1. »Über Geld redet man nicht, Geld hat man!«

Nach dieser Devise haben unsere Landeskirchen Jahrzehnte lang gut gelebt. Jahr für Jahr wuchsen Kirchensteuereinkommen und Grundvermögen. Wie selbstverständlich nahmen auch die Kirchen an der wundersamen Geldvermehrung des Staates teil. Unbedenklich wurden Jahrzehnte lang neue Gebäude errichtet und weiteres Personal angestellt. So wuchsen zum Beispiel während der vergangenen 50 Jahre von 1954 bis 2004 in der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers die Zahl der MitarbeiterInnen und KirchenbeamtInnen von ca. 5000 auf ca. 29.000, die Zahl der übergemeindlichen Pfarrstellen von 76 auf 284, während die Anzahl der Gemeindepfarrstellen mit 1.320 heute um 18 unter dem Stand von 1954 liegt.

Gegenwärtig finanzieren die EKD und ihre Gliedkirchen 208.000 MitarbeiterInnen mit 4,2 Milliarden € und 23.000 TheologInnen (davon 15.300 im Gemeindedienst) mit 1,8 Mrd. €.

Diese komfortable Situation hat sich nun im letzten Jahrzehnt nahezu ins Gegenteil verkehrt. Abnahme der evangelischen Bevölkerung, fortlaufende Austritte, vor allem bei den einkommensstarken Jahrgängen, Verlagerung der Abgaben von der direkten auf die indirekte Steuer, anhaltende Massenarbeitslosigkeit, allgemeine Absenkung der Arbeitnehmerbezüge: diese Entwicklungen führen nachweislich zum permanenten, vermutlich unumkehrbaren Schwund an kirchlichen Geldmitteln. Zwar hatten die kirchliche Fachleute schon seit den 70er Jahren ständig Einnahmerückgänge angekündigt und mussten dann bei jedem Haushaltsabschluss kleinlaut eingestehen: »Schon wieder sind die Einnahmen gestiegen!«

Doch seit der letzten Dekade ist nun wirklich eingetroffen, wovor schon lange gewarnt wurde: Das kirchliche Finanzvolumen geht erheblich zurück! Und dies erscheint zurzeit als Hauptbotschaft der Kirche: »Wir bekommen zu wenig Geld!« Manche nutzen sogar die Chance zu radikalem Alarm: In den nächsten 30 Jahren würden sich die Kirchensteuereinnahmen halbieren, habe angeblich die EKD-Kirchenkanzlei gemeldet. Dort wird heftig dementiert. Niemand wage eine solche Prognose; denn keiner könne vorhersagen, wie sich in Zukunft Einkommen, Steuer, Lohnnebenkosten oder Arbeitslosenquote entwickelten.

Trotz dieses Dementis ist gleichwohl zu fragen: In welchem Tempo schrumpfen die kirchlichen Finanzen nun tatsächlich? Wo muss gespart werden? Kann die finanzielle Basis der Kirche durch Fundraising, Sponsoring, Stiftungen und andere Formen der Geldaquirierung erweitert werden?

Bei diesen notwendigen Überlegungen gerät jedoch oft genug ein wichtiger Sachverhalt völlig aus dem Blick: Jährlich erhalten die Kirchen neben Staatszuschüssen, Vermögenserträgen, Zinsen, Entgelten und Spenden immer noch gewaltige Summen an Geld durch die jährliche Kirchensteuer. Welche theologische Verpflichtung und welche moralische Treuhänderschaft muss eine Kirche übernehmen, der diese finanziellen Zuwendungen regelmäßig zufließen?

2. »Sie werden schon wissen, wofür Sie meine Gabe am besten verwenden, Herr Pastor!«

Mit dieser Grundhaltung vertrauen immer noch die meisten der 26 Millionen Kirchenglieder in Deutschland ihren evangelischen Landeskirchen insgesamt 4,62 Milliarden € jährlich an Kirchensteuern zu treuen Händen an. Und gerade die 70–80% kirchlich Distanzierten unter ihnen, die ja im Wesentlichen unsere Landeskirchen finanzieren, verhalten sich so. Sie beteiligen sich dezidiert nicht an den meisten Veranstaltungen ihrer Kirchengemeinden und zahlen doch zuverlässig ihre Kirchensteuern. Denn sie wollen, dass die Kirche bleibt, in ihrem Dorf und in ihrer Stadt! Sie vertrauen darauf, dass die Kirche schon richtig mit diesen Zahlungen umgeht. Das ist ein sehr hoher Vorschuss an Vertrauen. Unsere Landeskirchen dürfen ihn auf keinen Fall verspielen! Darum müssen sie sich ernsthaft fragen: Wie ist dieses anvertraute Gut im Sinne seiner »Stifter« zu verwenden, vorausgesetzt diese erwarten etwas, was dem kirchlichen Verkündigungsauftrag entspricht?

Bei dieser Frage steht die Kirche allerdings vor einer großen Schwierigkeit: Woher soll sie wissen, was die Geber möchten, wenn diese nicht persönlich in der Kirche erscheinen und ihre Erwartungen bekunden? Steht es dann der Kirche nicht frei, die ihr überlassene Gabe nach Belieben zu verwenden, vielleicht gerade so, wie es die herrschenden kirchenpolitischen Strömungen im Augenblick für richtig halten?

3. »Ich gehe nicht regelmäßig in die Kirche, aber ich möchte, dass am Sonntag Gottesdienst stattfindet und ich im Ernstfall eine PastorIn erreichen kann!«

So könnten wir die Ergebnisse der vier umfassenden EKD-Erhebungen zur Kirchenmitgliedschaft von 1972–2002 zusammenfassen, die Jahrzehnt für Jahrzehnt die Stimmen der Kirchenglieder kräftig zu Gehör bringen. Diese sorgfältigen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen der EKD machen überdeutlich, was aufmerksame Beobachter schon in jeder einzelnen Kirchengemeinde unschwer erkennen: Die Kirchenglieder zahlen Kirchensteuer im vollen Vertrauen darauf, dass die von ihnen finanzierte Kirche vorrangig die lebenslange pastoral-seelsorgerliche Begleitung an den Krisen- und Wendepunkten ihres Daseins sicherstellt durch: Taufe, Konfirmation, Trauung und Beerdigung, ansprechende Gottesdienste, insbesondere an den Höhepunkten des Kirchenjahres, verstehbare christliche Verkündigung, Räume für Gebet, Stille und innere Zwiesprache, Einsatz gegen Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit. Zudem erwartet wird eine karitativ-diakonische Arbeit, die Alte, Kranke und Behinderte betreut, sich um Probleme von Menschen in sozialen Notlagen kümmert und für Entwicklungshilfe eintritt.

Dass für dieses pastorale und auch karitativ-diakonische Wirken gern Kirchensteuer gezahlt wird, belegt noch einmal der nahezu problemlose Einzug einer Art Teilkirchensteuer von Kirchengliedern ohne Erwerbseinkommen, deren erwerbstätige Ehepartner aus der Kirche ausgetreten sind. Die hannoversche Landeskirche nimmt dadurch jährlich etwa 25 Mio € ein, ohne dass es zu vermehrten Kirchenaustritten gekommen ist.

4. »Volkskirche ist Kasualien- und Pastorenkirche«

Mit dieser provokanten These hat erst kürzlich hier im Deutschen Pfarrerblatt Isolde Karle bei ihrer Auswertung der letzten EKD-Erhebung zur Kirchenmitgliedschaft von 2002 auf die eindeutige Korrelation zwischen hoher Wertschätzung der Kasualien sowie der kasual empfundenen Gottesdienste wie Weihnachten, Totensonntag, Erntedankfest einerseits und der starken Beliebtheit der PfarrerInnen als überzeugende Repräsentanten der Kirche andererseits hingewiesen. Nach Karle hängen Stabilität und Zukunft der Volkskirche wesentlich von einer professionellen und damit zuverlässigen, seelsorgerlich sensiblen und theologisch kompetenten Begleitung in Krisensituationen durch Kasualien ab, die von PastorInnen professionell gestaltet und durch eine integrale Kasualpraxis wie z.B. Taufeltern- oder Traupaar-Seminare, KU-Eltern-Arbeit oder Sterbe- und Trauerbegleitung zu missionarischem Gemeindeaufbau genutzt werden. Dabei fördere gerade die starke Stellung von PfarrerInnen, die sich Zeit für ihre pastoralen Kernaufgaben: Verkündigung, Unterricht und Seelsorge nehmen können, auch Bedeutung und Beteiligung von ehren- und hauptamtlichen MitarbeiterInnen. Aus diesen Gründen fordert Karle auch die Synoden auf, Image wie Professionalität von PfarrerInnen behutsam zu pflegen und zu fördern und nicht, wie immer wieder geschehen, die kirchengemeindliche Zentralität der PastorInnenschaft als Hindernis für ehren- und hauptamtliches Engagement zu werten.

Mit ihrer pastoralen Tätigkeit, die ganz wesentlich für die Sicherung der Kirchen-mitgliedschaft und den Erhalt der Gemeinden ist, haben PastorInnen eine wichtige Schlüsselposition in jeder Kirchengemeinde inne: sie bilden das Bindeglied zwischen den einzelnen Gemeinde-Gruppierungen wie der »Gottesdienst-Gemeinde«, der sog. »Kerngemeinde« mit ihren Gruppen und Kreisen, der »Kasual-Gemeinde«, die zu 70–80% aus »kirchentreuen« Distanzierten besteht und deren Kirchenmitgliedschaft begründet, und der punktuellen »Event-Gemeinde« bei Gemeindefest, Gospel-Konzert, Straßenfest, Thomas-Messe, Kindergarten-Einweihung u.a.m.; denn die PastorIn kennt in einer Gemeinde beinahe jede und jeder: selbst in der Großstadt München sind das immerhin noch 69% der Gemeindeglieder, wie die Umfragen des »Münchener McKinsey-Projektes« ergaben; auf dem Lande sind es mindestens 90%, wie das nordelbische »Eckernfördeprogramm« feststellen konnte. Anders als die kirchlichen Dienste und Werke, die nur bestimmte Zielgruppen ansprechen, erreicht die GemeindepastorIn – freilich mit dem hohen Preis einer 54–60 Stundenwoche – noch nahezu jedes Gemeindeglied, und zwar auch aus der großen Gruppe der kirchlich Distanzierten – »und das nicht nur zur Weihnachtszeit!«

Dieses außerordentlich hohe Ansehen der PastorInnenschaft in der Kirchengemeinde strahlt selbst noch in die Tiefe der Gesellschaft hinein: 39% der Bevölkerung setzen die PastorInnen – weit vor Managern, Hochschul-Professoren oder Lehrern – auf den zweiten Rang einer gesellschaftlichen Bewertungsskala. Diese seit 1972 kontunierlich erhobene außerordentliche Bekanntheit und Beliebtheit der PastorInnen ist vor allem darum so erstaunlich, weil die kirchliche Organisation selbst inzwischen erheblich an gesellschaftlicher Bedeutung verloren hat.

5. Die Hauptausgabe für die Hauptaufgabe

In dieser ernsten Relevanz-Krise der Kirche läge es doch nun für eine rational operierende soziale Organisation sehr nahe, gerade mit Hilfe ihrer PfarrerInnen als ausgewiesene Sympathieträger in Gemeinde und Gesellschaft nachdrücklich zu werben – für eine Kirche, die zur Kommunikation des Evangeliums ihre anerkannte, gewünschte und durch Kirchensteuern auch hinreichend bezahlte pastorale Aufgabe mit dem karitativ-diakonischen Nebenakzent als Hauptaufgabe wahrnimmt und zur Hauptausgabe macht, damit Kirche einen Teil ihrer verlorenen Bedeutung zurückgewinnt.

Doch leider gehen Kirchen oft genug andere Wege. »Bei jeder neuen Sparmaßnahmen überlegt mein Kirchenkreis sogleich, welche Pfarrstelle als nächste gestrichen werden soll!«, sagte mir kürzlich ein Pfarrkollege. Mit Hinweis auf die angebliche EKD-Prognose eines Rückgangs der Kirchensteuer um 50% bis 2030 soll ein anderer Kirchenkreis mit gegenwärtig 67.000 Kirchengliedern auf Vorschlag der Kirchenkreisleitung allen Ernstes von den bisher übriggebliebenen 25 Pfarrstellen bis 2030 noch weitere elf einsparen, stattdessen aber zusätzlich vier ganztägig arbeitende Pfarrsekretärinnen und einen Öffentlichkeitsbeauftragten anstellen, ohne dass ein Wort über die doch naheliegende Streichung von Verwaltungsstellen gesagt wurde.

Genau auf diese Weise ist dann in der hannoverschen Landeskirche von 1996–2003, also mitten in der Zeit beginnenden Geldmangels, zwar die Zahl der Pfarrstellen um 10–15% vermindert, doch gleichzeitig allein die Zahl der vollen Mitarbeiterstellen von 6. 400 auf 6.850 um 7% erhöht, die Zahl aller unter 38,5 Wochenstunden beschäftigten MitarbeiterInnen sogar noch um 30% von 16.418 auf 21.385 gesteigert worden, so dass am 31.12. 2003 den 2000 PastorInnen insgesamt 28.640 MitarbeiterInnen und KirchenbeamtInnen gegenüberstehen, also in einem Zahlenverhältnis von 1:14,3; zu diesem Zeitpunkt, Mitte April 2005, werden es vermutlich schon deutlich über 29.000 sein, also 1:14,5!

Zwar ist dieses Verhältnis in der gesamten EKD mit 1:9 (23.087 PastorInnen zu 208.000 MitarbeiterInnen, ohne die 452.000 MitarbeiterInnen in den diakonischen Einrichtungen) wohl etwas weniger schieflastig; doch beim Bezug auf die 15.261 GemeindepfarrerInnen kommt man auch für die EKD zu einem Zahlenverhältnis von 1: 13,6!

Ein wirklich irrationales kirchliches Verhalten, das den Ast absägt, auf dem die Kirche mit all ihren MitarbeiterInnen sitzt. Und ich weiß wirklich nicht, wie man einer Gemeinde, die gerade um ihre aufgelöste Pfarrstelle trauert, erklären soll, dass sich eine Landeskirche zur Zeit zum Beispiel ca. 29.000 MitarbeiterInnen und KirchenbeamtInnen (ca. 580% mehr als vor 50 Jahren) und 284 übergemeindliche Pfarrstellen (372% mehr als 1954) leisten kann, jedoch bei seinen Gemeindepfarrstellen schon um 18 Stellen unter dem Niveau von 1954 (1.338) liegt und nun bestimmte Kirchenkreise hauptsächlich bei diesen Gemeindepfarrstellen noch weiter streichen wollen!

Kein Wirtschaftsunternehmen handelt so und schafft in einer schweren Krise gerade jene Mitarbeitenden ab, für die es von seinen Kunden das meiste und sicherste Geld erhält:

Denn Kirchensteuern werden vor allem für pastorale Gemeindearbeit entrichtet, die auch weiterhin bezahlbar bleibt, wie folgende einfache Modell-Rechnung verdeutlichen kann:

Wenn nach Angaben der EKD 26,2 Mio. Kirchensteuerzahler in den Gliedkirchen insgesamt 4,62 Mrd. € an Kirchensteuern aufbringen, dann bezahlt jedes Gemeindeglied durchschnittlich 176 € pro Jahr an Kirchensteuern. Bei 1000 Gemeindegliedern wären das 176.000 €, bei 2.000 Gemeindegliedern 352.000 €. Im Grunde könnten schon 1000 Gemeindeglieder eine Pfarrstelle sowie nebenberufliche Dienste, Sachkosten und Bauunterhaltung mit einem kleinen Obolus für die Verwaltung hinreichend finanzieren, 1.500 bis 2.000 Gemeindeglieder aber ganz bestimmt! Unberücksichtigt bleiben bei dieser Rechnung noch die weiteren 5,9 Milliarden €, die die EKD-Gliedkirchen an Fördermitteln, Veräußerungserlösen, staatlichen Zuschüssen, Vermögenserträgen, Zinsen, Erstattungen sowie Kollekten und Spenden einnehmen.

Kein finanzschwacher Fußballverein verkauft einen großen Teil seiner Spieler, nur damit er noch die Gehälter von Präsidium, Trainern, Beratern, Managern, Öffentlichkeitsbeauftragten und Sekretärinnen bezahlen kann. So erscheinen jedoch bisweilen unsere Landeskirchen in der EKD, wenn sie nach eigenen Angaben mit 2,06 Mrd. € auch nur 19,6% ihrer Einnahmen von insgesamt 10,5 Mrd € für »Pfarrdienst und Religionsunterricht« ausgeben.

Bedenkt man, dass die Landeskirchen vor allem für den Religionsunterricht, aber auch für den Pfarrdienst erhebliche staatliche Zuschüsse erhalten, in Hannover sind das immerhin 18% der Gesamtausgaben für den Pfarrdienst, dann geben die EKD-Kirchen an eigenen Mitteln für den Pfarrdienst, und insbesondere für den Gemeinde-Pfarrdienst, erheblich weniger als 19% aus.

6. »Gemeinde stärken!« zahlt sich aus.

Die Ortsgemeinden sind und bleiben die Orte, an denen überwiegend, wenn überhaupt, religiöse Sozialisation und christlich-kirchliche Identitätsbildung gelingen kann. Dabei bilden die überschaubaren Kirchengemeinden oft genug auch ein bedeutsames Gegenwicht zu gesellschaftlichen Differenzierungsprozessen, deren destruktive Folgen permanent beklagt werden. Diese überlebensnotwendige religiöse, soziale und kulturelle Beheimatung in zuspätgekommener 68er-Manier als »provinziell« und »Kuschelkirche auf dem Abstellgleis« diffamieren zu wollen, wie das kürzlich in der hannoverschen Debatte geschehen ist, wirkt nicht nur unverantwortlich, sondern auch realitätsblind! Denn mit jeder weiteren Schwächung pastoraler Arbeit in den Ortsgemeinden droht unseren Landeskirchen zweifellos eine erhebliche Vertiefung ihrer Glaubwürdigkeitskrise bei ihren Kirchensteuerzahlern und damit letztlich eine ernsthafte Gefährdung ihres gesamten organisatorischen Bestandes!

Andererseits gibt es inzwischen Beispiele genug, die zeigen: personell richtig ausgestattete und dann auch konsequent ausgeführte pastorale Gemeindearbeit führt sehr wohl zu stärkerer Kirchenbindung, höheren Einnahmen, unter Umständen sogar zu mehr Kirchengliedern! Unsere Landeskirchen müssen dem nur einmal entschlossener als bisher nachgehen und jahrelange erfolgreiche Gemeindearbeit klarer identifizieren und buchstäblich auch honorieren, damit Gelingendes »Schule« machen kann: denn einzig und allein von gelingender Gemeindearbeit leben alle Einrichtungen unserer Kirchen!

Umgekehrt könnte es jedoch sehr leicht sein, dass bei weiterem Abbau pastoraler Gemeindearbeit unseren Landeskirchen auf dem Gebiet religiöser Sinnstiftung und sozialer Handlungsorientierung noch schärfere Konkurrenz erwächst, die den schon jetzt allseits beklagten kirchlichen Schrumpfungsprozess noch mehr beschleunigt.

7. »Die Kirchensteuer gehört uns allen!«

Mit dieser Maxime hat die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz seit Jahren mit Erfolg einen Weg aus der Sackgasse des kirchlichen Geldmangels beschritten, von dem viel zu lernen ist, wie sich die TeilnehmerInnen des vom hannoverschen Pfarrverein und vom hannoverschen Pastorenausschuss veranstalteten Workshops: »Die Zukunft der Kirche vor Ort« am 07. März 2005 in Hannover selbst haben überzeugen können.

Bei diesem »Berliner Modell« werden die landeskirchlichen Kirchensteuermittel (ohne Staatszuschüsse und ohne Clearingrücklage) in vier Schritten verteilt:

(1) Vom Brutto-Kirchensteueraufkommen werden die Erhebungskosten und die Aufwendungen für Versorgung, Beihilfe und Versicherungen abgezogen.

(2) Vom den dann entstandenen Netto-Kirchensteueraufkommen erhalten die Kirchengemeinden und Kirchenkreise 90%, die Verwaltung 6,3% und die Landeskirche 3,7%.

(3) Die den Kirchenkreisen und Kirchengemeinden zugeteilten Kirchensteuermittel müssen dann nach folgendem Schlüssel verausgabt werden: 70 –75% für Personalmittel (verschiedene Personalkostenanteile in Stadt und Land: 800/ 725/ 700/ 600/ 500), 12% für Sachmittel, 13% (18%) für Baumittel.

(4) Von den zugeteilten Personalmitteln erhalten die Kirchengemeinden 75% und der Kirchenkreis 25%, von den Sachmitteln die Kirchengemeinden 60%, der Kirchenkreis 40%, von den Baumitteln die Kirchengemeinden 50% und der Kirchenkreis ebenfalls 50%.

Dieses »Berliner Modell« der Kirchensteuerverteilung fasziniert vor allem durch die konsequente Umsetzung seiner plausiblen Grundsätze:

Wohltuende Transparenz der Finanzmittel-Verteilung, objektives Zuteilungskriterium der Gemeindegliederzahl (leicht modifiziert durch eine strukturelle Ausgleichskomponente zwischen Stadt und Land), Sicherung der Gemeindepfarrstellen, Verminderung der übergemeindlichen Pfarrämter, ausgewogenes Zahlenverhältnis zwischen PastorInnen und MitarbeiterInnen, Reduktion der Verwaltungen durch strikte Bindung an die Gemeindegliederzahl, Zugewinn an Entscheidungsfreiheit und Kreativität an der Gemeindebasis, der Kirchenkreis nicht als ›Krisengewinnler‹, sondern als ehrlicher Makler zur Entlastung und Stärkung der Gemeinden durch Stellvertretung, Schwerpunktbildung, Nothilfe, Rücklagenbildung, Projekte.

Selbst wenn sich die anderen – vor allem die westlichen – Landeskirchen auf Grund ihrer Geschichte, ihrer Verfassung und ihrer gegenwärtigen ökonomischen Ausgangslage von der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz deutlich unterscheiden, so könnten sie doch diese überzeugenden Grundsätze des »Berliner Modells« zum eigenen Vorteil übernehmen und damit ihrem Verkündigungsauftrag wie ihrem Organisationserhalt gewiss größere Chancen geben als bisher.

 

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 5/2005

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