, die dem unpersönlichen, aber männlich klingenden »man« entspricht, und so übersetze ich: »Nichts kann ein Mensch in Worte fassen.«
Ebenso wenig gender-fair wäre es, wenn in der BigS negative Figuren wie der Teufel allein männlich blieben. Deswegen benutzt die BigS z. B. für den diabolos auch nicht-männliche Formen wie »dämonische Macht« (Lk. 11,14-23.)
Bei diesem sehr sensiblen Kriterium sind für mich zwei Verabredungen entscheidend:
Erstens war es für mich wichtig, dass männliche Formen dort stehen bleiben, wo nur Männer gemeint sind (z. B. die »Menschensöhne« in Koh. 2,8; oder vgl. 9,14; 12,3). Diese Bestimmung lässt sich an der differenzierten Übersetzung der apostoloi veranschaulichen: Wo mit den apostoloi deutlich nur die Zwölf gemeint sind, die ihren Vornamen nach Männer waren (vgl. z. B. Mk. 3,16), übersetzt die BigS mit der rein männlichen Form »Apostel« (vgl. z. B. Mt. 10,2; Offb. 21,14 und durchgängig in Apg. wie in 1,2.12f.21ff). Wenn man jedoch zu dem textkritischen Urteil kommen muss, dass in Röm. 16,7 von einer Frau namens Junia die Rede ist, die unter den apostoloi eine herausragende Rolle spielte, dann wird hier mindestens eine Frau zu den apostoloi gezählt, und ich muss nach dem heutigen Sprachgebrauch in Röm. 16,7 »Apostelinnen und Apostel« übersetzen.
Zweitens war für mich wesentlich, dass genau zwischen dem Originaltext und der Ebene der Übersetzung unterschieden wird: Ist der biblische Text frauenfeindlich, so wird dies auch in der Übersetzung sichtbar wie z. B. in 1. Kor. 14,34: »Die Frauen sollen in den Gemeindeversammlungen schweigen.« (BigS)
Ist jedoch festzustellen, dass Frauen dem Originaltext nach eine größere Rolle in der Gemeinde gespielt haben, als dies in Übersetzungen zum Ausdruck kommt, dann wird die neue Übersetzung nun konsequent am Originaltext ausgerichtet. D.h., die oben angesprochene Junia in Röm. 16,7 wird nicht weiter – wie z. B. in der Übersetzung von Ulrich Wilckens – in einen »Junias« umgewandelt, sondern darf in der Übersetzung eine Apostelin bleiben. Es geht also nicht darum, die Übersetzung frauenfreundlicher zu machen als den biblischen Text, sondern lediglich darum, die neue Übersetzung nicht frauenunfreundlicher zu machen als der biblische Text ist.
Natürlich bleibt bei vielen Textstellen strittig, ob schon der Originaltext misogyn ist oder erst die Übersetzung ihn so erscheinen lässt. Ein gutes Beispiel dafür liefert Koh. 7,26ff. Diese Stelle wird in der Luther-Übersetzung als frauenfeindliche Aussage Kohelets verstanden, in der Einheitsübersetzung und von Altestamentler/inne/n wie Ludger Schwienhorst-Schönberger oder Klara Butting dagegen als Zitat einer frauenfeindlichen Tradition durch Kohelet gelesen10. Diese Deutung fügt sich m. E. besser in den Kontext ein, und so heißt es in der BigS ähnlich wie in der Einheitsübersetzung:
»Immer wieder finde ich vor: ›Bitterer als der Tod ist eine Frau, die ein Fangnetz ist, und deren Herz wie Stricke und deren Hände wie Fesseln sind. Als gut erweist sich vor Gott, wer ihr entrinnen kann, aber wer sich eines Vergehens schuldig macht, verfängt sich in ihr.‹
Schaut aber, was ich herausgefunden habe, sprach die Versammlerin Kohelet, indem ich eins zum anderen fügte […]:
Gott hat die Menschen recht gemacht.
Aber was denken sie sich nicht alles aus!«
(Koh. 7,26.27*.29* BigS)
Auffällig ist hier zudem, dass der sonst männliche Versammler Kohelet zur Versammlerin Kohelet wird. Der Grund dafür ist im Originaltext zu finden: Allein in Koh. 7,27 wird »Kohelet« mit einem femininen Verb verknüpft, so dass »Kohelet« als Frau erscheint. Im hebräischen Text ist es also eine weibliche Stimme, die diese frauenfeindliche Tradition zitiert und dann widerlegt.


IV. Die Übersetzung soll »dem gegenwärtigen Gespräch mit Jüdinnen und Juden gerecht werden bzw. – bescheidener – Respekt vor ihrem Lesen der Bibel erweisen.«

Wer das Buch Kohelet nicht aus der Septuaginta, sondern aus der Hebräischen Bibel überträgt, macht damit einen jüdischen Text zur Grundlage seiner Übersetzung. Bekanntlich hat auch Luther den hebräischen Wortlaut verwendet, ist jedoch in der Reihenfolge der Bücher nicht der Hebräischen Bibel, sondern der Septuaginta gefolgt, so dass eine Mischform entstanden ist.
Die BigS orientiert sich nicht nur am Wortlaut, sondern auch an der Anordnung der Hebräischen Bibel und versucht so dem Eigenwert der jüdischen Bibel ein noch stärkeres Gewicht zu verleihen.
Das Bewusstsein, einen originär jüdischen Text zu übersetzen, hat mich zusätzlich motiviert, auch jüdische Kommentare und Übersetzungen heranzuziehen. Dabei ist mir mehr als je zuvor aufgefallen, dass es an vielen Stellen jüdische Übersetzungstraditionen gibt, die sich von den christlichen signifikant unterscheiden. So heißt es etwa in Koh. 12,13 bei Luther 1984:
»Fürchte Gott und halte seine Gebote;
denn das gilt für alle Menschen.«
Mit anderen Worten: Die Furcht vor Gott und das Halten seiner Gebote sind eine Pflicht für alle Menschen.
In jüdischen Übersetzungen von Zunz und Tur-Sinai heißt es dagegen ähnlich wie hier bei Buber-Rosenzweig:
»Fürchte Gott und hüte seine Gebote,
denn dies ist der Mensch allzumal.«
Damit wird der hebräische Text anders gedeutet: Aus einer Vorschrift wird eine Aussage über das, was der Mensch eigentlich ist. Gott zu fürchten, seine Gebote zu wahren, das macht den Menschen aus, »dies ist der ganze Mensch«, so übersetzt Zunz. Die Menschen verwirklichen also ihr Menschsein, indem sie nach der Weisung Gottes leben und ihn dadurch ehren. Diese jüdischen Lesart orientiert sich zudem enger am Originaltext, in dem es wörtlich heißt: »Dies [ist/sind] jeder/ganz/alle Mensch/en«. Und so folgt die BigS denn auch dieser Übersetzungstradition:
»Achte Gott und wahre Gottes Gebote,
denn das macht alle Menschen aus.« (BigS)
Eine besondere Dimension gewinnt das Kriterium des Respekts vor dem Judentum bei der Übersetzung neutestamentlicher Texte. Hier haben die Übersetzer/innen immer wieder zu prüfen, ob geläufige Übersetzungstraditionen Textstellen im Neuen Testament als antijüdisch erscheinen lassen, die im Originaltext nicht antijüdisch verstanden werden müssen oder können. Anschaulich wird dies am Beispiel der Bergpredigt: Aus ihr wurden in der christlichen Auslegungsgeschichte immer wieder »Antithesen« herausgelesen, mit welchen Jesus von Nazareth »die jüdische Schriftweisheit« habe »überbieten« wollen.11 Diese Deutung wurde durch das berühmte »Ich aber sage euch« in der Übersetzung verankert. Doch diese Wiedergabe ist schon philologisch mehr als fraglich. Denn wo im Deutschen die Übersetzung mit »aber« einen Gegensatz suggeriert, steht im Griechischen ein bloßes de, das dem hebräischen we entspricht und überwiegend mit »und« wiedergegeben werden kann. Somit ist dieses winzige Füllwort de wohl kaum in der Lage, einen Gegensatz zwischen Jesus und der Tora oder gar zwischen Jesus und »dem Judentum« zu konstruieren.
Aus diesem Grund übersetzt der Neutestamentler Peter Fiedler in seinem Matthäuskommentar: »Ich nun sage euch.«12 Diese Wiedergabe birgt allerdings die Gefahr, dass die Rezipient/inn/en im »nun« das »aber« weiterhin mitdenken. So geht Luise Schottroff in der BigS noch einen Schritt weiter und übersetzt: »Ich lege euch das heute so aus: …« (Mt. 5,22) Diese Einleitung ermöglicht eine Lektüre, nach der sich Jesus nicht gegen die Tora wendet, sondern gegen die Auslegung anderer jüdischer, in der Schrift gelehrter Menschen. Die Aussagen Jesu werden also nicht als etwas Antijüdisches präsentiert, sondern als Teil eines innerjüdischen Diskurses lesbar gemacht. Auch im Hinblick auf die Übersetzung der paulinischen Briefe loben etwa die Neutestamentler Wolfgang und Ekkehard Stegemann – trotz ihrer Kritik im Detail – die Intention der BigS, nicht etwas Antijüdisches »aus den Texten herauszulesen, was Generationen vorher zu Unrecht hineingelesen haben.«13
Wie beim vorhergehenden Kriterium, so gibt es auch hier einen Lackmustest, der die Übereinstimmung dieses Kriteriums mit dem der Textgerechtigkeit erweist: Er ist an all jenen Stellen anzuwenden, an denen Jesus und Paulus ihre jüdischen Glaubensgeschwister heftig kritisieren, wie in 1. Thess. 2,14-16 oder Joh. 8,44. Dass diese Aussagen nicht entschärft werden, zeigt, dass es auch bei diesem Kriterium einzig und allein darum geht, dem biblischen Originaltext treu zu bleiben.


V. Die Übersetzung des Gottesnamens

Angesichts der Frage, wie der Gottesname j-h-w-h zu übersetzen ist, finden sich alle Übersetzerinnen und Übersetzer in einer prinzipiellen Aporie wieder. Denn ein Name lässt sich nicht übersetzen, und der Name Gottes erst recht nicht. Und weil der Name Gottes nicht nur unübersetzbar, sondern auch unaussprechbar ist, bietet die Hebräische Bibel an allen Stellen, an denen die Konsonanten des Gottesnamens j-h-w-h erscheinen, in den Vokalen die Ersatz-Aussprache »Adonaj« (»meine Herrschaften«) oder »ha-Schem« (»der Name«).
Wie gibt man aber einen unübersetzbaren und unaussprechlichen Gottesnamen wieder? Die Schreibung JHWH hätte zur Benutzung der hypothetischen Aussprache j-a-h-w-e führen können, die ein Affront gegenüber Jüdinnen und Juden ist. Sie wurde daher nicht verwendet.
In der Luther-Übersetzung von 1545 wird j-h-w-h mit »HERR« wiedergegeben, was allerdings keine Übersetzung des hebräischen Tetragramms, sondern eine Übertragung des Ersatzwortes kyrios aus der Septuaginta ist. Für diese Wiedergabe spricht, dass in »HERR« noch die hebräische Ersatz-Lesung »Adonaj« nachklingt. Doch wurde in vielen Bibelaus­gaben der »HERR« zum »Herrn« und damit zu einem Allerweltsbegriff, der nicht mehr den Charakter eines Gottesnamens hat.
Eine weitere Schwierigkeit des Begriffes »Herr« besteht darin, dass dadurch die Konnotation von »Herrschaft« transportiert wird, die in dem Tetragramm j-h-w-h aber gerade nicht enthalten ist.14 Damit erschien auch diese Wiedergabe problematisch.
Weil das Judentum die meisten Erfahrungen mit der Wiedergabe des Tetragramms hat, wird es nicht überraschen, dass die BigS vor allem auf diese Traditionen zurückgreift: In zwei Drittel aller Fälle wird j-h-w-h mit »GOTT«, »Adonaj« oder »der Ewige« wiedergegeben. Dazu wird in der Einleitung (S. 17) darauf hingewiesen, dass Jüdinnen und Juden den Namen »Adonaj« nur als Anrede im Gebet gebrauchen und daher u. U. eine andere Lesung in Betracht kommen kann.
Eine weitere Frage, die sich mit der Wiedergabe des Gottesnames j-h-w-h, aber auch mit der Übersetzung des Begriffes »Gott« (älohim) stellt, ist die nach dem dabei gewählten Genus. Auch frühere Übersetzungen sind sich darin einig, dass der Gott, von dem in der Bibel die Rede ist, die Menschen nach seinem Ebenbild männlich und weiblich geschaffen hat (Gen. 1,27). Wenn das Ebenbild Gottes aber männlich und weiblich ist, dann transzendiert Gott offenbar die Geschlechterpolarität und es wäre problematisch, Gott ausschließlich männlich darzustellen. Deshalb haben die Übersetzenden etwa ein Viertel aller Nennungen des Gottesnamens mit weiblichen Bezeichnungen wie »die Ewige« oder »die Lebendige« wiedergegeben, um den männlichen Darstellungen ein gewisses Gegengewicht zu geben. Alle Wiedergaben des Gottesnamens j-h-w-h wurden in der BigS grau hinterlegt, so dass auch optisch der Zusammenhang deutlich wird.
Die Einsicht, dass Gott jenseits der Geschlechterkategorien steht, habe ich so umgesetzt, dass ich maskuline oder feminine Rückbezüge auf Gott (älohim) vermieden habe, wie das oben angeführte Zitat aus Koh. 12,13 zeigt (vgl. auch 11,5). Der Gottesname j-h-w-h kommt in Koh. nicht vor.


VI. Zustimmung und Kritik, Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Jede Übersetzung ist das Ergebnis eines Verhandlungsprozesses. Das haben vor allem die 42 Übersetzerinnen und zehn Übersetzer sowie die Mitglieder des Herausgabekreises und des Beirates der BigS schon in den Diskussionen untereinander unmittelbar erlebt. Das Ergebnis dieses Diskussionsprozesses ist eine Übersetzung, die sich an den vier oben dargestellten Kriterien orientiert und deren Einzeltexte von den jeweils Übersetzenden namentlich verantwortet werden.
Bereits vor ihrer Präsentation am 5. Oktober 2006 auf der Frankfurter Buchmesse erfuhr die BigS viel Zuspruch, aber auch Kritik. Weil die an der BigS Mitarbeitenden der Ansicht waren, dass sowohl positive als auch kritische Reaktionen insbesondere von Gemeindegliedern den Übersetzungsprozess befruchten können, waren alle Menschen eingeladen, in der sog. Praxiserprobung Arbeitsübersetzungen zu lesen und Rückmeldungen zu geben. Auf diese Weise haben etwa 300 Gruppen und Einzelpersonen an der BigS mitgewirkt. Für meine Übersetzung kann ich sagen, dass sie im Hinblick auf die Verzahnung von Wörtlichkeit und Verständlichkeit am meisten in einer Bibellesegruppe in der Auenkirchengemeinde Berlin-Wilmersdorf gewonnen hat, wo wir ernsthaft, produktiv und mit viel Freude an der Sache um eine wortgetreue und gut lesbare Übersetzung von Kohelet verhandelt haben.
Nicht nur der inhaltliche Zuspruch aus vielen Gemeinden, sondern auch die Spenden in Höhe von ca. 400.000 Euro waren eine wichtige Unterstützung, weil nur diese eigenständige Finanzierung die Unabhängigkeit des Projekts sichern konnte.
Seit der ersten Auslieferung der BigS am 9. Oktober 2006 ist der Verhandlungsprozess insofern in eine neue Phase getreten, als nun die fertige Bibelübersetzung Gegenstand einer breiten Diskussion ist. Sowohl die Verkaufszahlen der inzwischen 70.000mal gedruckten Bibelübersetzung als auch das große Medienecho haben die Mitarbeitenden wie den Gütersloher Verlag überrascht, der das Projekt von Anfang betreut hat. Inzwischen wurden ca. 1000 Presseveröffentlichungen gesammelt, in denen sich Zustimmung und Kritik ungefähr die Waage halten. Zu ca. 95% positiv, und zu 5% ablehnend sind die schriftlichen und mündlichen Reaktionen von Einzelpersonen und Gruppen, die sich nach dem Erscheinen der BigS an die Koordinatorin des Projektes, Pfarrerin Hanne Köhler, gewandt haben. In den Kirchengemeinden, Pfarrkonventen und Predigerseminaren, in denen ich zur BigS referiere, treffe ich manchmal auf ein Gemeindeglied, welches das Projekt grundsätzlich ablehnt, ganz überwiegend aber auf Menschen, die dem Projekt ein großes Interesse entgegenbringen, es grundsätzlich befürworten und ihre kritischen Fragen – etwa nach den Kriterien oder dem Titel der BigS – beantwortet wissen wollen.
Dennoch haben die meisten Menschen den Eindruck, die BigS habe vor allem eine negative Resonanz erfahren. Das hat damit zu tun, dass einige ausgeprägt kritische Presseveröffentlichungen prominent platziert im deutschen Feuilleton erschienen, z. B. auf der Titelseite der FAZ, wo keine Repliken möglich sind. Soweit diese »Verrisse« vor dem 5. oder 9. Oktober 2006 erschienen sind, wurden sie nicht in Kenntnis der BigS geschrieben, sondern konnten sich lediglich auf die vorläufigen Übersetzungen beziehen, die in der Praxiserprobung als Diskussionsgrundlage dienen sollten.
Seit dem 9. Oktober 2006 aber kann um die vorliegende BigS gestritten werden, und so gehen die Verhandlungen um die »richtige« Übersetzung in eine neue Runde. Viele Differenzen zwischen den Gegnern und den Befürwortern der BigS werden dabei deutlich, aber auch viele Gemeinsamkeiten: Denn die meisten derjenigen, die die BigS verteidigen oder kritisieren, arbeiten in derselben Kirche, forsch(t)en und lehr(t)en an denselben Hochschulen. Sie fühlen sich in gleichem Maße der theologischen Wissenschaft verpflichtet, wurden z. T. auf dieselben Bekenntnisschriften ordiniert und sprechen dasselbe Glaubensbekenntnis. Sie sind sich darin einig, dass die Luther-Übersetzung zu respektieren ist und weder im Gottesdienst noch sonst im Gemeindeleben ersetzt werden soll. Sie stimmen darin überein, dass bei der Arbeit am Wort Gottes viel auf dem Spiel steht und deswegen das reformatorische Schriftprinzip immer wieder zur Geltung zu bringen ist. Wie viele Kritiker, so sind sich auch die an der BigS Mitarbeitenden einig, dass diese Bibelübersetzung an vielen Stellen zu verbessern ist.
Dabei sollen die Differenzen nicht geleugnet werden: Einig ist man sich, dass sich eine Bibelübersetzung am Originaltext orientieren muss; uneins aber, welche Übersetzung ihm heute am besten entspricht. Für die einen ist die BigS gar keine Übersetzung, für die anderen steht sie ganz in der Tradition des reformatorischen Schriftprinzips, weil sie neu zu den Quellen geht. Auch in der Frage, ob und wie dieser Konflikt der Interpretationen ausgetragen werden soll, gibt es unterschiedliche Vorstellungen: Während sich die einen wünschen, dass die BigS nicht im Gottesdienst benutzt wird, wollen viele Gemeinden die neuen Texte selbst ausprobieren und sich dann ein eigenes Urteil bilden. Die einen warnen davor, die BigS zu lesen, die anderen betrachten es als einen Erfolg für den Protestantismus und die Kirche, wenn auf diese Weise die Bibel wieder ins Gespräch kommt.
Diese und andere Differenzen machen bewusst, dass eine Bibelübersetzung nie dem Original entspricht und auch der Originaltext nicht gleichzusetzen ist mit dem Wort Gottes – denn das ist »lebendig, wirksam und schärfer« (Hebr. 4,12), als unsere Worte es je sein können. Und weil dem so ist, müssen wir immer wieder neu verhandeln.


Anmerkungen:

1 Umberto Eco, Quasi dasselbe mit anderen Worten. Über das Übersetzen, aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber, München-Wien 2006.
2 Ulrike Bail, Wenn Gott und Mensch zur Sprache kommen. Überlegungen zu einer Bibel in gerechter Sprache, in: Helga Kuhlmann, Die Bibel – übersetzt in gerechte Sprache? Grundlagen einer neuen Übersetzung, Gütersloh 2005, S. 61–76, hier S. 62.
3 Ulrike Bail, Frank Crüsemann, Marlene Crüsemann, Erhard Domay, Jürgen Ebach, Claudia Janssen, Hanne Köhler, Helga Kuhlmann, Martin Leutzsch, Luise Schottroff (Hgg.), Bibel in gerechter Sprache, Gütersloh 1. und 2. Aufl. 2006, 3. Aufl. 2007.
4 Die vier Kriterien werden zitiert nach Ulrike Bail, ebd. (Anm. 2), S. 66.
5 Zu dieser Übersetzung vgl. die Vulgata.
6 Möglich wäre auch: »zeugen«.
7 Jacob und Wilhelm Grimm, Art. EITEL, in: dies., Deutsches Wörterbuch, 3. Bd., Leipzig 1962, S. 383ff., hier S. 385.
8 Vgl. etwa Alexander Straßmeier, Art. Landeskirche, in: Bildungswerk der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz in Zusammenarbeit mit dem Konsistorium der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Handbuch für den Gemeindekirchenrat, Berlin o. J., S. 165–167.
9 Vgl. das Statement von Friederike von Kirchbach, Pröpstin der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz: »Ich engagiere mich für die Bibel in gerechter Sprache, weil ich nicht einfach nur ›mit gemeint‹ sein möchte.«
10 Vgl. Ludger Schwienhorst-Schönberger, Kohelet. Übersetzt und ausgelegt, HThKAT, Freiburg u.a. 2004, S. 400 ff; Klara Butting, Die Buchstaben werden sich noch wundern. Innerbiblische Kritik als Wegweisung feministischer Hermeneutik, Berlin 1994, S. 98.
11 Robert Leicht, Kein Wort sie wollen lassen stahn, in: DIE ZEIT Nr. 15 vom 06.04.2006.
12 Peter Fiedler, Das Matthäusevangelium. ThKNT 1, Stuttgart 2006, S. 130f.
13 Wolfgang und Ekkehard Stegemann, Nicht schlecht verhandelt, in: epd Dokumentation 17–18/2007, Frankfurt 2007, S. 43–54, hier S. 44.
14 S. dazu Jürgen Ebach, Zur Wiedergabe des Gottesnamens in einer Bibelübersetzung. Oder: Welche »Lösungen« es für ein unlösbares Problem geben könnte, in: Helga Kuhlmann, Die Bibel – übersetzt in gerechte Sprache? Grundlagen einer neuen Übersetzung, Gütersloh 2005, S. 150–158. ■

Über die Autorin / den Autor:

Dr. Detlef Dieckmann-von Bünau, Jahrgang 1970, seit 2002 Wissenschaftlicher Assistent für Hebräische Bibel am Institut für Evangelische Theo­logie der Freien Universität Berlin, Habilitationsprojekt über Kohelet. Ab 1990 Studium der Evangelischen Theologie, Judaistik und Germanistik, ab 1997 Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Hebräischlektor an der Universität Siegen, 2002 Promotion zum Dr. theol. an der Universität Basel. Vikariat in Berlin-Wilmersdorf, seit 2007 ehrenamtlicher Prediger in Potsdam. Verheiratet mit der Journalistin und Autobiografin Adele von Bünau, zwei Söhne.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 7/2007

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